Sein Programm ist eher ein pragmatischer Kompromiss.

Foto: APA / AFP / Saul Loeb

Im Juni vor einem Jahr wurde Joe Biden bei einem Dinner mit betuchten Spendern in New York gefragt, wofür er eigentlich inhaltlich stehe. "Wir wollen keinen dämonisieren, der Geld gemacht hat", beruhigte er die Runde im Carlyle, einem Luxushotel in Manhattan. Unter einem Präsidenten Biden würde sich "nichts fundamental ändern".

Später, von den Demokraten zum Kandidaten fürs Oval Office gekürt, sprach er vom "revolutionären institutionellen Wandel", den Amerika brauche. Damit ist das Spannungsfeld skizziert, in dem sich der 77-Jährige bewegt. Er selbst verkörpert den Pragmatismus der Mitte, muss aber Rücksicht nehmen auf die Basis einer Partei, deren linker Flügel infolge der Finanzkrise, und erst recht als Antwort auf Donald Trump, enorm an Gewicht gewonnen hat. Der Versuch eines Spagats, er spiegelt sich auch in seinen Programmen wider.

Ein konkretes Programm

Eines der virulentesten Themen des Wahlkampfs ist der Umgang mit dem Corona-Virus. Biden verspricht kostenlose Tests für alle, die sich auf Sars-CoV-2 testen lassen wollen. Falls er im Weißen Haus einzieht, will er 100.000 zusätzliche Stellen schaffen, um die Nachverfolgung der Kontakte von Infizierten zu verbessern. Zudem sollen die Gouverneure aller Bundesstaaten eine Maskenpflicht in der Öffentlichkeit verfügen, solange die Epidemie andauert.

Mit einem Federstrich könnte Biden den Wiederbeitritt zum Pariser Klimavertrag einleiten. Er hat auch bereits angekündigt, sollte er gewinnen, würde er Trumps Ausstieg aus dem Klimaabkommen rückgängig machen, und zwar gleich an seinem ersten Tag im Oval Office, wie er betont.

Klimagerechte Modernisierung

Noch vor seinem 100. Tag im Amt würde er einen Weltklimagipfel einberufen, eine symbolische Geste, um den Personalwechsel in Washington zu unterstreichen. Die Treibhausgasemissionen der USA sollen nach seinem Plan bis 2050 netto auf null sinken. Den "Green New Deal", vorgelegt von der New Yorker Abgeordneten Alexandria Ocasio-Cortez, hält er zwar für nicht bezahlbar, aber auch er peilt massive staatliche Investitionen an, um fossile Brennstoffe schrittweise durch erneuerbare Energien zu ersetzen.

Zwei Billionen Dollar soll der Fiskus in den nächsten vier Jahren dafür ausgeben, unter anderem für den Bau eines dichten Netzes von Ladestationen für Elektroautos. Die klimagerechte Modernisierung der Infrastruktur, verspricht Biden, wird zehn Millionen gut entlohnte Jobs schaffen.

Einen Fracking-Stopp, wie ihn linke Demokraten fordern, lehnt er ab, auch aus Angst, in Pennsylvania, einem der am härtesten umkämpften Swing-States, Wählerstimmen zu verlieren. Dort ist die Erdgasförderung mittels Fracking mittlerweile einer der wichtigsten Wirtschaftszweige.

Generell gilt: Soll Bidens grünes Konjunkturprogramm Wirklichkeit werden, muss der Kongress, dem die Kontrolle der Staatsfinanzen obliegt, grünes Licht geben. Das scheint nur realistisch, wenn die Demokraten ihre Mehrheit im Abgeordnetenhaus behaupten und darüber hinaus die Majorität im Senat erobern.

Freies Studium für einige

Bildung ist in den USA eine Sache des Geldes. So weit wie Bernie Sanders, der kostenlose Universitäten fordert, geht Biden nicht. Wohl aber sollen Kinder aus Familien, deren jährliches Haushaltseinkommen 125.000 Dollar nicht übersteigt, in Zukunft gebührenfrei studieren können.

An Community-Colleges, an denen man schon nach zwei Jahren einen Abschluss bekommt, sollen "tuition fees" komplett entfallen. Wer einen Studienkredit aufgenommen hat, dem soll ein Teil seiner Schulden, 10.000 Dollar pro Person, erlassen werden. Es wäre ein Ansatz zur Lösung eines akuten Problems: 45 Millionen Amerikaner mussten sich Geld vom Staat leihen, um den College-Besuch finanzieren zu können.

Kompromiss bei der Gesundheit

Beim Thema Gesundheit beschreitet der Kandidat Joe Biden einen Mittelweg zwischen der Linken und dem Zentrum. Barack Obamas Gesundheitsreform will er erweitern und Millionen von Menschen absichern, die entweder nie krankenversichert waren oder die wegen der Corona-Krise nicht nur die Arbeit, sondern auch ihre (an den Arbeitgeber gekoppelte) Police verloren haben.

Sanders’ "Medicare for All", das private Krankenversicherungen durch ein steuerfinanziertes System ersetzt, würde den Fiskus aus Bidens Sicht überfordern. Allerdings will er das Eintrittsalter für Medicare, die bereits existierende staatliche Gesundheitsfürsorge für Senioren, von 65 auf 60 Jahre senken.

Großverdiener sollen unter Biden über Steuereinnahmen stärker zur Kasse gebeten, Geringverdiener und die Mittelschicht nicht mehr als bisher belastet werden. Der Spitzensatz der Einkommensteuer stiege von 37 auf 39,6 Prozent, wo er schon vor den Steuersenkungen Trumps gelegen hatte. Wer mehr als 400.000 Dollar pro Jahr verdient, soll einen Zusatzbetrag zahlen.

Persönlicher Steuersatz

Bei Einkommen über einer Million Dollar würden Kapitalerträge nach dem persönlichen Steuersatz besteuert, nicht mehr wie bisher mit maximal 20 Prozent. Die Unternehmenssteuer soll von 21 auf 28 Prozent klettern. Firmen, die Arbeitsplätze ins Ausland verlegen, haben mit einer Strafsteuer zu rechnen.

Stand der Senator Biden in den Neunzigern nach dem Grundsatz "tough on crime" noch für eine Härte, die in der Konsequenz zu chronisch überfüllten Gefängnissen führte, so schlägt er heute Korrekturen vor. Er will Marihuana legalisieren und plädiert dafür, Strafen zu reduzieren, mit denen schon der Besitz kleiner Mengen bestimmter Drogen unnachsichtig geahndet wird – Strafen, die überproportional schwarze Amerikaner treffen.

Der Parole "Defund the Police", die nach dem schockierenden Tod George Floyds laut wurde, steht er skeptisch gegenüber. Statt lokale Polizeistrukturen aufzulösen und neu zu bilden, legt er den Fokus auf eine bessere Ausbildung der Beamten. Aber auch er unterstützt Reformer, die lieber mehr Geld in soziale Projekte stecken und im Konfliktfall dafür den Etat der Polizei kürzen wollen.

Internationale Allianzen

Trump stand internationalen Allianzen immer skeptisch gegenüber, Biden ist für die Pflege ebendieser. Er will das strapazierte Verhältnis zu Verbündeten reparieren, die Trump systematisch verunsichert und häufig vor den Kopf gestoßen hat. Jedoch dürfte auch ein Präsident Biden darauf drängen, dass europäische Nato-Partner ihre Zusagen einhalten und bis 2024 zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgeben.

Gegenüber China würde er wohl einen härteren Kurs fahren, als es noch unter Obama der Fall war, wobei er in den Details bislang schwammig bleibt. Ob Biden Trumps Importzölle aufheben würde, ist unklar. Vage spricht er von einer Koalition der Demokratien, die zu ignorieren Peking sich nicht leisten könne.

Die Verfolgung der Uiguren, das Ersticken der Demokratiebewegung in Hongkong, die Missachtung der Menschenrechte – all das dürfte er stärker thematisieren. Dass er gegenüber dem russischen Präsidenten Wladimir Putin deutlichere Worte fände als Trump, gilt als sicher. (Frank Herrmann aus Washington, 31.10.2020)