Schluss mit nettem Kameralächeln: Dicke Freunde werden Bundeskanzler Sebastian Kurz und Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil wohl nicht mehr.

Foto: Bundeskanzleramt/Tatic

Gewollt oder ungewollt: Die Bundesregierung setzt – anders als beim ersten Lockdown – den politischen Zusammenhalt im Land aufs Spiel. Im März standen alle Parlamentsparteien, alle Landeshauptleute einsichtig und solidarisch hinten den harten Corona-Einschränkungen. Diesmal aber peitscht die Regierung den zweiten Lockdown ohne politischen Konsens durch.

Dass der türkise Bundeskanzler Sebastian Kurz nur seine ÖVP-Landeshauptleute vertraulich in die Lockdown-Vorbereitungen einbezog und die SPÖ-Länder Wien, Burgenland und Kärnten links liegen ließ, hat das ohnehin fragile rot-türkise Verhältnis weiter schwer belastet. Das dokumentieren Auszüge aus einer dem STANDARD vorliegenden Mitschrift der Corona-Videokonferenz der Landeshauptleute mit Kanzler Kurz und der Regierungsspitze kurz vor Verkündung der Lockdown-Maßnahmen.

Bürgermeister Ludwig poltert

Es hat ordentlich gekracht. Als Erster donnerte Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) los: "Ich möchte meinen Ärger darüber ausdrücken, wie mit den Bundesländern umgegangen wird. Eine Verordnung um 1.19 Uhr zu bekommen, aber in vielen PR-Maßnahmen von einem Schulterschluss zu sprechen, das ist eine Verhöhnung der Bundesländer. Wir werden uns diese Vorgangsweise nicht gefallen lassen. Die Bundesregierung trägt daher die volle Verantwortung für alles, was passiert." Er wolle auch "wissen, auf Basis welcher wissenschaftlichen Erkenntnisse und Studien die Ausgangssperre ab 20 Uhr beruht".

Die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) stellte sich schützend vor Kurz: "Der Ton hier gefällt mir gar nicht. Wir müssen der Bundesregierung dankbar sein und müssen alle an einem Strang ziehen."

"Das ist eine Frechheit"

Das wiederum provozierte den burgenländischen Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ): "Davon zu reden, an einem Strang zu ziehen, ist nett. Aber was in den letzten Tagen passiert ist – die Verordnung war gestern schon in Medien, um 20 Uhr gibt’s dann eine Sitzung mit den Chefredakteuren, die SPÖ-Bundesländer bekommen die Verordnung um 1.20 Uhr –, das ist eine Frechheit. Ich meine damit nicht den Vizekanzler, ich meine auch nicht den Gesundheitsminister, sondern den Bundeskanzler. Ich will gar keine Antwort, auch diese Videokonferenz ist wertlos."

Der Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) versuchte zu kalmieren: "Wir sollten noch mehr kommunizieren und bei den Maßnahmen mehr abwägen, was hilft’s, was schadet’s? Aber zur Kommunikation der Bundesregierung: Ich habe meine Hand immer zur Zusammenarbeit ausgestreckt und tue das auch weiterhin. Was ich leider feststellen muss, ist, dass es keine Gleichbehandlung seitens der Bundesregierung gibt. Ich ersuche dringend, das abzustellen."

Dann repliziert Kurz auf die Kritik und schmiert Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) an: "Klar ist es möglich, dass, wenn im Gesundheitsministerium an der Verordnung gearbeitet wird und dort so viele Leute davon wissen, die Verordnung dann von dort auch möglicherweise geleakt wird." Und an den wütenden Doskozil gewandt: "Wir sind sogar in einer Bundesregierung gesessen. Jeder hat meine Handynummer und kann mich gerne anrufen."

Zoff mit Anschober

Kurz hat sich aber nicht nur mit den roten Landeshauptleuten angelegt. In den Stunden vor der offiziellen Präsentation der Lockdown-Maßnahmen war der Haussegen auch zwischen Türkis und Grün gehörig aus dem Lot geraten. Dem Vernehmen nach gab es Streit um den Schulbereich. Kurz wollte lange nicht von seinen Plänen, auch in Pflichtschulen den Schlüssel temporär umzudrehen, abrücken. Anschober aber war strikt dagegen. Auch in den eigenen Reihen stieß Kurz auf Widerstand. So habe sich etwa Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) nur schwer mit den Plänen zu einem neuerlichen Herunterfahren anfreunden können, heißt es.

Ganz andere Sorgen hat mittlerweile die FPÖ. Deren Chef Norbert Hofer hat sich angesteckt und ist erkrankt. Was zur Frage führt: Wird die FPÖ jetzt ihre Corona-skeptische Haltung überdenken? (Walter Müller, Markus Rohrhofer, 1.11.2020)