"Wir sind kein Holocaust-Museum": Direktor Christian Ortner vor einem Fi-156 "Fieseler Storch" der Deutschen Wehrmacht im Saal "Republik und Diktatur"

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Wien – Von der Ruhmeshalle nach links ab – da steht man nach ein paar Schritten an der Schwelle zum 17. Jahrhundert. Spieße säuberlich aufgereiht – jene "Piken" der einfachen Soldaten, an die heute noch die Redewendung erinnert, jemand habe etwas "von der Pike auf gelernt". Schlachtengemälde längst vergessener Scharmützel. Von der Decke hängen Stofffetzen – Feldzeichen jener Kriege, die das Heeresgeschichtliche Museum anschaulich machen sollte.

Tut es aber nicht. Der dem 17. Jahrhundert gewidmete Saal enthält die ältesten Exponate. Für einige der Feldzeichen würde mancher Sammler morden, meint der Direktor, sie sind kostbare Raritäten. Unter konservatorischen Aspekten sollten sie besser geschützt werden – und was die Besucherführung betrifft, so wäre da auch einiges nachzubessern. Das aber würde einen Komplettumbau des Stockwerks bedeuten, zwei bis drei Jahre dauern. Und ob es beim Publikum gut ankommen würde, ist keineswegs ausgemacht.

"Das ist der bei den Besuchern beliebteste Saal", sagt Christian Ortner, seit eineinhalb Jahrzehnten Direktor des HGM. "Gerade die älteren Besucher schätzen das, so kennen sie Museen von früher, da ist kein Infotainment, da ist einfach nüchterne Darstellung." Und er gibt zu bedenken: "In meinem Haus gibt es kein Russen-Bashing und kein Preußen-Bashing – aber je mehr man inszeniert, desto mehr Besucher vergrämt man."

Expertenkritik

Da ist die Expertenkommission unter Federführung des Museumsbunds Österreich und seines Präsidenten Wolfgang Muchitsch, die im Frühjahr unter der Zahl E90053/ 307/0-KA/2019 ihr Gutachten über den Ausstellungsteil "Republik und Diktatur" abgeliefert hat, anderer Meinung. Sie fordert die Nutzung von "Informationsmedien" und schreibt: "Im Schnitt gelten Dauerausstellungen nach längstens 15 bis 20 Jahren als überholt, weshalb Museen spätestens dann eine Neugestaltung anstreben."

Demnach wäre der in den 1950er-Jahren gestaltete Saal, der die Geschichte des Dreißigjährigen Krieges zeigt, wohl am dringendsten zu "kontextualisieren" – aber das Projekt dazu wurde gestoppt, weil sich die politische Aufmerksamkeit auf den 1998 unter dem damaligen Direktor Manfred Rauchensteiner gestalteten Saal "Republik und Diktatur" im Erdgeschoß konzentriert.

Wer Anstoß nehmen will

Wer hier politisch Anstoß nehmen will, findet – je nach eigener politischer Präferenz – allerlei Anknüpfungspunkte für Skandalisierung. Etwa die Hitler-Büste des Nazi-Staatskünstlers Ferdinand Liebermann: Die Muchitsch-Kommission würde das Kunstwerk, das Hitlers Diktatur repräsentiert, am liebsten gänzlich entfernen. "Hier wäre ein leerer Sockel die bessere Wahl gewesen", meinen die externen Experten.

Insgesamt sehen sie für die Zeit von 1938 bis 1945 zu viele Hakenkreuze ("museumsethisch nicht mehr zeitgemäß"), auch wenn die Frage, ob die NS-Zeit verharmlost würde, ausdrücklich verneint wird. Allerdings sei zu wenig über die Opfer zu sehen, was Ortner im Gespräch mit dem STANDARD mit dem Hinweis auf ein Modell eines von Alfred Hrdlicka geplanten Denkmals und der Bemerkung "Wir sind kein Holocaust-Museum" zu entkräften versucht.

Flohmarktware in Vitrinen

Tatsächlich entspricht das HGM seiner Selbstdefinition als "Dritte Schatzkammer" (neben der weltlichen und der geistlichen) durch eine Sammlung hochwertiger Gemälde – es finden sich aber auch viele Devotionalien und Kitsch.

So ist der wohl von einer NS-Fanatikerin liebevoll mit "Heil Hitler" bestickte Polster ein Einzelstück, das zwar zeittypisch ist, aber umstritten bleiben wird. Der Polster ist einer jener Privatankäufe, an denen der Rechnungshof kürzlich Kritik geübt hat. Tatsächlich sind etliche Exponate (und noch mehr Stücke im Depot) des HGM von aufmerksamen Mitarbeitern entdeckt und beschafft worden – zum Teil auf Flohmärkten, "wo man entweder kauft, oder die Chance ist dahin", wie Ortner schildert.

Unübliches Beschaffungswesen

Dass da kein ordentliches Beleg- und Beschaffungswesen, wie es eigentlich für Einrichtungen des Bundes vorgesehen wäre, vorliegt, ist verständlich – rechtlich ist der Kauf solcher Militaria und anderer Kuriositäten allerdings ein Graubereich. Was etwa, wenn der Mitarbeiter einen Flohmarktfund bringt, der fachlich doch nicht passt? Dann bleibt er auf den Kosten sitzen, lautet die Auskunft.

Er selbst habe ein Album mit Soldatenbildern von einem Flohmarkt gebracht, erzählt Ortner, dem die dafür aufgewendeten 360 Euro ersetzt wurden. Einen Compliance-Verstoß sieht er nicht; schließlich sei die Alternative, dass die Fotos unwiederbringlich für die militärhistorische Sammlung verloren wären.

Verluste in den Beständen

Und dem Museum sei ohnehin schon viel verlorengegangen – 30.000 bis 50.000 Teile der Sammlung wurden etwa durch russische Besatzer geplündert und nie restituiert. Genaueres weiß man nicht, weil ein Teil der Inventarlisten 1945 verbrannt ist. Manches wurde wohl auch später falsch inventarisiert, so wie die durch den Rechnungshof berühmt gewordenen (inhaltlich aber belanglosen) Schiele-Briefe, die seit einer Ausstellung 1998 unauffindbar sind, weil der zuständige Mitarbeiter sie falsch abgelegt hat und inzwischen verstorben ist.

Ortner sieht die Kritik an "seinem" Haus (und an seiner Person) als ungerechtfertigt an – die Wiederbestellungskommission des Verteidigungsministeriums hat ihn als "in höchstem Maße geeignet" bewertet. Sein Posten wird dennoch neu ausgeschrieben. (Conrad Seidl, 1.11.2020)