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Foto: Reuters / Mika Blake

Demokratin Kamala Harris

Neulich in Orlando. Kamala Harris stürmt auf die Bühne, führt zu rhythmischen Klängen ein Tänzchen auf, ruft "What’s up, Florida?" und lacht in die Runde. Kamala Harris, der Inbegriff guter Laune, die Verkörperung fröhlicher Vitalität. Mal abgesehen davon, dass sie auch jenseits der Wahlkampfbühne gute Laune ausstrahlen mag: Es ist die Rolle, die sie im Tandem mit Joe Biden zu spielen hat.

Der Politikveteran, dem bisweilen deutliche Anzeichen von Erschöpfung ins Gesicht geschrieben sind, braucht eine Partnerin, die energiegeladen um Stimmen wirbt. Die, wie Harris in Florida, in Jeans und Turnschuhen die Treppe zum Podium hinauffedert.

Wobei sie bei aller Dynamik Wert darauf legt, in der Corona-Krise jene Vorsicht zu unterstreichen, mit der die Demokraten den Kontrast zu Donald Trump schärfen wollen. Zu einem Präsidenten, der, vorzugsweise auf Regionalflughäfen, zu Tausenden spricht, von denen etliche auf das Tragen von Masken verzichten.

Bei Harris’ Auftritt in Orlando, auf dem Jahrmarktgelände der Central Florida State Fair, sind maximal 200 Gäste zugelassen. Sie fahren im eigenen – teils recht teuren – Auto vor, müssen es an einem Checkpoint vom Secret Service durchleuchten lassen.

Wenn sie ihr Ziel endlich erreicht haben und aussteigen dürfen, haben sie genauestens auf den Mindestabstand zu achten. Nichts, aber auch gar nichts soll den Eindruck erwecken, die Kandidatin für die Vizepräsidentschaft lasse in der Hitze des Gefechts in ihrer Wachsamkeit gegenüber dem Virus nach.

Dann wäre da noch der Vorwurf, den Trump erhebt, seit Biden die Senatorin aus Kalifornien ins Boot holte. Die Frau sei zornig und gemein, behauptet er, wobei es bei weitem nicht das erste Mal ist, dass er selbstbewussten, erfolgreichen Frauen die Attribute "zornig" und "gemein" anheftet, zumal dann, wenn sie dunkle Haut haben.

Vielleicht erklärt auch das Harris’ de monstrativ gute Laune. Sie sei eine stolze, patriotische Amerikanerin, erklärte sie dieser Tage, um der Flüsterkampagne des po litischen Gegners zu begegnen. Es erinnert an Michelle Obama, von der im Wahljahr 2008 ständig verlangt wurde, ihren Patriotismus zu bekunden.

Sie sei zum ersten Mal in ihrem Erwachsenenleben wirklich stolz auf ihr Land, weil dessen Bewohner tatsächlich den Wandel wollten, hatte die spätere Lady damals gesagt. Und einen Sturm der Entrüstung auf der Rechten ausgelöst. Bei Leuten mit ausgeprägten Vorurteilen, die diesmal, offenbar allein wegen ihrer Herkunft, Kamala Harris ins Visier nehmen.

Viele Premieren

Die 56-Jährige ist die erste Nichtweiße, die von einer der beiden großen Parteien der USA für eines der beiden wichtigsten Ämter der Politik ins Rennen geschickt wird. Als Tochter eines aus der Karibik stammenden Ökonomen und einer in Indien geborenen Krebsforscherin steht sie für jenes weltoffene Amerika, das sich als Gegenentwurf zu der Trump’schen Abschottung versteht.

In ihrer Karriere feierte sie eine Premiere nach der anderen: Sie war die erste Frau auf dem Chefposten der Bezirksstaatsanwaltschaft von San Francisco, die erste Justizministerin von Kalifornien und schließlich die erste Senatorin mit dunkler Haut, die den wirtschaftlich so gewichtigen Westküstenstaat im Senat Washingtons vertrat.

Republikaner Mike Pence

Es war im vergangenen Winter, während des Amtsenthebungsverfahrens gegen den republikanischen Präsidenten, als sogar manche Demokraten vor der Absetzung Donald Trumps warnten. Ihnen bereiteten die personellen Konsequenzen Sorgen. Schließlich würde der Vizepräsident die Amtsgeschäfte übernehmen – also Mike Pence, der von sich selbst sagt: "Ich bin ein Christ, ein Konservativer und ein Republikaner – in dieser Reihenfolge."

Mit dem Ex-Abgeordneten und Gouverneur von Indiana steht einer bereit, der die Positionen der Evangelikalen in den USA stärken würde. Schon 2016, als Pence zum "running mate" an der Seite Trumps gemacht wurde, war dies eine strategische Entscheidung; 2020 gilt der 61-Jährige mehr denn je als Trumpfkarte bei der christlich-fundamentalistischen Wählerschaft.

Abtreibung: nein. LGBT-Gleichberechtigung: nein. Kreationismus statt Evolutionstheorie. Das Ganze garniert mit der Befürwortung liberaler Waffengesetze: "Der schnellste Weg, um einen bösen Typen mit einer Pistole zu stoppen, ist ein guter Typ mit einer Pistole." Zu guter Letzt: bedingungsloses Hofieren von "Big Business". Das konservative Amerika hat seine Freude an dem Mann im Schatten Trumps, der nur auf seinen Moment wartet.

Pulitzerpreisträger Michael D’Antonio und der für einen Emmy nominierte Peter Eisner schreiben in ihrem Buch The Shadow President, dass Pence es meisterhaft verstehe, die Maske des netten Mannes aus dem Mittleren Westen zu tragen. Sie porträtieren einen Mann, der nach außen hin stets demütig und ehrerbietig ist, der aber in Wirklichkeit schon seit seiner Studienzeit sehr konsequent eine Agenda verfolgt, die ihn ganz nach oben führen soll. Um dieses Ziel zu erreichen, habe Pence 2016 sogar in Kauf genommen, sich einer Skandalperson wie Trump zu unterwerfen.

Ganz von der Hand zu weisen ist diese Lesart der Karriere des Juristen mit deutschen und irischen Vorfahren nicht. Anders wäre Pence, der einst Demokrat war und John F. Kennedy und Martin Luther King verehrte, dann aber vom Katholizismus zur Grace Evangelical Church konvertierte und das politische Lager wechselte, wohl nie Nummer zwei der US-Nomenklatura geworden – mit intakten Chancen, selbst Nummer eins zu werden, ohne jemals in diese Position gewählt worden zu sein.

Was wäre, wenn ...

Diese Situation würde eintreten, sollte Trump etwa im Amt versterben. Das könnte aber auch der Fall werden, wenn ein ab 2021 möglicherweise demokratisch dominierter Kongress gemeinsam mit abtrünnigen Republikanern Trump auf Basis des 25. Zusatzartikels der US-Verfassung aus dem Amt kicken würde.

Seine Karriereschritte hat der verheiratete Vater dreier Kinder oft unter dem Radar der großen Öffentlichkeit, aber immer mit Bedacht gewählt. Als eloquenter Moderator eines rechten Radiosenders knüpfte er früh wertvolle Kontakte, als Abgeordneter stimmte er stets im Sinne seiner konservativen Sponsoren.

Mit seiner zweiten Nominierung als Vizepräsidentschaftskandidat ist Pence seinem großen Ziel nahe wie nie: an der Spitze jener zu stehen, die so wie er auf Jesu Wiederkunft warten und fest glauben, dass die USA im Allgemeinen und sie selbst im Speziellen von Gott gesandt sind. (Frank Herrmann aus Washington, Gianluca Wallisch, 1.11.2020)