Tenor Roberto Alagna gab einen schwungvollen Canio.

Foto: Pöhn

Als eines der letzten großen Opernhäuser der Welt spielt die Wiener Staatsoper noch tapfer Repertoire, täglich vor bis zu 1000 Zuschauern. Am Freitagabend war im Netz schon die Kunde durchgedrungen, dass damit im November Schluss sein würde: Generalpause für alle Kultureinrichtungen. Und so war der Beifall nach der Pause und erst recht nach dem Ende der Vorstellung von Cavalleria rusticana und Pagliacci denn auch von einer demonstrativen Dankbarkeit getragen, hier noch dabei sein und Oper live erleben zu dürfen.

Auch Roberto Alagna wurde vom Publikum – darunter auch Altstar Plácido Domingo – mit längeren Dankbezeugungen für den Hit des Abends bedacht, Ridi pagliaccio. Der 57-Jährige begeisterte denn auch im Verlauf des Leoncavallo-Einakters mit seiner schwungvollen Darstellung des Komödiantenprinzipals Canio. Stimmlich erinnerte der Startenor ein wenig an den späten Udo Jürgens: Charakter verschafft sich langsam Zutritt in das Gesamtbild seines Timbres und ergänzt die reine Schönheit da und dort um interessante Facetten.

Bei Aleksandra Kurzaks Nedda war das Verhältnis von vokaler Schönheit und Charakter andersrum gewichtet als bei ihrem Lebenspartner: Kurzaks strohigem Sopran fehlt es in der Höhe doch arg an Politur. Man sah es der sympathischen Polin aber nach, gab sie doch die von gleich drei Männern begehrte Nedda mit Verve, komödiantischem Charme und mitunter auch lustvoll abgezockt.

Stürme der Dramatik

Ambrogio Maestri stellte an diesem Abend die personelle Klammer in diesem Verismo-Doppelpack dar, welcher in der Inszenierung von Jean-Pierre Ponnelle und dem Dirigat von Marco Armiliato gefährlich in Richtung Kitschismo abdriftete. Maestris Tonio (in Pagliacci) und auch sein Alfio (in der Cavalleria rusticana) gerieten leider nur durchschnittlich-brav.

Dafür drehte Eva-Maria Westbroek als Santuzza ordentlich auf: Ihr Stimmmaterial wurde durch die zahllosen Stürme der Dramatik, denen sie es in den Jahrzehnten ihrer langen Karriere aussetzte, zwar schon etwas verschlissen und wirkt verwittert. Aber das große Drama – das kann sie!

Brian Jagde, 2012 bei Domingos Operalia-Wettbewerb entdeckt und denn auch preisgekrönt, beeindruckte als Turiddu mit seinem hellen, festen Tenor, der in Sachen vokale Potenz sogar ein wenig an Domingos ehemaligen Kollegen Luciano Pavarotti erinnerte. (Stefan Ender, 2.11.2020)