Die Regierung bemüht sich um Kommunikation, kann aber nicht immer gleich alles erklären, was sie vorhat.

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Österreich fährt sich herunter. Die Wirtshäuser sperren zu. Konzerte, Theater – alles abgesagt. In der Nacht soll es nur noch wenige Gründe geben, um das Haus zu verlassen. So will es die Politik – und das schon ab kommender Woche.

Bis vor kurzem war ein Lockdown selbst für Gesundheitsminister Rudolf Anschober noch unvorstellbar. Doch die positiven Corona-Tests werden täglich mehr und mehr. Die Spitäler stoßen an ihre Grenzen – zumindest bald. Wo sich die Kranken angesteckt haben, können die Behörden immer seltener nachvollziehen. Kurzum: Die Kontrolle über das Virus ist verlorengegangen. Man muss es so sagen.

Als "Ultima-Maßnahme" bezeichnete Kanzler Sebastian Kurz den zweiten Lockdown noch vor wenigen Tagen. An diesem Punkt sind wir jetzt.

Ringen um Details

Am Samstagnachmittag wird die Regierung noch mit dem Bundespräsidenten, den Landeshauptleuten und der Opposition konferieren – per Video, kurz vor der finalen Verkündung des Lockdown II/2020. Es wird eine Pressekonferenz geben, natürlich. Am Abend soll sich der Kanzler dann auch noch mit einer Ansprache ans Volk wenden. Um die Details der Maßnahmen wurde aber bis zuletzt gerungen – nicht nur zwischen ÖVP und Grünen, auch innerhalb der Parteien.

Rückblende: Am Donnerstag, beim Ampel-Kommission-Treffen, werden Bruchlinien erkennbar. In dem Gremium sitzen Experten, aber auch Vertreter der Länder und mancher Ministerien. Der Beauftragte des Bildungsministeriums will während der Sitzung einen gemeinsamen Grundsatzbeschluss erwirken – eine Empfehlung der Corona-Kommission, dass die Schulen offen bleiben sollen. Das fordert Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) schon immer.

Vertagt auf Montag

Um 16.40 Uhr – kurz nachdem ganz Österreich auf der Corona-Ampel rot geschaltet wurde – startet die Diskussion darüber. Auch die Länder drängen darauf, dass Schulen und Kindergärten offen bleiben – komme, was wolle. So empfiehlt es im Übrigen auch die WHO. Doch das Kanzleramt legt sich quer.

Der Vertreter des Kanzleramts sagt, er könne dem jetzt nicht zustimmen. Er empfiehlt stattdessen eine Vertagung auf kommende Woche. Der Vertreter des Bildungsministeriums drängt auf eine Entscheidung. Doch das Kanzleramt setzt sich durch. Bis Montag will die Corona-Kommission nun den Beschluss fassen – nachdem die neuen Maßnahmen längst verkündet sein werden.

Das zeigt: In die konkreten Entscheidungen über den neuerlichen Lockdown sind nur wenige eingebunden – die Regierungsspitze und ihre Berater. Auf beiden Seiten sollen die Nerven zwischenzeitlich ziemlich blank gelegen sein.

Weniger harmonisch

Die Opposition weiß hingegen bis zuletzt von nichts. SPÖ, FPÖ und Neos wollen sich deshalb möglichst vereint präsentieren. Da tun sich Rot und Pink allerdings mit den Freiheitlichen gar nicht so leicht – am Samstagvormittag werden sich SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner und Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger deshalb zu zweit an die Öffentlichkeit wenden. Sie wollen von der Regierung mehr Daten und Begründungen für die Maßnahmen einfordern als noch im Frühjahr. Darin ist man sich einig.

Fest steht deshalb auch: In den zweiten Lockdown wird die heimische Politik weniger harmonisch gleiten als in den ersten.

Die Länder – oder vor allem die rot-geführten Länder – fühlen sich ähnlich schlecht informiert. "Mit uns hat sich noch niemand in Verbindung gesetzt", sagt der Sprecher von Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ). Das Gleiche hört man aus Wien und dem Burgenland. In der Steiermark klingt das schon ganz anders: "Der Werkzeugkasten liegt offen, und es muss allen klar sein, was gebraucht wird", heißt es im Büro des schwarzen Landeshauptmanns Hermann Schützenhöfer. "Natürlich" gebe es interne Gespräche und Telefonate. Es werde eigentlich "ständig geredet".

Aber warum wird die Öffentlichkeit nun eigentlich erst am Samstag konkret informiert? In der Regierung wird das vor allem damit erklärt, dass man diesmal die Maßnahmen erst verkünden will, wenn auch eine Verordnung vorliegt – und die kann erst fertig sein, wenn alle Details geklärt sind. Hinzu kommt, dass für Ausgangsbeschränkungen die Einbindung des Parlaments notwendig ist (siehe Wissen).

Versuchslabor Kuchl

Zumindest eine kleine Gemeinde im Salzburger Tennengau ist auf alles, was auf Österreich nun zukommt, schon vorbereitet: Kuchl. Am Sonntag, Punkt Mitternacht, endet dort die zweiwöchige Quarantäne, die das Land über den Ort verhängt hatte. Recht viel länger hätte es die Bevölkerung auch nicht mehr ausgehalten, sagt Bürgermeister Thomas Freylinger (ÖVP).

Wenn man so will, war Kuchl ein Versuchslabor dafür, ob drastische Maßnahmen den gewünschten Effekt haben. Zumindest in diesem Fall heißt die Antwort: ja. 74 aktiv infizierte Personen verzeichnet Kuchl mit Stand Freitag, Mitte Oktober waren es noch 131.

Eine wirkliche Erklärung, warum es ausgerechnet seinen Ort Anfang Oktober so hart getroffen hat, kennt Freylinger bis heute nicht: "Virologen haben mir gesagt, ihr seids einfach dem Rest des Landes zwei Wochen voraus." (Katharina Mittelstaedt, Fabian Schmid, Michael Völker, Walter Müller, Michael Simoner, 31.10.2020)