Politische Auseinandersetzungen werden auch in Europa hart ausgetragen. Doch in den meisten europäischen Staaten wäre ein Tonfall wie im US-Wahlkampf nicht vorstellbar.

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1 – Die Ungleichheit so groß werden lassen

Passend zum Wahlkampffinale haben zwei führende Ungleichheitsforscher, Gabriel Zucman und Emmanuel Saez von der Berkeley-Universität, eine Analyse über die Entwicklung der Ungleichheit in den USA veröffentlicht. Ergebnis: Die Kluft wächst rasant. Fast 20 Prozent aller Einkommen in den USA gehen an das reichste Prozent der Bevölkerung. Ende der 70er-Jahre war es halb so viel.

Die Ungleichverteilung habe zwar auch in Europa zugenommen, aber das Tempo sei nicht mit jenem in den USA vergleichbar, analysiert der französische Ökonom Thomas Piketty. Parallel größer wurde zudem die Kluft bei Vermögen, Teile der Mittelschicht wurden abgehängt. In dieser Gruppe war Donald Trump bei den Wahlen 2016 stark. Arme und sehr reiche Haushalte tendierten dagegen zu Clinton.

2 – Das Gesundheitssystem derart ruinieren

In Europa gibt es eine universelle, solidarisch finanzierte und öffentliche Gesundheitsversorgung. Die USA dagegen sind eines der letzten reichen Länder, die keinen universellen Zugang bieten. Dort sind private, konkurrierende Versicherungen die Träger des Systems. Das US-Modell ist das teuerste der Welt.

Die Pro-Kopf-Ausgaben für Gesundheit liegen bei 10.000 Dollar pro Jahr in Kaufkraftparität, in Österreich sind es um die 5200 Dollar. Diese höheren Ausgaben führen nicht zu besseren Ergebnissen. Die Industriestaatenorganisation OECD vergleicht die Performance. Ob bei der Versorgung von Herzinfarkten oder der Überlebensrate für Darmkrebs: Weltspitze sind die USA nirgends. Und: Noch immer ist jeder zehnte Amerikaner nicht versichert, so viele wie in keinem westlichen Land.

3 – Eine tiefe politische Spaltung zulassen

Politische Auseinandersetzungen werden auch in Europa hart ausgetragen. Doch in den meisten europäischen Staaten wäre ein Tonfall wie im US-Wahlkampf nicht vorstellbar. Trump nennt seinen Gegner Joe Biden eine "dumme Person", einen "Verlierer", er hinterfragt, ob Biden mental fit ist. Hillary Clinton wollte er gleich wegsperren lassen.

Das sind keine Ausrutscher. Der Politikwissenschafter und US-Experte Reinhard Heinisch spricht von einer beispiellosen Polarisierung im politischen System und unter den Wählern. Weil in den USA das Mehrheitswahlrecht gilt, müssen die Parteien weniger als in Europa den Kompromiss suchen. Aber: Im US-System der "checks and balances" können sich Präsident und Parlament blockieren. Das verstärke im vergifteten Klima die Feindschaft, so Heinisch.

4 – Die Bürgerlichen an die Radikalen verlieren

Teile der Mittelschicht fürchten um ihren sozialen Status und werden daher für rechte Botschaften empfänglicher. Eine Folge davon sei, dass innerhalb der republikanischen Partei die rechtsnationale Strömung die Oberhand gewinnen konnte, sagt Politologe Heinisch. Es sei ein wenig so, als würden in Österreich ÖVP und FPÖ fusionieren und die Freiheitlichen dann intern das Sagen haben.

Rechtsnationalisten seien im Prinzip auch in den USA nicht stärker als in Europa, meint der Experte. Aber das Zweiparteiensystem und das Mehrheitswahlrecht in den Vereinigten Staaten führten dazu, dass die rechten Strömungen über die republikanische Partei zu deutlich mehr Macht und Einfluss im Staat kommen können. Das befeuert die politische Spaltung im Land erst recht.

5 – Das Wahlsystem demolieren

In den USA haben Wahllokale aufgesperrt, um die vorzeitige Stimmabgabe zu ermöglichen. Menschen standen dabei teils lange in der Schlange, in Georgia berichtete eine Familie von einer elfstündigen Wartezeit. Es ist nicht das erste Mal, dass es Probleme bei der Stimmabgabe gibt.

Lange Wartezeiten gibt es vor allem in ärmeren und schwarzen Gegenden, kritisieren NGOs wie das Southern Poverty Law Center. Eine Studie der University of California hat auf Basis von zehn Millionen Handydaten gezeigt, dass Afroamerikaner 2016 im Schnitt ein Drittel länger bei der Stimmabgabe warten mussten als Weiße. In ärmeren Gegenden und Stadtteilen leidet das System an Geldmangel. Demokraten sprechen von strategischer Wahlabschreckung, die republikanisch regierte Staaten einsetzten.

6 – Teile des Staates kaputtsparen

Für manche herrschen in den USA paradiesische Verhältnisse. Der Staat ist zurückhaltend, wenn es darum geht, den Bürgern in die Taschen zu greifen. In Österreich belaufen sich die Steuereinnahmen auf 42,2 Prozent der Wirtschaftsleistung, in Deutschland sind es um die 40 Prozent. In den USA sind es gerade 24,3 Prozent.

Die Kehrseite der Medaille: Zentrale Bereiche der öffentlichen Versorgung sind chronisch unterfinanziert – obwohl die USA sich stetig weiter verschulden. So listet der US-Ingenieursverband auf: 15.000 Dämme im Land sind beschädigt und gelten als gefährdet. Ein Großteil der Wasserleitungen ist über 100 Jahre alt, Flughäfen und U-Bahnen sind teils veraltet, ebenso 50.000 Brücken. 4,5 Billionen Dollar müssten investiert werden, um das Problem zu lösen. (András Szigetvari, 31.10.2020)