Bei der gegenwärtigen Fixierung auf Infektionszahlen und Intensivbettenkapazitäten im Zuge der Pandemie werden leider Nebeneffekte und andere zentrale Zukunftsthemen überlagert. Medizinisch wird alles erdenklich Mögliche getan, um der Situation Herr zu werden, während auf sozialer und ökonomischer Ebene eine vielleicht dramatischere Krise droht, deren Folgen noch schwerer abzuschätzen sind. Die psychosoziale Komponente spielt im Krisenstab der Regierung anscheinend kaum eine Rolle. Themen wie der Arbeitsmarkt oder die stetig größer werdende Kluft zwischen Arm und Reich wurden schon vor Corona politisch nicht wirklich beachtet.

Sozialdemokratie beim Samariterbund

Wo ist nun eine starke Sozialdemokratie? Die Antwort ist leicht. Sie hilft einmal die Woche beim Samariterbund. Eine durchaus ehrenvolle und für einen Politiker mehr als sinnvolle Aktivität. Wo sind jedoch die revolutionären Forderungen nach einem bedingungslosen Grundeinkommen, einer nachhaltigen Vermögenssteuer für die Förderer der Volkspartei und ein Aufruf zur Systemdebatte? In Zeiten wie diesen werden sich Fragen bezüglich der Umverteilungsthematik und ebenso nach den Flüssen des Finanzkapitals immer mehr stellen. Demos gegen Bill Gates und George Soros mit antisemitischem Beigeschmack stellen nur das Symptom eines sprichwörtlichen Pulverfasses aus aufkeimender Angst, Frustration und, in trauriger Konsequenz, auch Hass dar. In diesem Zusammenhang wäre es umso zentraler, eine vernünftige Kraft links der Mitte zu haben, die diesen Menschen fernab von Propaganda eine Stimme und, was psychodynamisch noch viel wichtiger ist, ein Ventil gibt.

Wo bleibt die linke Kraft in der Politik?
Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Rendi-Wagner und die Ironie des Schicksals

Die Corona-Pandemie, so schrecklich sie für viele Menschen ist, wäre eigentlich ein aufgelegter Elfmeter für eine Politikerin oder einen Politiker mit fachlich profunder, praktischer Expertise. Pamela Rendi-Wagner mag und mag es nicht gelingen ihr Potenzial zu zeigen, obwohl der neoliberale Bundeskanzler quasi ein idealer Reibebaum für einen echten Sozialdemokraten sein müsste. Man stelle sich ein Aufeinandertreffen zwischen dem Regierungschef und Oskar Lafontaine oder Sahra Wagenknecht, unabhängig vom diesfalls gegenüberliegenden intellektuellen Anspruchsniveau, vor. Sofern man sich auf eine offene Konfrontation einlassen würde, kämen Beraterfloskeln und einstudierte Politchoreografien an ihre Grenzen.

Mit politischen Plattitüden und Alibiaktionen wird man beim Wähler keinen Blumentopf und schon gar keine richtungsentscheidende Wahl gewinnen. Es wäre an der Zeit den Klassenkampf zumindest in ähnlich politstrategischer Form auszurufen, wie der ÖVP-Chef dies mit seinem neoliberalen Modell getan hat. Dafür dürfte die SPÖ aber aktuell zu bieder und angepasst sein. Die intermittierende Arbeit der SPÖ-Chefin in ihrem Brotberuf ist geringstenfalls sozial erwünscht und sorgt für “15 minutes of fame“. In der Politik gab es bereits zahlreiche Kandidaten, die zwar nicht - wie ein einstiger Finanzminister - zu schön und zu intelligent für die Politik waren, aber immerhin zu “klug“ für das Metier. Von Erhard Busek bis zum bereits genannten Lafontaine reicht die Bandbreite und so wie es momentan aussieht, dürfte sich auch die habilitierte Medizinerin in die Community der verkannten Genies einreihen. Der ewige Primus oder die ewige Prima zu sein ist nicht immer von Vorteil. Inselbegabungen im metaphorischen Sinne sind in der Politik nicht gut aufgehoben. (Daniel Witzeling, 5.11.2020)

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