2016 konnte Donald Trump knapp, aber doch in Pennsylvania siegen – ein Schock für die Demokraten, von dem sie sich lange nicht erholten. 2020 könnte ihm das Kunststück nochmals gelingen, hoffen seine Wähler.
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Warum sie vor vier Jahren Donald Trump wählte, erklärt Kathryn Harbus mit einem einzigen kurzen Satz, ohne auch nur eine Sekunde nachzudenken: "Ich wollte Hillary verhindern." Hillary Clinton, sagt sie, hatte in ihren Augen die Bodenhaftung verloren. Sie wirkte abgehoben, und als sie vom Korb der Beklagenswerten sprach, in den man die Hälfte von Trumps Anhängern einsortieren könne, war für Harbus das Maß voll. Aus Protest stimmte sie für den Unternehmer aus New York: "Mit zugehaltener Nase, denn eigentlich war ich kein Fan von ihm." Es war das erste Mal, dass sie, damals 56, bei einer Präsidentschaftswahl nicht zu Hause blieb. Für Politik hatte sie sich vorher nicht interessiert, und wer im Oval Office regierte, war ihr ziemlich egal.

Nun tritt mit Joe Biden ein Demokrat an, dem man vieles nachsagen kann – aber nicht, dass er arrogant wäre. Kathryn Harbus wird dennoch Trump wählen – diesmal aus voller Überzeugung. "Der Mann hat Mumm, der lässt sich von keinem herumschubsen, der hängt sein Fähnlein nicht nach dem Wind. Ja, er hat Porzellan zerschlagen, aber vielleicht musste das einfach mal sein. Was soll ich sagen, er imponiert mir."

"Ewiger Lockdown"

Um ihn anzufeuern, ist sie aus Philadelphia 110 Kilometer nach Reading gefahren, in die Stadt, aus der John Updike stammt, der Schriftsteller. Auf der Rollbahn eines kleinen Flughafens am Ortsrand wird Trump eine Rede halten, er wird vor dem "ewigen Lockdown" warnen, der drohe, falls er das Weiße Haus räumen müsse. Biden, so wird er sagen, wird an die Leute appellieren: "Sperrt euch und eure Familien in eure Häuser ein, während die Plünderer draußen freie Bahn haben."

Lange bevor er an Bord der Air Force One einschwebt, stehen mehrere Tausend Menschen vor einer Sicherheitsschleuse Schlange, viele gekleidet wie Schlachtenbummler, einige mit Trikots, auf denen nichts weiter steht als eine Nummer: die 45. Trump ist der 45. US-Präsident. "Our Prez", ist auf handgemalten Postern zu lesen, auch: "Our Team". Oder: "Make Liberals Cry Again".

Es ist eine von vier Kundgebungen, die an diesem Tag auf Trumps Programm stehen. Alle in Pennsylvania, dem so hart umkämpften "battleground state". Alle auf Regionalflughäfen, was für den Wahlkämpfer einen doppelten Vorteil hat: Zum einen kann er von der Gangway direkt zum Rednerpult laufen. Zum anderen thront er hoch über der Menge, wenn er seinen Getreuen zum Abschied ein letztes Mal zuwinkt, ehe sich die Tür der Maschine hinter ihm schließt.

Kathryn Harbus über Trump: "Der Mann hat Mumm, der lässt sich von keinem herumschubsen, der hängt sein Fähnlein nicht nach dem Wind."
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Symbolik der Macht

Die Chefpose. Trump legt großen Wert auf die Symbolik der Macht, auf strammstehende Soldaten, schwere Kronleuchter, ein staatstragendes Ambiente. Die Air Force One in der Kulisse war in den vergangenen Wochen ein Symbol, das bei keinem seiner Auftritte in der Provinz fehlen durfte. Und die Fans, die zum Schluss nach Klängen des Siebziger-Jahre-Songs Y.M.C.A. tanzen, träumen davon, dass ihrem Idol noch einmal das Kunststück gelingt, mit dem er die Welt vor vier Jahren verblüffte.

Wie damals liegt Trump in den Meinungsumfragen hinten, wie damals mobilisiert er auf der Zielgeraden alle Kraftreserven. Während es Kommentatoren gibt, die seinen Endspurt mit der Abschiedstournee eines alternden Rockers vergleichen, ist Pete Kauffman davon überzeugt, dass die Demoskopen ein trügerisches Bild vermitteln. Wie Trump spricht er von der roten Welle, die man jetzt vielleicht noch nicht sehe, die aber am Wahltag mit Macht über das Land rollen werde.

Rot ist die Farbe der Republikaner – und Kauffman, ehemals Kampftaucher bei der Kriegsmarine, glaubt fest an ein Déjà-vu, an ein zweites 2016. Er geht sogar so weit, eine bizarre These zu wiederholen: Demnach manipulieren liberale Institute die Umfragewerte zugunsten Bidens, damit dessen Anwälte das Ergebnis hinterher anfechten können. Nach dem Motto, dass es nicht mit rechten Dingen zugehen könne, wenn jemand, der so lange so weit vorn lag, am Ende verliere.

Dass Pennsylvania derart im Fokus steht, auch das hat mit den Erfahrungen von 2016 zu tun. Trump holte dort 44.000 Stimmen mehr als Clinton. Für die Demokraten war es ein Schock, hatten sie in dem Bundesstaat doch einen festen Bestandteil ihrer "blue wall" gesehen. Ihre blaue Mauer, dachten sie, würde Trump den Weg ins Weiße Haus versperren. Heute denkt niemand mehr so, die Nerven liegen blank.

Steve Schale, ein Stratege der Partei, skizziert die Gemütslage in den eigenen Reihen wohl ziemlich treffend, wenn er sie mit der posttraumatischen Belastungsstörung vergleicht. "Wenn ich meine PTBS-Brille abnehme, müsste ich eigentlich ein gutes Gefühl haben. Aber es gelingt mir nicht, meine PTBS-Brille abzunehmen."

"Dann hat’s Gott gewollt"

Kathryn Harbus, Mutter zweier erwachsener Kinder, verbindet mit der ersten Amtszeit Trumps die Erinnerung an eine Art persönliche Neuerfindung: Lange Zeit war sie Hausfrau, nach der Scheidung von ihrem Mann wagte sie den Sprung in die Selbstständigkeit, inzwischen verkauft sie medizinisches Gerät an Athleten. "Die drei Jahre vor Corona waren wirtschaftlich die besten meines Lebens", konstatiert sie stolz. Die Pandemie? Die Grippe sei gefährlicher als dieses Virus, antwortet sie. "Nur bestimmte Leute erkranken an Covid. Mich und meine Kinder betrifft das eher nicht. Und falls es mich doch erwischt, dann hat’s Gott so gewollt."

Auch Jerry Pawlikowski war nicht immer begeistert von Trump: Der vulgäre Ton, das Egomanische – all das habe ihn zunächst abgeschreckt. Aber der Marketing-Spezialist, der für die Weltraumindustrie arbeitet, ist seit jeher Republikaner, also stimmte er auch 2016 für den republikanischen Kandidaten. Mit gemischten Gefühlen, gibt er zu.

Heute sagt er: Man solle Trump an seinen Taten messen, nicht an seinen Worten. Steuersenkungen, weniger Bürokratie, klare Kante in der Handelspolitik – das gefällt ihm. "Der Mann hat Verhandlungsgeschick, der weiß, was er tut, der macht Nägel mit Köpfen", schwärmt Pawlikowski. Ansonsten könne man ja einfach den Ton abstellen, wenn das Fernsehen eine Trump-Rede überträgt.

Poker mit Erstwählern

Scott Gregory, ein Schlosser, trägt eine Maske, was bei weitem nicht alle in der Warteschlange in Reading tun. Die ist zugleich ein patriotisches Statement: das Sternenbanner. Gregory hat eine Weile in Costa Rica gelebt, dem Land, aus dem seine Ex-Frau stammt, und ist ziemlich ernüchtert in die USA zurückgekehrt. "Wem es hier nicht gefällt, wer gegen alles protestieren muss, der soll doch auswandern", sagt er. Am besten nach Mittelamerika: "Dann wisst ihr vielleicht zu schätzen, was ihr hier habt."

Scott Gregory: "Wem es hier nicht gefällt, wer gegen alles protestieren muss, der soll doch auswandern."
Foto: Frank Herrmann

Was Scott Gregory mit Kathryn Harbus verbindet, ist die Tatsache, dass er vor vier Jahren, damals 46, zum ersten Mal in seinem Leben wählte. Am Dienstag, orakelt er, würden in Pennsylvania Zehntausende, die das Votum 2016 noch ausgesessen hatten, aus der Deckung kommen und in ein Wahllokal gehen. Es ist exakt das Szenario, auf das Donald Trump baut.

2016 konnte Donald Trump knapp, aber doch in Pennsylvania siegen – ein Schock für die Demokraten, von dem sie sich lange nicht erholten. 2020 könnte ihm das Kunststück nochmals gelingen, hoffen seine Wähler. (Frank Herrmann, 3.11.2020)