Schülerinnen versammeln sich vor ihrer Schule zum Gedenken. Zu großflächigen Störaktionen kam es diesmal nicht. Der Zorn mancher Länder gegen Frankreichs Präsident ebbt aber nach wie vor nicht ab.

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Es war ein sehr spezieller Schulbeginn nach den Herbstferien – und das nicht nur, weil die französischen Schüler nun schon ab sechs Jahren eine Schutzmaske tragen müssen. In ganz Frankreich waren sämtliche Grund- und Mittelschulen angehalten, des Geschichtslehrers Samuel Paty zu gedenken. Er war vor gut zwei Wochen ermordet worden, nachdem er eine Diskussion zum Thema Meinungsfreiheit mit den umstrittenen Mohammed-Karikaturen des Satiremagazins "Charlie Hebdo" illustriert hatte.

In Conflans-Sainte-Honorine, wo er unterrichtet hatte, besuchte Premierminister Jean Castex am Montag einen Staatsbürgerunterricht. An die Schultafel schrieben die Kinder "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" sowie Begriffe "Laizität" und "Meinungsfreiheit". Wie im ganzen Land verlasen die Kinder einen Brief des Reformsozialisten Jean Jaurès (1859–1904) an die Lehrerschaft. "Die Zivilisation wird über den Obskurantismus und den Tod triumphieren", las ein Mädchen vor.

Republikanische Szenen

Dann erhob sich die Klasse zu einer Schweigeminute. Castex fragte, ob alle wüssten, warum er diese Zeremonie angeordnet habe. "Weil sie den Lehrer Paty ermordet haben", antwortete ein Neunjähriger. "Jawohl", bestätigte der Premier und bläute den Sprösslingen ein: "Man hat nie, nie, nie das Recht, jemanden umzubringen."

Die sehr republikanische Szene wurde von den Fernsehstationen live ins ganze Land übertragen. Sie hatte fast etwas Beschwörendes, nachdem ein Islamist im Gefolge des Paty-Mordes auch drei Kirchgänger in Nizza ermordet hat.

Vor fünf Jahren, als die halbe Redaktion von "Charlie Hebdo" massakriert worden war, hatten etliche Schüler vor allem in Banlieue-Orten die damalige Schweigeminute demonstrativ gestört. Nun setzte Bildungsminister Jean-Michel Blanquer alles daran, solche Vorfälle zu vermeiden. Indirekt half ihm dabei auch die Präsenz von Gendarmen und Soldaten. Castex hatte nach dem neusten Attentat in Nizza landesweit 7000 Ordnungshüter vor Schulen und Gotteshäusern aufgeboten. Am Montagmorgen meldete sich auch der in Einwanderervierteln sehr populäre Fußballstar Kylian Mbappé: "Die Schule der Republik ist wie ein Fußballfeld", twitterte er: "An beiden Orten gilt es, geeint zu sein."

Proteste ließen sich allerdings nicht ganz verhindern. In Nantes versperrten dreißig Jugendliche den Zutritt zu einer Mittelschule. Die Polizei verhaftete einen 18-Jährigen mit einem Molotowcocktail.

Weitere Proteste

Darüber – und auch über Frankreich – hinaus kam es am Montag zu weiteren Protesten gegen die Mohammed-Karikaturen und indirekt die Position des französischen Präsidenten Emmanuel Macron. In Berlin zog ein Mann eine verkleidete Person mit einer Macron-Maske an einem Strick hinter sich her und beschimpfte sie auf Arabisch. Die Polizei prüft dem Vernehmen nach anhand des zirkulierenden Videos, ob es sich dabei um einen Rechtsverstoß handelte.

In der Hauptstadt von Bangladesch, Dhaka, gingen am Montag 50.000 Menschen auf die Straße, um gegen Unterstützung der französischen Regierung für "Charlie Hebdo" zu protestieren. Sie forderten die Regierung auf, die diplomatischen Beziehungen zu Paris abzubrechen. Sie riefen auch zum Boykott französischer Produkte auf und skandierten: "Keine Verunglimpfung des Propheten Mohammed." (Stefan Brändle aus Paris, 2.11.2020)