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Auch am Freitagabend wurde in Warschau wieder demonstriert.

Foto: Reuters / Kacper Pempel

Seit Tagen schon protestieren zehntausende Polinnen und Polen im ganzen Land – und ihre Wut lässt nicht nach. Seit das Verfassungsgericht vor gut einer Woche ein Urteil gefällt hat, das Polens ohnehin strenges Abtreibungsgesetz weiter verschärfen soll, finden Protestaktionen statt. Die Leute sprühen Slogans auf Straßen und an Gebäude, legen ihre Arbeit nieder, halten in Gottesdiensten Plakate hoch und gehen immer wieder auf die Straße. Für Freitagabend war in der Hauptstadt Warschau eine weitere Großkundgebung geplant.

Die Protestwelle folgte auf ein Urteil, das die Abtreibung kranker Föten als verfassungswidrig erklärt. Sobald dieses Urteil offiziell veröffentlicht wird, ist eine Abtreibung in Polen nur noch dann legal, wenn die Schwangerschaft die Gesundheit der Mutter gefährdet oder auf eine Vergewaltigung zurückzuführen ist. Dabei spricht sich eine große Mehrheit der Polinnen und Polen seit Jahren gegen ein strikteres Abtreibungsgesetz aus. Laut einer Umfrage unterstützen nur 13 Prozent der Bürgerinnen und Bürger das Urteil des Verfassungsgerichts.

Warten auf die Wahlen

Die Wut auf der Straße richtet sich in erster Linie gegen das Regierungslager, denn das Verfassungsgericht gilt als politisch abhängig. Seine Präsidentin hatte das Urteil zum Abtreibungsgesetz zuvor verschoben – auf einen Termin nach den jüngsten Wahlen. Kritiker interpretieren das als Wunsch von Jarosław Kaczyński, Chef der nationalkonservativen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS). Das Urteil gilt als Zugeständnis an die rechten Regierungsideologen, die seit langem eine Verschärfung des Abtreibungsgesetzes forderten.

Die Atmosphäre im Land wird nun immer angespannter. Von Beginn an benutzen die Demonstrierenden auch vulgäre Sprache. Auf vielen Plakaten steht unter anderem das allgemein verständliche und an die Regierungspartei gerichtete "PiS off". Am Mittwoch wendete sich Kaczyński mit einer Videobotschaft an Mitglieder und Unterstützer der Partei: "Wir müssen uns wehren. Wir müssen die polnischen Kirchen verteidigen, um jeden Preis", forderte er. Andernfalls werde es einen Angriff geben, der Polen zerstören werde. Bei den Protesten in Breslau am darauffolgenden Tag schlugen Nationalisten Demonstrantinnen zusammen.

Während die Kundgebungen stattfinden, steht das polnische Gesundheitssystem am Rande des Zusammenbruchs. Am Freitag meldeten die Behörden 21.629 Neuinfektionen an nur einem Tag, so viele wie noch nie in Polen. Öffentlich-rechtliche und regierungsnahe Medien beschuldigen nun die Demonstrierenden, die Zahl der Infektionen weiter nach oben zu treiben. Der Landesstaatsanwalt erklärte, die Organisatorinnen der Proteste müssten zur Verantwortung gezogen werden.

Sinkende Zustimmung

Aus dem Regierungslager kommen aber auch pragmatische Botschaften. Präsident Andrzej Duda und Ministerpräsident Mateusz Morawiecki fordern, dass so schnell wie möglich präzisiert wird, in welchen Fällen abgetrieben werden darf. Duda erklärte, dass Frauen nicht zu "heroischen Entscheidungen" gezwungen werden sollten.

Die PiS hat indes an Unterstützung eingebüßt. Eine Umfrage zeigt, dass nur 26 Prozent der Befragten für sie stimmen würden. Vor den Protesten lag die Unterstützung gut zehn Prozentpunkte höher. (Olivia Kortas aus Warschau, 30.10.2020)