Verdüsterung. Das ist wohl das Wort, mit dem sich die heimische und die internationale Entwicklung beschreiben lässt. Die Aussichten sind nicht gut, und die Zeichen mehren sich, dass wir bereits in eine Phase der Zerrüttung unseres so abgesicherten Lebens in der Wohlstandssphäre Europa getreten sind.

Zunächst ist da die Pandemie. Die Regierenden und die Regierten versuchen, halbwegs adäquat darauf zu reagieren – begleitet von einem Chor der Verblendeten, die das alles nicht wahrhaben wollen. Das Bewusstsein für die Krise war aber sowohl bei Regierenden wie Regierten zu schwach, ist es teilweise immer noch, und deshalb müssen immer drastischere Maßnahmen ergriffen werden, die möglicherweise nicht ausreichend wirken, aber jedenfalls den Wohlstand bedrohen.

Die Zeichen mehren sich, dass wir bereits in eine Phase der Zerrüttung unseres so abgesicherten Lebens in der Wohlstandssphäre Europa getreten sind.
Foto: imago/PanoramiC

Covid wird der Welt noch schwer zu schaffen machen. Es ist aber leider eine Welt, in der gerade massive politische Verwerfungen stattfinden. Der akut und latent gefährlichste Konflikt ist der innerislamische. Die Muslime kommen mit der Moderne nicht zurecht, die letztlich bedeutet, dass die Religion auf den ihr gebührenden Platz verwiesen wird. Das Scheitern so vieler muslimischer Staaten und Gesellschaften – nirgendwo toben schrecklichere Kriege als im "Haus des Islam" – führt einerseits dazu, das Heil in einem immer rigideren Fundamentalismus zu suchen; andererseits zur Ablenkung vom eigenen Versagen, den säkularen Westen zu attackieren.

Ausweg aus der Perspektivlosigkeit

Dass es ein Bootsflüchtling aus Tunesien war, der in Nizza einer betenden alten Frau den Kopf abschnitt, ist ein grimmiger Hinweis auf die Gefahr, die sich daraus ergibt, dass Millionen junger Männer in Nordafrika und im Nahen Osten keine Perspektive haben und sich in abscheuliche Gewaltakte gegen die erfolgreicheren "Ungläubigen" stürzen. Das Problem dabei ist, dass das unsere geografischen Nachbarn sind. Es wird einer Kombination aus größerer Härte gegenüber islamistischen "Gefährdern" bedürfen und eines besseren Angebots an die Muslime, die selbst durch Radikalisierung gefährdet sind. Nur zur Erinnerung: Es ist noch nicht so lange her, dass sich bei uns junge Männer zur SA und SS gemeldet haben, weil es ihnen einen Ausweg aus der Perspektivlosigkeit zu bieten schien.

Der Islamismus kann mit der Demokratie nicht leben, weil sie seiner Heilsideologie, wie alle Heilsideologien, existenziell widerspricht. Aber die westliche liberale Demokratie ist auch von innen heraus gefährdet. Wenn christliche Fundamentalisten wie in Polen und zynische "Christen" wie in Ungarn in zwei wichtigen Staaten der EU praktisch die Demokratie abschaffen; wenn ein Soziopath und Möchtegernautokrat wie Trump die Rolle der USA als internationale demokratische Kraft zerstört, dann hätte man sich das nach dem Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa anders vorgestellt. Pandemie, Migrationswelle, islamistischer Terrorismus, drohende Abdankung der USA als Führungsmacht, Störmanöver von megalomanen Autokraten wie Erdoğan, ein immer anmaßenderes China, das seinen autoritären Staatskapitalismus als Gegenmodell anbietet – das schafft Verunsicherung. In solchen Zeiten blühen Phänomene auf wie völlig wahnsinnige Verschwörungskulte (QAnon) oder Großdemonstrationen von "Masken runter"-Obskurantisten.

Things fall apart; the centre cannot hold". Eine Zeile aus dem apokalyptischen Gedicht von William Butler Yeats, geschrieben 1920 unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs und des Beinahe-Todes seiner Frau durch die Spanische Grippe. Hundert Jahre später fallen auch manche Dinge auseinander. Einen ersten, wichtigen Hinweis darauf, ob das Zentrum halten kann, werden wir nach der US-Wahl nächsten Dienstag erhalten. (Hans Rauscher, 31.10.2020)