Der ehemalige Bauernhof muss erst noch renoviert werden, bevor er in den nächsten Jahren zu einem Treffpunkt für Anrainer, Forscher und Landwirte werden kann.

Die Mauern sind gezeichnet von der Zeit. Ausgebleichte Ziegel, lose Holzschindel und Fenster mit schwarzen Löchern als Eingang für die Tauben. Rings herum Äcker, Weizenfelder und grüne Wiesen. "Schau dir diese Romantik an", sagt Andreas Gugumuck, zeigt auf den Hof und die Felder daneben und öffnet das Tor, das den Weg ins Innere des Vierkanthofs freigibt. "Das hätte alles abgerissen werden sollen." Mehrere Jahre hat Gugumuck erfolgreich dafür gekämpft, den Hof zu erhalten. Denn er hat große Visionen dafür: Eine "Stadtlandwirtschaft" soll hier entstehen, eine Kreislaufwirtschaft im Kleinen, ein Nachbarschaftsprojekt, das die Menschen vor Ort zusammenbringt. "Das ist der Ausgangspunkt für die Stadt der Zukunft", sagt Gugumuck.

Gemeinsame Landwirtschaft

Der "Zukunftshof", wie Gugumuck ihn nennt, steht in Rothneusiedl im Süden Wiens, genau an der Grenze zwischen den letzten Wohnsiedlungen der Stadt und den Anfängen der Felder und Landwirtschaft. Noch vor einigen Jahren war der Hof eine Biolandwirtschaft, mit Getreide, Gemüse, Schafen und Hühnern. Jetzt ist es still auf dem Gelände, kein Gackern, kein Muhen, keine Traktorenmotoren und keine tratschenden Kunden mehr.

Die Hallen sind leergeräumt, einige Fenster notdürftig mit Klebeband und Gittern gegen die Tauben verschlossen, die einzelnen Gebäude mit neuen Wasser- und Stromleitungen verbunden. "Seit Anfang des Jahres versuchen wir, das Gelände wieder in Schuss zu bringen", sagt Gugumuck. Vergangenes Jahr gründete Gugumuck die Genossenschaft Zukunftshof, in der sich in den nächsten Monaten und Jahren Anwohner, Architekten, Landwirte, Künstler, Gastronomen und Wissenschafter zusammentun und beginnen sollen, eine gemeinsame Landwirtschaft aufzubauen.

Andreas Gugumuck inmitten des alten Haschahofs in Rothneusiedl, in dem es im Moment noch sehr ruhig zugeht.
Foto: Jakob Pallinger

Schnecken und Insekten

"Die Idee ist, die Lebensmittel dort zu erzeugen, wo sie gebraucht werden", sagt Gugumuck, "am besten, von den Stadtbewohnern selbst." Konzepte dafür hat der 46-Jährige bereits einige: In den mehrstöckigen Gebäuden des Hofs soll künftig eine sogenannte vertikale Landwirtschaft betrieben werden, bei der auf mehreren Ebenen Obst und Gemüse angebaut wird.

Schon jetzt züchtet Gugumuck jedes Jahr rund 300.000 Weinbergschnecken, die er einlegt oder zu Burgern verarbeitet. "Schnecken sind das wahre Superfood der Zukunft", sagt er. Er zeigt in eine Halle, die früher der Kuhstall des Betriebs war: "Hier wird das Restaurant sein." Zusätzlich soll es auf dem Hof eine Bäckerei, eine Brauerei, eine Aquaponik-Fischzucht und eine Insektenzucht sowie mehrere Wohnungen geben. "Ich könnte mir sogar vorstellen, eine eigene Währung zu nutzen, um die Wertschöpfung in der Region zu halten. Die hieße dann beispielsweise Rothneusiedler", sagt Gugumuck.

"Schnecken sind das Essen der Zukunft", sagt Gugumuck.
Foto: Jakob Pallinger

Neue Stadtentwicklung

Noch fällt es schwer, sich die Ideen konkret vorzustellen. Und noch schwerer könnte es sein, überhaupt Geld für die Vorhaben aufzutreiben. So soll das Projekt zum Teil mittels Crowdfunding finanziert werden. Investoren seien aber schwer zu finden, so Gugumuck. Wohl die wenigsten versprechen sich durch das Projekt große Gewinne. Durch Corona mussten auch einige Veranstaltungen auf nächstes Jahr verschoben werden.

Für Gugumuck gehe es ohnehin um mehr als nur um die Erhaltung des alten Vierkanthofs. "Die Bürger müssen die Chance haben, sich mehr in der Stadtentwicklung zu beteiligen – schon wenn es um Widmungen geht", sagt er. Er wolle nicht, dass Rothneusiedl zur nächsten Seestadt Aspern werde, mit wenig Grün und einer Stadtplanung ohne Bürger.

Entwicklungsoption der Stadt

Rothneusiedl ist seit Jahren eine "wichtige Entwicklungsoption", heißt es vonseiten der Stadt Wien. Konkret soll das bedeuten: neue Wohnungen, neue Anbindungen, neue Arbeitsplätze. Vor rund zwei Jahren verlängerte die Stadt die U-Bahn-Verbindung nach Oberlaa, auch Rothneusiedl könnte in Zukunft eine U-Bahn-Anbindung bekommen.

Bei den Plänen prallen teilweise unterschiedliche Interessen aufeinander: Während die Stadt neue Gebiete für Wohnungen erschließen will und wohl auch muss, um mit der wachsenden Bevölkerung mitzuhalten, fürchten einige Anwohner, dass grüne Flächen immer mehr Wohnungen und Einkaufszentren weichen müssen. Die einzelnen Bauprojekte könnten in Zukunft den Charakter der "ländlich geprägten Landschaft für immer zerstören", heißt es etwa von der Bürgerbewegung "Lebensraum Oberlaa". Die Bewegung sammelte rund 11.000 Unterschriften, um die Bebauung zu stoppen.

Richtung bedingungsloses Grundeinkommen

Auch Gugumuck fürchtet, dass die Felder rund um den Vierkanthof eines Tages verbaut sein könnten. "Wenn du das alles zubaust, heizt sich Wien noch mehr auf. Angesichts des Klimawandels ist das keine gute Idee", sagt er. 25 Jahre hat Gugumuck innerhalb des Nutzungsvertrags Zeit, den Hof neu aufzubauen und ihn zu einem "Leuchtturmprojekt für ganz Wien zu machen", wie er sagt.

Zu tun gäbe es viel, aber allein schon die Instandhaltung des Hofs fordert viel Geld und Nerven. Die Pläne seien trotzdem realistisch, sagt Gugumuck: "Wir müssen uns fragen, wie wir in Zukunft leben und arbeiten wollen. Alles deutet darauf hin, dass wir in Richtung eines bedingungslosen Grundeinkommens gehen. Aber die Menschen brauchen auch dann weiterhin Beschäftigung. Eine gemeinschaftliche Landwirtschaft in der Stadt könnte so eine Beschäftigung sein." (Jakob Pallinger, 1.11.2020)