Die halben USA und nahezu ganz Europa sind sich einig, dass Donald Trump ein miserabler Präsident ist. Sogar ehemalige Mitstreiter bezeichneten ihn als Lügner, Betrüger und Rassisten, der dem Konzept der Demokratie nur dann etwas abgewinnen kann, wenn es persönlichen Zwecken dient. So hat er in den vergangenen vier Jahren die Spaltung der USA weiter vorangetrieben, politisch und gesellschaftlich, mit scheinbar großem Genuss.

In den USA stehen heute zwei Gegensätze zur Wahl: Der Kompromissverweigerer, Zündler, mutmaßliche Steuerhinterzieher und Corona-Leugner, der sich als Vertreter der "Vergessenen" geriert, aber Politik für die Reichen macht, tritt gegen den werteorientierten und sachlichen Konsenspolitiker und Transatlantiker Joe Biden an. Das ist zumindest die Sicht der einen Seite des Grabens.

Autoparade von Trump-Unterstützern in Indianapolis, Indiana.
Foto: imago/ZUMA Wire/Jeremy Hogan

Die der anderen Seite liest sich in etwa so: Der erste Politiker, der die Dinge beim Namen nennt, sich nicht durch die Fesseln der Diplomatie einschränken lässt und den Mumm hat, die erzkonservative Wende in den USA auch gegen Widerstände anzugehen, tritt gegen einen abgehalfterten Establishment-Vertreter an, der sich von der Corona-Pandemie ins Bockshorn jagen lässt und von den korrupten Geschäften seines Sohns profitiert. So die zwei unversöhnlichen, emotionalen Fronten am Ende des skurrilsten US-Wahlkampfs der letzten Jahrzehnte.

Fehlentscheidungen

Vier weitere Jahre Trump wären für die bereits angeschlagene US-amerikanische Demokratie jedenfalls eine Hiobsbotschaft. Längst kursieren "Abschusslisten" für den weiteren Umbau des Staates. Offenbar will Trump FBI-Direktor Christopher Wray und CIA-Direktorin Gina Haspel loswerden, weil diese nicht in seinem Sinn gegen seine Feinde vorgegangen sind. Ende Oktober erließ er außerdem ein Dekret, mit dem er in einer zweiten Amtszeit tausende Bundesangestellte entlassen könnte. Der Umbau des Staates Richtung Autokratie ist die Summe vieler solcher Schritte.

Auch für Europa wäre eine Wiederwahl Trumps fatal. Schon in den letzten Jahren lieferte er eine Reihe beispielloser Fehlentscheidungen. Er stellte die Nato infrage, verprellte Verbündete, kündigte die Zusammenarbeit in zentralen globalen Fragen auf und bezeichnete die Europäische Union als Feind. Noch immer schwebt Trumps Drohung, Zölle auf Autos und andere Güter einzuheben, über dem Atlantik. Ein Zurück in die Zukunft wird es auch unter Biden nicht geben. In globalen Fragen wie der Klima-, Wirtschafts- oder Sicherheitspolitik ist eine Zusammenarbeit mit den USA jedenfalls unerlässlich.

Die aktuellen Umfragen sprechen derzeit relativ eindeutig für Biden. Man bleibt vorsichtig und hält sich an den Spruch: Es ist nicht vorbei, bis es vorbei ist. Wann das genau sein wird, darüber lassen sich nur Vermutungen anstellen. Gewinnt Biden so deutlich, dass er auch ohne die erst auszuzählenden Briefwahlstimmen in wichtigen Swing-States reüssiert, kann es zu einem schnellen und einigermaßen zivilisierten Machtwechsel kommen. Einzelne Unruhen sind wahrscheinlich – doch das Schreckgespenst des Bürgerkriegs, das derzeit überall herumwabert, ist wohl einen Tick übertrieben.

Gibt die Briefwahl den Ausschlag, dann müssen sich die USA jedenfalls auf einen Stresstest ihrer Demokratie einstellen. Und dann ist es nicht vorbei, wenn bloß die Wahl vorbei ist. (Manuela Honsig-Erlenburg, 3.11.2020)