Seit 2018 dürfen sich Ex-Häftlinge in Florida ins Wählerregister eintragen lassen (Bild), diese Regelung wurde alsbald ad absurdum geführt.

Foto: Imago Images / UPI Photo / Kevin Dietsch

Man braucht nur eine Weile mit David Rucker zu reden, um eine Ahnung davon zu bekommen, wie weit Theorie und Praxis auseinanderklaffen. Rucker engagiert sich bei der Florida Rights Restoration Coalition, einer Organisation, die durchsetzen will, dass Ex-Strafgefangene wählen können.

Theoretisch ist der Fall klar: 2018 haben die Bürger Floridas per Referendum entschieden, dass die Verfassung des Bundesstaats um einen Artikel ergänzt werden soll. Damit bekamen rund 1,4 Millionen Ex-Häftlinge das Wahlrecht zurück, das man ihnen mit ihrer Verurteilung aberkannt hatte. Da Schwarze und Latinos einen höheren Anteil der Gefängnisinsassen stellen als Weiße und sie eher Demokraten wählen als Republikaner, bedeutete es Rückenwind für die Demokraten.

Dann aber beschloss das republikanisch beherrschte Parlament Floridas ein Gesetz, das die Rückkehr zu vollen Rechten an Bedingungen knüpft: Ehe ein ehemaliger Gefangener abstimmen darf, muss er alles abbezahlt haben, was an Gerichtsgebühren und Geldstrafen noch offen ist. Nach Schätzungen von Experten haben drei Viertel der einst Inhaftierten noch Schulden zu begleichen.

Viele sind zu arm, als dass sie es könnten. Das allein wäre wohl ein lösbares Problem, denn es mangelt nicht an Mäzenen, die bereit sind, einzuspringen. Der Milliardär Michael Bloomberg hat der Florida Rights Restoration Coalition 16 Millionen Dollar überwiesen, auch andere Prominente haben gespendet, der Basketballstar LeBron James, der Filmemacher Steven Spielberg, die Sängerin Ariana Grande. Doch der Teufel steckt im Detail.

"Eine Sisyphusarbeit"

Herauszufinden, welche Summe jemand schuldet, erzählt Rucker, erfordere sehr viel Geduld. Ein zentrales Datenregister gibt es in Florida nicht. Man muss sich an den Landkreis wenden, in dem die Straftat begangen wurde. Manchmal, bei mehreren Straftaten pro Delinquent, an mehr als einen. Rucker: "Die reinste Sisyphusarbeit." Bei weitem nicht jede Recherche ende mit einem Ergebnis. In der Buchführung der Kommunen geht es bisweilen chaotisch zu.

Was in Florida geschieht, wiederholt sich so ähnlich auch in anderen Staaten im Süden der USA. Mit dem Argument, Betrugsversuchen zuvorzukommen, stellen manche von ihnen Hürden, die die Bürgerrechtsgesetze der 1960er-Jahre aus dem Weg geräumt hatten, von neuem auf. In Georgia, wo man wie anderswo auch die Eintragung ins Wählerregister beantragen muss, achten Beamte darauf, dass die Unterschrift unter dem Antrag exakt mit der übereinstimmt, die man bereits in den Akten hat. Weicht sie auch nur geringfügig davon ab, kann die Registrierung verweigert werden.

Carlos del Rio versus Carlos delRio

Vor den Kongresswahlen wurden in Georgia 53.000 Wahlanträge auf Halde gelegt, weil die Namen derer, die sie eingeschickt hatten, nicht exakt so geschrieben waren wie in amtlichen Datenbanken. Meist betraf es Schwarze und Latinos. Ein Professor namens Carlos del Rio beispielsweise war – offensichtlich lag es an einem Tippfehler – ursprünglich als Carlos delRio verzeichnet. Ihm zu seinem Wahlrecht zu verhelfen sei ein langer Prozess gewesen, ließ die Initiative Fair Fight wissen. Unter Leitung der Afroamerikanerin Stacey Abrams, einer 2018 knapp unterlegenen Kandidatin fürs Gouverneursamt Georgias, kämpft die Gruppe gegen die Diskriminierung ethnischer Minderheiten.

Was sie nicht verhindern konnte, war eine drastische Reduzierung der Zahl der Wahllokale, vor allem in Gegenden, in denen überwiegend Schwarze leben. Bis vor kurzem hätte Brian Kemp, der konservative Gouverneur, dafür die Genehmigung des US-Justizministers einholen müssen. So schrieb es der Voting Rights Act von 1965 vor, es war die Antwort entschlossener Reformer auf die Rassentrennung im Süden.

Seit das Oberste Gericht 2013 eine entsprechende Klausel kippte, brauchen Staaten wie Georgia, Alabama oder Mississippi nicht mehr auf grünes Licht aus Washington zu warten, wenn sie Änderungen beschließen.

Absurdes Texas

Am weitesten ist in diesem absurden Wahljahr Texas gegangen: Dort entschied der republikanische Gouverneur Greg Abbott, dass pro Landkreis nur eine "drop-off box" aufgestellt werden darf. Der Begriff steht für Wahlurnen, de facto überwachte Briefkästen im Freien, in die man seinen Briefwahlzettel einwerfen kann, ohne ihn der überlasteten Post anzuvertrauen.

Der Supreme Court von Texas gab Abbott recht. Auch im Harris County, dem Verwaltungsbezirk, in dem die Metropole Houston liegt, durfte es demnach nur eine "drop-off box" geben – eine für zweieinhalb Millionen eingetragene Wähler! (Frank Herrmann aus Washington, 2.11.2020)