Es gibt dramatische, einschneidende Ereignisse in der Geschichte der Vereinigten Staaten, der mächtigsten Demokratie der Welt, bei denen man sich auch daran erinnert, wann und wo man diese erlebt hat. Das gilt erst recht für Journalisten, deren Aufgabe ist, die Geschehnisse den Lesern, den Hörern oder den Zuschauern zu erklären. So erlebte ich die Nachricht von der Ermordung Präsident John F. Kennedys am 22. November 1963 in meiner Wohnung bei einer Party, die ich als Wiener Korrespondent im Auftrag der "Financial Times" für österreichische Politiker, Diplomaten und Journalisten gab. Jeder der Anwesenden hat mich noch Jahrzehnte später darauf angesprochen. Vom Attentat auf Präsident Ronald Reagan am 30. März 1981 hörte ich bei Dreharbeiten in der Stadt Zadar an der dalmatinischen Küste und von den Terroranschlägen vom 11. September 2001 auf das World Trade Center in New York bei einer internationalen Tagung der Bertelsmann-Stiftung in der Stadt Gütersloh.

US_Präsident Donald Trump beschwört immer wieder Gewalt herauf, mit der Behauptung, nur durch Betrug könne er diese Wahl verlieren.
Foto: AFP/BRENDAN SMIALOWSKI

Das Dramatische in der Politik oder Gesellschaft der Weltmacht hat Freunde und Gegner immer gleichermaßen fasziniert. Die letzte große Überraschung, nicht nur für mich, sondern auch für alle polnische Freunde, war die Nachricht über die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten vor vier Jahren, die mir im Zug von Krakau nach Warschau unterwegs zu einem Vortrag mitgeteilt wurde.

Damals hatte die überwiegende Mehrheit der Berichterstatter den Sieg Hillary Clintons erwartet. Sie hatte dann tatsächlich um drei Millionen mehr Stimmen bekommen als Trump, doch hat dieser dank des antiquierten Systems der Wahl durch die Wahlmänner, entsandt von den einzelnen Staaten ohne volle Beachtung der Zahl der jeweiligen Einwohner, die Wahl trotzdem gewonnen. Diese vier Jahre der Trump-Präsidentschaft haben sogar die schlimmsten Befürchtungen übertroffen. Ein Schwindler und Lügner, Betrüger und Rassist, Showman und Demagoge steht an der Spitze der mächtigsten Demokratie der Welt, betonen die bedeutendsten Blätter der freien Welt. Die "New York Times" hat in einem beispiellosen Leitartikel Trumps Wahlkampagne als die größte Gefahr für die US-Demokratie seit dem Zweiten Weltkrieg und ihn als den schlechtesten US-Präsidenten der modernen Geschichte bezeichnet. Die "Washington Post" zählte bisher mehr als 20.000 Lügen oder Unwahrheiten in der Amtszeit des 45. Präsidenten.

Gewaltloser Machtwechsel

Das Hauptmerkmal der Demokratie ist laut dem großen Philosophen Sir Karl Popper die Absetzbarkeit einer Regierung durch Abstimmung ohne Blutvergießen. Diese entscheidende Bedingung, der gewaltlose Machtwechsel, steht in den Tagen und Wochen nach dem 3. November auf dem Spiel wie nie zuvor bei einer US-Präsidentenwahl. Trump, der bei den Umfragen klar hinter Joe Biden liegt, beschwört selber immer wieder die Gewalt herauf, mit der Behauptung, nur durch Betrug könne er diese Wahl verlieren.

"Four more years", heißt der Slogan der Republikaner. Das wäre in der Tat ein Unglück, nicht nur für die Amerikaner, sondern auch für alle liberalen Demokratien. Nicht freilich für Wladimir Putin, Viktor Orbán, Jarosław Kaczyński, Aleksandar Vučić und Benjamin Netanjahu, die aus Gründen ihres Machterhalts auf vier weitere Jahre mit Trump im Weißen Haus hoffen. (Paul Lendvai, 2.11.2020)