Die Kindergärten bleiben im Lockdown geöffnet. Die Betreuung der unter Sechsjährigen wird in der Corona-Krise aber zunehmend schwierig, sagen Expertinnen.

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Die Reaktionen darauf, dass Bildungseinrichtungen während des Lockdowns im November nicht geschlossen werden, fallen weitgehend positiv aus. Neben den Schulen für Kinder bis 14 Jahre bleiben österreichweit auch die Kindergärten geöffnet. Im Frühjahr, während des ersten Lockdowns, war es einer der am häufigsten kritisierten Punkte von Eltern und Pädagogen, dass die pädagogischen Einrichtungen wochenlang de facto nicht zugänglich waren.

Seit dem Frühsommer, also seit die Kinder dort wieder betreut werden, gelten strenge Hygienevorschriften. So dürfen Eltern in Wien beispielsweise die elementarpädagogischen Bildungseinrichtung nicht mehr betreten. Die Kinder werden den Pädagoginnen und Pädagogen an der Tür übergeben. Auch das regelmäßige Händewaschen ist für die Allerkleinsten mittlerweile Routine. Gruppen dürfen zudem schon seit geraumer Zeit nicht mehr vermischt werden.

Mehr Mund-Nasen-Schutz

Anfang November kamen neue Bestimmungen hinzu, was das Tragen von Masken betrifft. Wien orientiert sich an Empfehlungen des Bildungsministers, wie es heißt: In den städtischen Kindergärten und Horten wird außerhalb der Gruppenräume ein Mund-Nasen-Schutz getragen. Dies gilt für alle erwachsenen Personen. Befindet sich eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter allein in einem Raum – wie Büro, Küche oder Personalraum –, muss keine Maske getragen werden. Sobald eine weitere erwachsene Person hinzukommt, ist diese von beiden Personen wieder zu tragen. Im Freigelände kann darauf verzichtet werden, wenn der notwendige Abstand eingehalten werden kann.

In der direkten Interaktion mit Kindern gilt weiterhin, dass von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern kein Mund-Nasen-Schutz getragen wird. Experten sind sich hier einig: Die Kinder brauchen die Mimik ihrer Betreuer.

Aktuell 247 Corona-Infektionen

Wie sehr die Kindergärten trotz Offenhaltens von der Corona-Krise betroffen sind, zeigen Zahlen aus der Bundeshauptstadt: Aktuell gibt es 247 positive Fälle in den 164 Kindergärten. Betroffen sind 93 Kinder und 154 Mitarbeiter. Insgesamt werden 86.000 Kinder in Wiener Kindergärten und Horten betreut.

Zum Vergleich: Im August gab es mit Stichtag 12. August nur elf positive Fälle in acht Kindergärten.

Die Zahlen seien auch in den Kindergärten im Steigen begriffen. Schließungen mussten seitens der Gesundheitsbehörden nicht veranlasst werden, sagt eine Sprecherin des Wiener Krisenstabs zum STANDARD.

Zu wenig Personal

Was immer mehr zum Problem wird, sind aber die aus dem Steigen der Corona-Zahlen resultierenden Personalengpässe. Immer wieder müssen Mitarbeiter abgesondert werden, die dann in den Kindergärten fehlen, berichtet Karin Samer, Betriebratsvorsitzende des privaten Kindergartenträgers der Wiener Kinderfreunde. Vor allem Randzeiten zu besetzen sei zunehmend schwierig.

"Die Kolleginnen und Leitungen tun das Beste, um jeden Tag den Betrieb aufrechtzuerhalten", sagt Samer. Covid-19 verschärfe eine Situation, mit der man in den Kindergärten schon seit längerem konfrontiert sei: dass der Betreuungsschlüssel zu hoch sei, sprich: die Anzahl der Kinder in der Gruppe gesenkt werden müsste.

Viele ausgebildete Elementarpädagoginnen und -pädagogen würden aus diesem Grund auch nach wenigen Jahren im Beruf neue Wege suchen. "Es war immer schon sehr am Limit, jetzt ist es noch einmal viel viel schwieriger. Die Kolleginnen und Kollegen sind an der Leistungsgrenze", so Samer.

Assistenten aufnehmen

Um die Engpässe kurzfristig zu kompensieren, fordert sie die Aufnahme von mehr Assistenzpersonal. Voraussetzung dafür sei eine abgeschlossene Ausbildung in irgendeinem Beruf sowie ein einwandfreier Leumund. Man könne hier relativ schnell aufstocken, ist sie überzeugt. Finanzielle Mittel müssten von Ländern und Gemeinden zur Verfügung gestellt werden.

Längerfristig fordert Samer ein Bundesrahmengesetz, das die Rahmenbedingungen der Elementarpädagogik in allen Bundesländern vereinheitlicht und in dem auch die Betreuungszahlen der Kinder pro Gruppe nach unten gesetzt werden, um die Qualität und den Anreiz, im Beruf zu bleiben, aufrechterhalten zu können.

Auch Bildungsexpertin Raphaela Keller fordert eine bundesweite Vereinheitlichung und warnt vor Personalproblemen. Es dürfe nicht der Weg wie in der Steiermark gegangen werden, wo Personen ohne abgeschlossene pädagogische Qualifikation Kindergartengruppen sogar leiten dürfen. Voraussetzung ist dort nur eine "Schulung in den pädagogischen Grundlagendokumenten im Ausmaß von 30 Unterrichtseinheiten" – DER STANDARD berichtete.

In der Corona-Krise fordert Keller mehr Anerkennung der Leistung der Pädagoginnen und Pädagogen ein. Es werde immer nur darüber gesprochen, ob und für wie viele Stunden die Kindergärten geöffnet bleiben, die Arbeitsbedingungen spielten aber keine Rolle.

Bildung und Betreuung

Was Keller aufstößt: dass Kindergärten zunehmend zu "Betreuungseinrichtungen" degradiert werden. "Das ist ein Rückschritt ins Mittelalter", sagt sie. Kindergärten seien Betreuungs- und auch Bildungseinrichtungen. Es gehe nicht nur darum, den Eltern zu ermöglichen, arbeiten zu gehen und als Arbeitskraft nicht auszufallen. "Kinder sollen den Bildungszugang nicht verlieren", so Keller, das sei auch für unter Sechsjährige bereits zentral. (Rosa Winkler-Hermaden, 2.11.2020)