Burgtheater-Direktor Martin Kusej nannte die erneuten Schließungen "eine echte Katastrophe. Und ich habe Mühe, meinen Unmut darüber zu unterdrücken, in welche Kategorien unsere Arbeit und die Arbeit aller anderen Kulturschaffenden dieses Landes eingeordnet werden."

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Wien – Ab kommenden Dienstag müssen alle Theater, Opern- und Konzerthäuser sowie die Museen bis zum 30. November schließen. Im Theater- und Musikbereich freut man sich zumindest, dass Proben sowie Vorstellungen ohne Publikum (etwa zum Streaming) möglich bleiben. Bei den Museen wird dieser Schritt mehrheitlich kritisch gesehen, da sie in einem früheren Entwurf der Verordnung ausgenommen waren. Die Kehrtwende bescherten Verfassungsjuristen, wie der STANDARD in Erfahrung brachte. Erfolgreiche Präventionskonzepte hin oder her, sie orteten eine Ungleichbehandlung zu anderen Freizeiteinrichtungen.

Staatsopern-Direktor Bogdan Roscic stellte etwa klar: "Wir müssen nicht mehr über Theatervorstellungen reden, wenn schon abendliche Ausgangssperren verhängt werden." Oberstes Ziel sei nun, die gerade in Proben befindlichen Neuproduktionen möglichst im Dezember zur Premiere zu bringen.

Auch Bundestheater-Holding-Geschäftsführer Christian Kircher stellt sich hinter die Maßnahmen: "Der Lockdown – so schmerzlich er ist – ist auch aus Sicht der Bundestheater nachvollziehbar. [...] Wir müssen uns der Realität stellen, dass es ein übergeordnetes Interesse gibt: die Gesundheit der Bevölkerung."

Bühnen: "Eine echte Katastrophe"

Burgtheater-Direktor Martin Kusej äußerte "bei allem Verständnis für gewisse Regelungen" auch Kritik. Die erneuten Schließungen seien für die Kultur "eine echte Katastrophe. Und ich habe Mühe, meinen Unmut darüber zu unterdrücken, in welche Kategorien unsere Arbeit und die Arbeit aller anderen Kulturschaffenden dieses Landes eingeordnet werden."

Im Musikverein zeigte sich der neue Intendant Stephan Pauly betroffen: "Die Gesellschaft der Musikfreunde bedauert sehr, dass bis 30. November keine Konzerte im Musikverein stattfinden können." Kollege Matthias Naske vom Konzerthaus stellte ebenfalls klar: "Das erneute Veranstaltungsverbot trifft uns hart. Mit einem Strich wird monatelange Arbeit an einem modifizierten und der Situation angepassten Spielplan vom Tisch gefegt."

Naske erwähnt nicht nur den finanziellen Aspekt: "Die kurzfristige Veröffentlichung eines erneuten Veranstaltungsverbots ist sehr schmerzhaft. Dass das Wiener Konzerthaus dabei allein im November 2020 bei einem Umsatzverlust von 2 Millionen Euro eine halbe Million an Deckungsbeitrag verliert, ist aber nur ein Teil des Problems. Noch gravierender als der Verlust für die Institution ist die existenzbedrohende Dimension für hunderte Musikerinnen und Musiker, für freie Technikerinnen und Techniker und für all die Betriebe, die im Hintergrund ein Funktionieren der kulturellen Einrichtungen sichern."

Kritiker Föttinger: Schwerer Rückschlag

Seine Stimme war während des ersten Lockdowns besonders laut: Für Josefstadt-Direktor Herbert Föttinger sind die neuerlichen Schließungen von Theatern, Museen und Kinos ein "schwerer, schwerer Rückschlag für die Kultur." Zumal die Präventions- und Hygienekonzepte im Kulturbereich besonders gut gegriffen hätten und es zu keinen dokumentierten Ansteckungen gekommen sei. "Ich bin erschüttert", sagt Föttinger, zeigt aber auch Verständnis, dass die Politik angesichts der hohen Fallzahlen handeln musste: "Ich hätte mir allerdings gewünscht, dass man differenzierter vorgeht." Die gesamte Kultur runterzufahren, hält Föttinger für einen Fehler. "Das ist eine Form von Symbolpolitik, die sehr gut zeigt, welchen Stellenwert Kultur in der Kulturnation Österreich hat."

Kunst- und Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer nimmt er von seiner Kritik aber dezidiert aus: Mit ihrem Brief an Kulturschaffende habe sie glaubwürdig gezeigt, dass ihr die Branche am Herzen liege. "Jetzt ist es wichtig, dass die Verluste kompensiert werden. Und zwar unbürokratisch und in voller Höhe." Die nächste Premiere steht in der Josefstadt am 10. Dezember auf dem Programm. Ob diese stattfinden könne, weiß derzeit niemand: "Wir proben aber weiter," so der Josefstadt-Direktor.

Mayer meldete sich am Samstagnachmittag mit einem Schreiben direkt an die Betroffenen der Szene: Sie bedaure die kommenden Schließungen zutiefst. "Geschlossene Kulturbetriebe sind eine Katastrophe. Sie sind aber derzeit notwendig, um eine noch größere Katastrophe zu verhindern", schrieb Mayer. "Auch mir blutet deshalb das Herz." Weiters bedankte sie sich bei allen Beteiligten "für ihre unermüdliche Arbeit an den Sicherheits- und Präventionskonzepten". Sie werde weiterhin daran arbeiten, genügend Unterstützungsmöglichkeiten zu bieten. "Mein erklärtes Ziel ist es, diese Landschaft in ihrer ganzen kreativen Kraft und Vielfalt zu erhalten", so Mayer.

Bühnen: Appell und Schock

Bernhard Günther, künstlerischer Leiter des Festivals Wien Modern, appelliert an die Kulturszene. Die Bundesregierung verlange seit Monaten vom Kulturbereich einen extrem virtuosen Umgang "mit den brutalsten Rotstiften und den feinsten Skalpellen. Der Kultursektor hat in seinem Verantwortungsbereich alles getan, um alle Aufgaben zu meistern und über Monate hinweg die unmöglichsten Leistungen zu erbringen." Ich appelliere jetzt dafür, wirklich überall, von den großen Häusern bis zur freien Szene, quer durch alle künstlerischen und stilistischen Bereiche, eine strenge Rechnung zu machen und die wahren Kosten auf den Tisch zu legen", so Günther.

Man müsse von einer "existenzbedrohlichen Krise der Kulturnation Österreich" sprechen. Und auch in Linz zeigte sich LIVA-Chef Dietmar Kerschaum überzeugt, dass es möglich gewesen wäre, den Kulturbetrieb aufrechtzuerhalten.

Roland Geyer, Intendant des Theaters an der Wien, zeigt sich enttäuscht: "Ich bin persönlich wirklich schockiert über die restriktive Ausgangsbeschränkung zwischen 20.00 und 6:00 Uhr. Dadurch ist ein Spielbetrieb im Theater sowieso unsinnig. Ich bin allerdings froh, dass wenigstens der Probenbetrieb erlaubt ist. Damit ist die Chance gegeben, nach Beendigung des Lockdowns sofort wieder Aufführungen durchführen zu können."

Franz Patay, Geschäftsführer der Vereinigten Bühnen Wien (VBW) und Präsident des Wiener Bühnenvereins, zeigte sich kritisch gegenüber der verhängten Sperre aller Theaterhäuser. "Mir ist im Kulturbereich kein Cluster im Publikum bekannt", so Patay. Schließlich hätten alle Mitglieder des Bühnenvereins strenge Präventions- und Hygienekonzepte umgesetzt, die vom Publikum auch penibel angenommen und umgesetzt worden seien.

Museen: Verständnis und Bedauern

Die Museumsbranche reagierte ambivalent auf die erneuten Schließungen: Verständnis kam von Belvedere-Generaldirektorin Stella Rollig dafür, dass in Zeiten des allgemeinen Lockdowns auch die Museen geschlossen würden. Die Eindämmung der Coronainfektionen habe absolute Priorität: "Jetzt gilt es, die Zeit der Schließung bestmöglich zu nutzen."

Auch Peter Aufreiter, Direktor des Technischen Museums Wien und derzeit Vorsitzender der Bundesmuseenkonferenz, zeigte sich wenig überrascht von den Maßnahmen: "Wenn die Experten drastische Maßnahmen empfehlen, tragen wir das natürlich mit." Natürlich wolle niemand zusperren, aber das sei nun eben wohl notwendig.

Wolfgang Muchitsch, Leiter des steirischen Universalmuseum Joanneum sieht die Schließung als eine "Notwendigkeit" – dennoch die Maßnahme eine sehr traurig für alle Beteiligten. Wichtig sei es dieses Mal, dass die Häuser früh genug ein Signal bekämen, wann sie wieder öffnen dürfen.

Direktorin des Linzer Lentos, Hemma Schmutz, bedauert die Schließung ebenso, könne die Entscheidung aber nachvollziehen. Schmutz lobte – wie auch einige ihrer Kollegen und Kolleginnen – das kämpferische Bemühen von Staatssekretärin Mayer um die Kunst- und Kulturszene. Man fühle sich trotz allem unterstützt, so der Tenor.

Museen: Kritisch und optimistisch

Kritische Stimmen kamen unterdessen aus manch anderem Museum. Sabine Haag, Generaldirektorin des Kunsthistorischen Museums Wien (KHM), unterstrich, dass sie "natürlich nicht" einverstanden sei mit der Entscheidung der Politik, im Zuge des Lockdowns nun auch die Ausstellungshäuser zu schließen. "Wir sind sehr getroffen, dass die Museen schließen müssen", so Haag.

In dieselbe Kerbe schlug auch Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder. Er sei "enttäuscht und traurig", dass die Museen "entgegen dem Entwurf der Verordnung nun doch geschlossen werden müssen". Man habe verabsäumt, die Voraussetzungen differenziert zu betrachten.

"Warum Einkaufszentren weiterhin geöffnet haben dürfen, Museen aber zusperren müssen, versteht kein Mensch", schließt sich Thorsten Sadowsky, Direktor des Museum der Moderne in Salzburg, der Kritik an. Und verweist darauf, dass die Kunsteinrichtungen durchaus mit den nun geltenden Ausgangsbeschränkungen kompatibel seien.

Wenig erfreut zeigte sich auch ICOM Österreich, das Österreichische Nationalkomitee des UNESCO-assoziierten International Council of Museums. ICOM Österreich-Präsidentin Bettina Leidl ist der Meinung, dass die Museen als wichtige außerschulische Bildungseinrichtungen offen hätten bleiben können. Dennoch habe sie Verständnis für die Dramatik der Situation und hofft, dass Anfang Dezember wieder eröffnet werden kann. Generell sieht Leidl die geplante Kompensation von 80 Prozent des Umsatzes aus dem November des Vorjahres aber als eine deutliche Verbesserung zur Situation im März.

Ebenfalls zusperren müssen Projekträume und Kunstvereine, da dort gezeigte Ausstellungen unter das Veranstaltungsverbot fallen. Galerien dürfen als kommerzielle Räume geöffnet bleiben.

Kino: Keine ultimative Katastrophe

In der Kinobranche will man von der ultimativen Katastrophe nicht sprechen. Das liegt zum einen an der angekündigten finanziellen Ausfallentschädigung, mit der man Verluste auszugleichen hofft. Für die Multiplexe, die ohnehin unter den zahlreichen Verschiebungen von US-Blockbustern leiden, bietet sich so möglicherweise sogar die Gelegenheit, bis zum lukrativeren Weihnachtsgeschäft durchzutauchen.

Votiv-Kinobetreiber und Arthouse-Verleiher Michael Stejskal drängt darauf, nicht nur die "geschlossenen Häuser" zu entschädigen, sondern auch die "mittelbar getroffenen" Künstler, die nun keinen Umsatz mehr machen. Was den Kinobesuch anbelangt, hofft er, dass sich nach dem unvermeidlichen Lockdown wieder eine "unaufgeregtere Stimmung" durchsetzt: "Der Vorteil zum ersten Lockdown ist diesmal, dass man einen Termin hat, zu dem das Programm hinplanen kann. Das macht vieles leichter", sagt Stejskal. Wichtig sei zudem, dass Kino (und Theater) zu den relativ gefahrlosen öffentlichen Orten zählen. "Ich hoffe, das sich das Bewusstsein dafür festigt."

Für den Filmmuseum-Direktor Michael Loebenstein liegt genau in dieser Verunsicherung des Publikums die größte Gefahr für die Zukunft der Kinos, vor allem jene der kommerziellen: "Niemand weiß, wie lang es dauern wird, das Vertrauen des Publikums wiederherzustellen." Im Filmmuseum selbst, das als gemeinnützige Einrichtung weniger gefährdet ist, hat man im Sommer sogar ein Publikumshoch verzeichnen können. "Viele ältere Stammgäste blieben fern, dafür haben wir auch ein neues, jüngeres Publikum gewonnen", so Loebenstein. Für den Dezember plant man ein modularer Programm aus der eigenen Sammlung, um das Risiko von wirtschaftlichen Ausfällen vermeiden zu können.

"Der blanke Wahnsinn" nennt Christian Dörfler, Präsident des Österreichischen Kinoverbands, hingegen die erneute Schließung. "Alle Statistiken zeigen, dass es in keinem einzigen Kino europaweit nachweislich eine Ansteckung gegeben hat, weil alle perfekte Maßnahmen gesetzt haben", so Dörfler.

Bibliotheken bleiben offen

Als einer der wenigen der Kultur zugeordneten Orte bleiben Bibliotheken weiterhin geöffnet. Johanna Rachinger, Generaldirektorin der Nationalbibliothek, unterstrich gegenüber dem "Kurier" (Sonntagsausgabe): "Um studieren zu können, müssen die Bibliotheken zugänglich bleiben." Wegen der Ausgangssperre werden aber wohl die Öffnungszeiten um zwei Stunden auf 19 Uhr vorverlegt.

Die Museumsschließungen trage sie – nicht zuletzt aufgrund des massiven Besucherrückgangs – mit. So habe die Nationalbibliothek vom Prunksaal bis zum Literaturmuseum einen Rückgang von fast 90 Prozent gegenüber dem Vorjahr verzeichnet, "sodass ich mir keinen großen Andrang im November erwarten würde. Einen Lockdown von vier Wochen kann man mittragen." (APA, hil, kam, kr, kron, tos, 1.11.2020)