Martinigansl, das ist der lukullische Köder, mit dem die Gasthäuser von Bregenz bis Wien in den trüben Novembertagen Gäste in ihre warmen Stuben locken. Normalerweise. In aller Regel folgen die Österreicher in Scharen dem Ruf. Doch heuer droht angesichts der Verschärfung der Corona-Maßnahmen der Traum vom knusprigen Braten, serviert mit Knöderl und Rotkraut, zu platzen.

"Es hat schon viele Reservierungen gegeben", sagt Alexandra Richter, Inhaberin des urigen Gasthauses zur Gruabn in Wien-Landstraße. "Das fällt jetzt alles ins Wasser." All die Spekulationen, welche neuen Maßnahmen tatsächlich kommen, verfolgt sie genau. Von Komplettsperre in der Gastronomie über nächtliche Ausgangssperren, Personenbeschränkungen in Geschäften, Frisier- und Kosmetiksalons bis hin zum Verbot touristischer Beherbergung und dem Besuch von Tanzschulen, Kinos und Wettbüros schwirrt vieles herum. Richter stellt sich auf das Schlimmste ein. Sie geht davon aus, dass sie ab Montag das Lokal geschlossen halten muss und nur noch Speisen zur Abholung anbieten kann. Hat sie Verständnis dafür? Sie schüttelt den Kopf. Es habe doch kaum Ansteckungen gegeben in der Gastronomie.

Zusperren, Aufsperren mit vielen Regeln, neue Richtlinien, ausbleibende Gäste aus dem Ausland: Die vergangenen Monate waren für viele Gastronomen ein wilder Ritt durch die Corona-Gegenwart.
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Der zweite Lockdown hängt bleischwer in der Luft, noch ehe er ausgesprochen ist. Und das nicht nur in der krisengeschüttelten Gastronomie. "Ein zweites Mal zusperren, das würde ich nicht überleben", sagt Andreas Jung. Die Sorgen scheinen dem stämmigen Mittfünfziger, der sonst zu Späßchen und Pläuschen aufgelegt ist, schwer auf den Schultern zu lasten. Gut möglich, dass der Schuster, der sein Handwerk nahe dem mittlerweile hippen Vorgartenmarkt im zweiten Wiener Gemeindebezirk ausübt, diesmal ungeschoren davonkommt. Doch was hilft’s, wenn alle anderen daheimbleiben, fragt er schier verzweifelt. Seine Kundschaft sind vorwiegend die Älteren, Menschen, die ihr Schuhwerk richten lassen. Können oder wollen sie nicht unterwegs sein, kommen auch keine Schuhe zur Reparatur. Jung will gar nicht daran denken, wie sehr sein Konto mittlerweile ins Minus gerutscht ist, trotz der Hilfen.

Kunden bleiben aus

Auch Ralph Thornbird beurteilt die Lage düster. Der Hairstylist, dessen Job es eigentlich ist, seine Kunden im hippen Salon in der Sporgasse nahe dem Hauptplatz in Graz mit einem feschen Schnitt ausgehfertig zu präparieren, hat wenig zu lachen. Von 20 Anmeldungen blieben zuletzt sieben. "Ein Großteil der Kunden musste wegen Quarantäne, positiver Tests und Ähnlichem absagen", sagt Thornbird betrübt.

Auf und ab ging es im heurigen Jahr auch für die Beschäftigten.
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Die sanfte Hoffnung, die nach dem ersten Lockdown aufkeimte, sie ist wieder perdu. Bereits in den Sommermonaten, nach dem überproportional guten Mai und auch Juni, seien die Zahlen wieder sukzessive nach unten gegangen, so Thornbird. Das bestätigt auch sein Kollege Josef Pfeifer, den der erste Lockdown just in der Aufbauphase seines noch jungen Frisiersalons in der Grazer City erwischt hat. "Es war fast so etwas wie eine Goldgräberstimmung im Mai", sagt Pfeifer. An einen neuerlichen Lockdown glaubt er nicht.

Die Laune verderben lässt sich auch Rami Abu Zahra nicht. Noch brutzeln die Burger in seiner Grill.Bar im Zentrum von Amstetten. Burger, Steaks und Ripperln, die er im Lokal unweit des Bahnhofs serviert, kommen wohl auch kommende Woche auf den Grill – vermutlich ohne Gäste vor Ort. Sein Pessimismus hält sich dennoch in Grenzen: "Im Frühjahr hat uns das Take-away-Geschäft gerettet, und ab Mitte Mai lief das Geschäft wieder gut. Es war der bisher stärkste Sommer von allen." Während der warmen Monate blickte Rami Abu Zahra stets auf einen gut gefüllten Gastgarten, in dem große Kastanienbäume Schatten spenden.

Der 39-Jährige würde es im Fall des Falles wieder so anlegen wie während des ersten Lockdowns. Mitarbeiter wurden mit Wiedereinstellungsgarantie gekündigt und im Mai zurückgeholt. In der zweiten Filiale in Waidhofen/Ybbs sieht es ähnlich aus. Rami Abu Zahra bereitet sich darauf vor, ab Montag wieder auf Take-away umzustellen. "Solange es wirtschaftlich tragbar ist und die Hilfen ankommen, spielen wir mit. Es ist ja im Sinn von allen. Aber hoffentlich ist dieser Spuk nächstes Jahr vorbei." Der Härtefallfonds und der Fixkostenzuschuss seien im Sommer gekommen. Deutlich verspätet, aber immerhin.

Die Berg- und Talfahrt trifft nicht nur die Gastronomen sondern auch viele andere Betriebe.
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Dass Hilfe nottut, ist allen klar. Die Regierung feilt auch schon eifrig an neuen und zusätzlichen Maßnahmen. Einerseits wird der Fixkostenzuschuss ausgebaut: Die EU-Kommission dürfte ihren Widerstand gegen großzügige Entschädigungen aufgegeben haben, da sie die Situation in einem Teil-Lockdown anders bewertet. Damit könnte wieder jener Rahmen zur Anwendung gelangen, der im Falle von "Naturkatastrophen" schon genehmigt wurde. Er sah bis zu 90 Millionen Euro an nicht rückzahlbaren Zuschüssen pro Betrieb vor. Zudem ist ein Paket für die von Schließungen betroffenen Branchen geplant. Es dürfte sich laut Regierungskreisen am deutschen Modell orientieren, bei dem die Betriebe bis zu 75 Prozent des Vorjahresumsatzes als Förderung erhalten. Möglicherweise fällt die österreichische Regelung sogar großzügiger aus.

Gruabn-Wirtin Alexandra Richter tröstet all das nicht. Auch sie will Speisen zur Abholung anbieten und die Mitarbeiter, wenn möglich, in Kurzarbeit schicken. Das lukrativere Geschäft mit den Getränken falle aber flach. Der November werde "heiß", sagt Richter. Würde eine Gastroschließung mehr als vier Wochen gelten, "dann pfeife ich drauf". (Regina Bruckner, Andreas Danzer, Alexander Hahn, Walter Müller, Bettina Pfluger, Andreas Schnauder, 31.10.2020)