Bei den Demokraten gibt es Optimisten, die sind fest davon überzeugt, dass Jaime Harrison am Dienstag in South Carolina einen Überraschungssieg landet. Der 44-jährige Afroamerikaner tritt gegen Lindsey Graham an, an dessen Favoritenrolle normalerweise kaum jemand zweifeln würde. Der Republikaner alter Schule ist so etwas wie der Platzhirsch, seit 2002 ist er Senator.

Bis vor Kurzem schien sicher, dass Graham am 3. November für weitere sechs Jahre im Amt bestätigt wird. Doch laut aktuellen Umfragen läuft es nun auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen hinaus.

Donald Trump am 4. Februar 2020 bei seiner – womöglich letzten – Rede zur Lage der Nation vor beiden Kongresskammern. Diese sind de facto ein Machtzentrum der US-Politik.
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Schreibt South Carolina Geschichte?

Sollte Harrison tatsächlich siegen, wäre es ein Kapitel für die Geschichtsbücher. Dann wäre South Carolina, im Bürgerkrieg einer der Südstaaten, die an der Sklaverei festhielten, durch zwei schwarze Politiker im Senat vertreten: Durch Tim Scott, einen aufstrebenden Konservativen, und Jaime Harrison – einen Demokraten mit einer Biografie, wie sie in einer Werbebroschüre für den viel zitierten, in Wahrheit allzu oft enttäuschten amerikanischen Traum stehen könnte.

Pragmatiker der Mitte mit unverhofften Siegenchancen in South Carolina: Jamie Harrison.
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Aufgewachsen bei einer alleinerziehenden Mutter, die erst 16 war, als er geboren wurde, schaffte er dank eines Stipendiums den Sprung auf die elitäre Yale-Universität. Später arbeitete er für James Clyburn, einen schwarzen Abgeordneten, der heute zu den profiliertesten Parlamentariern in Washington gehört.

Wie sein Mentor Clyburn steht Harrison für die Kompromissbereitschaft der politischen Mitte. Seinen Pragmatismus, sagt er, habe er wohl von seinen Großeltern, die noch Zeiten kannten, in denen der Ku Klux Klan Angst und Schrecken verbreitete: In deren Augen habe jeder noch so kleine Schritt nach vorn Fortschritt bedeutet.

Platzhirsch mit Glaubwürdigkeitsproblem

Jedenfalls rechnet sich Harrison Chancen aus, mit Graham einen Altgedienten zu entthronen, dessen Glaubwürdigkeit zuletzt schwer gelitten hat: Als Präsident Barack Obama 2016 einen Richterkandidaten für einen vakanten Posten am Supreme Court nominierte, warnte Graham, in einem Wahljahr sei es keine gute Idee, eine derart wichtige Entscheidung zu treffen. Damit warte man besser bis nach dem Votum. Falls demnächst wieder ein Höchstrichter in einem Wahljahr sterben sollte, könne man sich ruhig auf ihn berufen.

Als mit dem Tod Ruth Bader Ginsburgs jetzt eintrat, worüber er seinerzeit spekulierte, wollte Graham nichts mehr davon wissen. Vielmehr drückte er als Vorsitzender des Justizausschusses im Senat, aufs Tempo, um die von Donald Trump berufene Amy Coney Barrett noch vor dem Urnengang im Obersten Gerichtshof einziehen zu lassen. Ob die Bürger South Carolinas das Wendemanöver bestrafen, ist eine der spannendsten Fragen der anstehenden Kongresswahlen.

Vielleicht wird das Ende der Senatorenkarriere von Lindsey Graham nach 18 Jahren am Dienstag eingeläutet?
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Im Schatten, aber deswegen nicht unwichtig

Auch wenn diese Teil-Kongresswahlen im Schatten des Duells ums Weiße Haus stehen, entscheiden sie doch darüber, wie viel der neue (oder alte) Präsident künftig durchsetzen kann; ob aus seiner Agenda Gesetze mit Langzeitwirkung werden oder ob er sich – gegen den Widerstand der Legislative – mit Verordnungen begnügen muss, die sein Nachfolger per Federstrich wieder aufheben kann.

Falls die Meinungsforscher nicht irren, werden die Demokraten ihre Mehrheit im Abgeordnetenhaus behaupten, womöglich sogar ausbauen. Sollte Joe Biden gewinnen, wäre es für ihn eine wichtige Stütze. Wirklich ehrgeizige Vorhaben könnte er aber nur in Angriff nehmen, wenn seine Partei auch die Majorität im Senat erobert.

Konkret: Die Demokraten müssen den Republikanern netto mindestens drei Mandate abnehmen, um die Mehrheit zu erlangen. Da nur ein Drittel der 100 Senatssitze neu vergeben wird, wäre es eine kleine Sensation, sollte ihnen das gelingen. Was aber nicht heißt, dass es aussichtslos ist.

Im Angriffsmodus

In Arizona, Colorado, Georgia, Iowa, Maine, Montana, North Carolina und eben in South Carolina hoffen die Demokraten auf den Wechsel, während sie in Alabama mit einem Rückschlag rechnen müssen. In Arizona tritt Mark Kelly an, ein Ex-Astronaut, der mit Gabrielle Giffords verheiratet ist, einer ehemaligen Abgeordneten, die 2011 die Kopfschüsse eines Attentäters nur knapp überlebte. In Georgia tritt Jon Ossoff an, ein moderater Reformer, dessen Politikerkarriere unter der Obhut der im Juli verstorbenen Bürgerrechtsikone John Lewis begann.

In Maine will Sara Gideon, Parlamentschefin des Bundesstaats, Susan Collins besiegen, eine gemäßigte Konservative, die Trump zwar oft kritisch gegenübersteht, es aber nur selten wagt, sich offen gegen ihn zu stellen. Und in Montana, eigentlich Trump-Country, hofft Steve Bullock, bisher Gouverneur, auf eine Überraschung. (Frank Herrmann, 1.11.2020)