Im Gastkommentar erläutert Laura Bronner, Quantitative Editor von Fivethirtyeight, was sich seit 2016 geändert hat.

Es ist knapp vor der US-Wahl, und manchen kommt es vor wie ein Déjà-vu: Donald Trump ist in den Umfragen unterlegen, aber könnte er nicht doch – wie 2016 – überraschend gewinnen? Unwahrscheinliche Ereignisse passieren zwar regelmäßig, trotzdem hat Joe Biden heute bessere Chancen als Hillary Clinton damals.

Der Herausforderer. Joe Biden, Demokrat und Vizepräsident unter Barack Obama, will Präsident werden.
Foto: AFP / Jim Watson

Vier Gründe, wieso es 2020 um Biden besser steht als 2016 um Clinton:

1. Bidens Vorsprung ist größer und stabiler als jener Clintons.

Sieht man sich die Umfragetrends an, wird schnell klar: Bidens Führung in nationalen Umfragen sieht nicht aus wie jene Clintons. Obwohl sie im Durchschnitt auch fast durchgehend vorne lag, schwankte der Vorsprung: Ende September schrumpfte er zeitweise auf circa einen Prozentpunkt. Gegen Ende des Wahlkampfes lag sie dann drei Prozentpunkte vor Trump. Im Gegensatz zu ihr lag Biden seit Sommer nie weniger als 6,6 Punkte vor Trump, und in den letzten Wochen ist der Vorsprung auf neun Punkte gestiegen.

Grafik: DER STANDARD

2. Es gibt weniger unentschlossene Wähler als 2016.

Am 31. Oktober 2016, also eine Woche vor der Wahl, gaben circa 45 Prozent der Wähler in Umfragen an, Clinton wählen zu wollen – und 41 Prozent Trump. Rund 14 Prozent waren also unentschlossen oder gaben an, für Drittparteien stimmen zu wollen. Im Gegensatz dazu lag Biden am Dienstag, dem 27. Oktober 2020, in den Umfragen bei 52 Prozent und Trump bei 43 Prozent; es gibt also nur circa fünf Prozent Unentschlossene und Kleinparteienwähler.

2016 war es nämlich genau so, dass Trump vor allem bei Wählern, die sich spät entschieden, punkten konnte: zum Beispiel in Wisconsin, wo 59 Prozent der Wähler, die sich in der letzten Woche entschieden, Trump wählten und nur 30 Prozent Clinton. Dieses Jahr ist der Pool der potenziellen Wähler, aus denen Trump noch schöpfen konnte, viel kleiner – sogar wenn er alle Unentschlossenen für sich gewinnen sollte, läge er immer noch hinter Biden.

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Hillary Clinton, ehemalige Außenministerin und First Lady, verlor 2016 überraschend.
Foto: AP / Patrick Semansky

3. Die Umfragen in den Bundesstaaten sind besser geworden.

Es geht ja in den USA eigentlich nicht um nationale Wahlen; im Endeffekt zählt, wie die Kandidaten in den einzelnen Bundesstaaten abschneiden. Und genau da lagen die Umfragen 2016 daneben (im Gegensatz zu den Umfragen auf nationaler Ebene, wo sie sogar besser waren als normalerweise): Sie unterschätzten Trump um durchschnittlich fünf Prozentpunkte, darunter in so wichtigen Swing-States wie Wisconsin, Michigan und Pennsylvania, dank deren Trump die Wahl im Electoral College gewann. Was ist da passiert?

Meinungsforscher gewichten Umfragestichproben, um sie der Bevölkerungszusammensetzung anzupassen. Bis 2016 hatte Bildung allerdings unabhängig von Alter, Ethnie, Einkommen und Region keinen eigenständigen Effekt auf das Wahlverhalten und war somit nicht in die Gewichtung eingebunden. 2016 war das anders: Sogar wenn man andere Faktoren mit einbezog, wählten Wähler ohne Hochschulabschluss eher Trump als die mit Hochschulabschluss – und genau diese Wähler waren in Umfragen unterrepräsentiert. So wurde Trump unterschätzt. Dieser Fehler wurde 2020 aber von den meisten Meinungsforschern behoben. Das heißt natürlich nicht, dass Umfragen dieses Mal genau richtig liegen werden – aber immerhin ist dieses Problem gelöst.

4. Viele haben schon gewählt.

Wegen der Corona-Pandemie haben viele Amerikaner bereits gewählt – entweder per Briefwahl oder an "Early-Voting-Locations". Eine Woche vor der Wahl haben bereits halb so viele Menschen gewählt wie 2016 insgesamt. Das verringert wiederum die Wahrscheinlichkeit, dass etwaige Last-Minute-Überraschungen – wie zum Beispiel die von FBI-Direktor James Comey elf Tage vor der Wahl 2016 öffentlich gemachte Wiederaufnahme der Untersuchung zu Clintons E-Mail-Server – das Rennen noch stark beeinflussen können.

Und zwei Gründe, wieso es doch noch viel Unsicherheit gibt:

1. Das Coronavirus macht alles komplizierter.

Nicht nur das Wählen selbst, sondern auch die Wahlvorhersage. Wenn Menschen ganz anders wählen als in vergangenen Jahren, ist es aus den frühen Zahlen kaum herauszulesen, wie sich die Parteien schlagen. Man kann zum Beispiel aus Parteiregistrierungszahlen nur sehr schwer herauslesen, ob Demokraten bei den abgegebenen Stimmen auch wirklich so einen Vorsprung haben wie in den Umfragen. Und ein Anstieg an Covid-19-Fällen in der nächsten Woche könnte dazu führen, dass Menschen, die sonst immer wählen, diesmal zu Hause bleiben.

Donald Trump, der Kandidat der Republikaner, will im Weißen Haus bleiben.
Foto: AFP / Mandel Ngan

2. Um die Spielregeln wird noch gestritten.

Obwohl wir uns eigentlich schon mitten in der Wahl befinden, wird noch um die Regeln gestritten: Neue Gesetze, die erst unlängst verabschiedet wurden, werden wiederholt von Gerichten infrage gestellt und zum Teil wieder gekippt. In Pennsylvania zum Beispiel ist es noch offen, ob Wahlkarten, die erst nach dem 3. November ankommen, gezählt werden dürfen; in Texas ist es unklar, wie viele Wahlkartenempfangsstellen es pro County geben darf. Einige dieser Entscheidungen – sowie die Angelobung der neuen Höchstrichterin Amy Coney Barrett – könnten außerdem dazu führen, dass auch nach der Wahl umstritten sein könnte, welche Stimmen überhaupt gezählt werden dürfen. Dieses Chaos macht es umso schwerer, die Wahlbeteiligung im Voraus zu schätzen – und kann auch dazu beitragen, Menschen vom Wählen abzuhalten, wenn es zu kompliziert erscheint. Und das trägt wiederum zur Unsicherheit bei.

Wie soll man also Bidens Chancen einschätzen? Freitagnachmittag gibt Fivethirtyeight Trump eine zehnprozentige Chance, die Wahl zu gewinnen. Das ist nicht einmal halb so viel wie 2016, als er am Wahlvorabend bei 29 Prozent stand. Wie wir allerdings spätestens seit damals wissen, kann es auch durchaus sein, dass Ereignisse bei einer 29-prozentigen Wahrscheinlichkeit doch passieren. Und bei einer zehnprozentigen Wahrscheinlichkeit? Da passieren sie halt ein Drittel so oft. (Laura Bronner, 31.10.2020)