Am Nationalfeiertag demonstrierten Kritiker der Corona-Maßnahmen meist ohne Mindestabstände und Schutzmasken. Aufgelöst wurde die Veranstaltung trotz zahlreicher festgestellter Verstöße durch die Polizei nicht.

Foto: Christian Fischer

Wien – Während die Bundesregierung über einschneidende Maßnahmen in der Coronavirus-Pandemie bis hin zu Ausgangsbeschränkungen verhandelte, lieferten sich am Freitag Stadt Wien, Bund und Polizei weiterhin ein Pingpong-Spiel um die Untersagung oder Auflösung von Großdemonstrationen. Denn für Samstag wurden von Kritikern der Corona-Maßnahmen gleich fünf Veranstaltungen in Wien angemeldet: Die bei weitem größte Demo "gegen willkürliche und unverhältnismäßige Maßnahmen während der Corona-Pandemie" sollte – mit Stand Freitagnachmittag – am Samstag um zwölf Uhr bei der Hofburg und beim Michaelerplatz starten, erwartet werden bis zu 15.000 Teilnehmer. Die Polizei kündigte an, mit rund 350 Beamten vor Ort vertreten zu sein.

Zuletzt war eine Demo von Kritikern der Corona-Maßnahmen am Nationalfeiertag gehörig aus dem Ruder gelaufen. Die Ein-Meter-Abstand-Regel oder das alternativ verpflichtende Tragen von Schutzmasken wurde von vielen Teilnehmern ignoriert. Trotz der festgestellten zahlreichen Verstöße gegen das Covid-19-Maßnahmengesetz löste die Polizei die Versammlung nicht auf – und verwies auf die Zuständigkeit der Wiener Gesundheitsbehörde (MA 15). Diese wiederum berief sich auf die Polizei als Versammlungsbehörde, die über die Auflösung von Demos entscheiden muss.

Krisentreffen im Gesundheitsministerium

An diesen festgefahrenen Positionen hat sich auch nach einer Unterredung von Vertretern von Polizei und MA 15 am Freitag bei Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) nichts geändert. Im Gegenteil: Polizeipräsident Gerhard Pürstl forderte das Wiener Magistrat auf, die Standkundgebung schon im Vorhinein zu untersagen. "In der aktuellen, höchst kritischen Phase der Pandemie sollten große Menschenansammlungen generell bereits im Vorhinein durch die Gesundheitsbehörden unterbunden werden, auch wenn dies einen Eingriff in das Versammlungsrecht mit sich bringt", sagte Pürstl.

Auf STANDARD-Anfrage führte die zuständige Magistratsdirektion aus, wieso die Gesundheitsbehörde die Demo aus epidemiologischer Sicht nicht im Vorhinein untersagen kann. "Wir können zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht einschätzen, wie sich die Situation darstellen wird." Ob Personen tatsächlich gegen Gesetze verstoßen oder ob ein Gesundheitsrisiko vorliegen wird, ließe sich nicht vorab sagen.

Pürstl verteidigte hingegen seine Forderung nach einer Aushebelung des Versammlungsrechts. "Kritik an einem derart invasiven Eingriff in ein Grundrecht ist selbstverständlich legitim und in einer freien demokratischen Gesellschaft auch notwendig." Dennoch habe aktuell die Gesundheit der Bevölkerung und die Bekämpfung der Pandemie oberste Priorität.

MA 15 im Polizeieinsatzstab dabei

MA 15 und Polizei haben sich bei der Unterredung im Ministerium zumindest darauf verständigt, dass ein MA-15-Vertreter am Wochenende beim Einsatzstab der Polizei teilnehmen wird. Dieser soll vor und während der Veranstaltung eine Einschätzung darüber abgeben, ob ein "Gesundheitsrisiko" vorliegt oder nicht. Die Entscheidung zur Auflösung – auf Basis dieser Expertise – müsse der Stadt zufolge aber weiterhin die Landespolizei treffen.

Polizeipräsident Pürstl kämpfte am Freitagnachmittag aber weiterhin um eine vorzeitige Unterbindung von Demonstrationen überhaupt. "Haben sich einmal hunderte, tausende Menschen angesammelt, sind aus gesundheitlichen Gründen derzeit alle nun kurzfristig möglichen Maßnahmen der Polizei ungeeignet beziehungsweise unvertretbar." Das mögliche Auflösen der Menschenmenge würde das Ansteckungsrisiko auch für Polizisten "multiplizieren".

Neue Verordnung in Vorbereitung

Der unbefriedigende Graubereich bei der Zuständigkeit für Untersagung und Auflösung von Kundgebungen soll nach STANDARD-Informationen vom Gesundheitsministerium aber eingestanden worden sein. Die entsprechende Verordnung im Zusammenhang mit dem Covid-19-Maßnahmengesetz wird demnach überarbeitet und aktualisiert. Damit könnten künftig aus epidemiologischen Gründen Demonstrationen auch im Vorfeld untersagt werden.

Die Großdemonstration rund um den Heldenplatz ist übrigens für zwölf bis 19 Uhr terminisiert. Direkt im Anschluss ab etwa 19.30 Uhr sollen zwei weitere Demonstrationen der Gegner stattfinden: ein sogenannter "Lichtermarsch" und eine "Lichterfahrt". Laut ÖAMTC sind für den "Lichtermarsch für Frieden und Solidarität" 20 Busse, 150 Kraftfahrzeuge, 300 Radfahrer und etwa 2000 Fußgänger angesagt. Die Route verläuft vom Heldenplatz einmal rund um den Ring. Die Verkehrsexperten gehen von umfangreichen Staus aus und empfehlen, großräumig auszuweichen. (David Krutzler, 30.10.2020)