Psychische Belastung, Angsterkrankungen oder auch Lernschwierigkeiten können Ursachen dafür sein, dass Kinder aus Angst nicht mehr in die Schule gehen wollen.(Symboldbild)

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An diesem Donnerstag steht Medienkunde auf dem Lehrplan der Heilstättenklasse in Floridsdorf, denn ein Journalist ist zu Besuch. "Wie wird eigentlich eine Zeitung gemacht?", wollen die Kinder wissen, oder "welche Ausbildung braucht man, um Journalist zu werden?" Die Stimmung in der Klasse ist gut, es wird viel gelacht. Eigentlich wirkt alles wie in jeder anderen Schule, nur eben ein bisschen entspannter. "Außerdem fängt bei uns die Schule erst um 8.30 Uhr an und nicht um 8", sagt ein Junge und grinst.

Heilstättenklassen sind für Kinder gedacht, die aus unterschiedlichen Gründen für eine gewisse Zeit nicht in ihre Stammschule gehen können. Zum Beispiel wegen eines längeren Krankenhausaufenthalts, deshalb sind die Klassen auch stets mit einer Gesundheitseinrichtung verbunden. Die Heilstättenklasse in Floridsdorf ist an das Ambulatorium für Kinder- und Jugendpsychiatrie des SOS Kinderdorf angebunden. Einer der Gründe, warum die Kinder hier sind, heißt Schulangst.

Angst macht krank

"Scheiße" war es in der alten Schule, sagt Laurenz*, der erst seit kurzem in der Heilstättenklasse ist. Man sieht ihm an, dass ihm die Sache unangenehm ist. Sein Blick wandert am Boden herum. "Die anderen Kinder haben mich gehasst. Und die Lehrer mögen mich auch nicht", sagt er. Bevor er in die Heilstättenklasse kam, war der 13-Jährige fast eineinhalb Jahre nicht in der Schule.

Doch wie kann es so weit kommen? "Bei vielen dieser Kinder liegt eine Angsterkrankung vor", sagt Christian Kienbacher, der Leiter des Ambulatoriums. Es handelt sich also nicht um klassische Schulschwänzer. "Oft gehen die Kinder in eine somatische Richtung. Das heißt, ihre Angst führt dazu, dass sie sich ständig krank fühlen", erklärt er. Mal ist es Bauchweh, mal eine neue Allergie. Die Eltern wissen meist nicht, was mit ihrem Kind los ist, und gehen mit ihm von Arzt zu Arzt.

"Du denkst dann schon, das muss was Psychisches sein, aber das Kind wird schon wieder in die Schule gehen. Nur das Kind geht dann nicht mehr in die Schule", sagt die Mutter von Laura*, die auch in die Heilstättenklasse geht. Hatte Laura beispielsweise Angst, einen Test nicht bestanden zu haben, ging sie nicht mehr in die Schule. Manchmal lief sie der Mutter kurz vor der Schultür davon. "Da fühlt man sich schon hilflos", sagt sie.

Sensible Alarmanlagen

Man könne sich das so vorstellen, sagt Klassenlehrer Thomas Mühlberger: "Bei unseren Kindern sind die Alarmanlagen sehr sensibel eingestellt." Wenn etwa ein Lehrer ein Kind zurechtweist, dann müsse das oft nicht einmal schroff sein, damit das Kind am nächsten Tag nicht mehr in die Schule kommen will. Aber auch Legasthenie, ein Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom, Mobbing oder eine Störung des Sozialverhaltens können Ursachen für Schulangst sein.

"Die wirklich schwierigen Fälle sind aber die, wo die Angst von einer Backgroundstory kommt, sich aber auf den Lebensraum Schule überträgt", sagt Kienbacher. Zum Beispiel, wenn die Eltern selbst eine psychische Erkrankung haben. Lauras Mutter hat eine bipolare Störung, was dazu führt, dass es ihr manchmal gut, manchmal nicht gut geht. Durch die Medikamente ist sie oft müde. Psychiater haben später herausgefunden, dass Laura aus Angst, die Mutter dabei alleinlassen zu müssen, nicht gern in die Schule geht.

Der Besuch einer Heilstättenklasse ist schließlich nichts anderes als eine Therapieform. Erst wird herausgefunden, woher die Angst rührt, um sie dann durch abwechselnde Herausforderungen und Entspannungsphasen abzubauen, erklärt Kienbacher. So wird beispielsweise mit Kindern der Schulweg trainiert oder eine Prüfung simuliert. Mit drei Lehrern bei sechs Schülern lässt sich im Unterricht auch leichter auf individuelle Bedürfnisse eingehen als in der Stammschule.

Angebot auf Zeit

Dennoch ist die Heilstättenklasse nur ein Angebot auf Zeit. Das Ziel bleibt stets, dass das Kind wieder in eine Regelschule geht. Betroffenen Eltern rät Kienbacher, sich früh Hilfe zu holen. Ein Hindernis ist dabei oft das Stigma. "Mein Ex-Mann und ich sind beide Akademiker, und das passte einfach nicht in unsere Welt. Keiner traute es sich zugeben, wenn mit dem Kind etwas nicht stimmt", sagt Lauras Mutter. Nun hat sie einen Platz in einer Alternativschule in Aussicht und hofft, dass es ihrer Tochter dort besser geht. "Ich finde, Laura muss nicht ‚normal‘ sein wie andere Kinder. Meine Tochter ist etwas Besonderes. Und das ist auch gut so." (Johannes Pucher, 12.11.2020)

*Anmerkung: Namen wurden geändert