Hinweis: Für die aktuellsten Infos besuchen Sie bitte unseren Livebericht vom 5.11.2020.

Wien – Bei einem Terroranschlag in der Wiener Innenstadt sind am Montagabend, zu Allerseelen, vier Zivilisten – zwei Männer und zwei Frauen – sowie ein mutmaßlicher Attentäter getötet worden. 22 Menschen wurden verletzt, darunter ein 28-jähriger Polizist. Der Anschlag begann gegen 20 Uhr in der Seitenstettengasse nahe einer Synagoge, insgesamt gab es vier Tatorte in der Innenstadt – ursprünglich war man von sechs Tatorten ausgegangen. Die Polizei erschoss den mutmaßlichen Attentäter.

Unsere Sondersendung zum Anschlag in Wien.

Der 20-jährige K. F., er hatte sowohl die österreichische als auch die nordmazedonische Staatsbürgerschaft, war ein IS-Anhänger und wurde am 25. April 2019 zu 22 Monaten Haft verurteilt, weil er versucht hatte, nach Syrien auszureisen, um sich dort dem IS anzuschließen. Der STANDARD berichtete damals von einer der Verhandlungen.

Nur ein Täter, 14 Festnahmen

Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) bestätigte mittlerweile, dass es sich nur um einen Täter gehandelt hat, das habe die Auswertung des Videomaterials gezeigt. Ermittlungen im Umfeld des Täters haben zu 15 Festnahmen geführt, darunter auch Terrorverdächtige sowie der Zweitangeklagte, der mit K. F. 2019 im IS-Prozess verurteilt wurde. Nehammer gab bekannt, dass die Festgenommenen zwischen 18 und 28 Jahre alt sind und alle Migrationshintergrund haben, einige davon sind keine österreichischen Staatsbürger.

Pressekonferenz des Innenministeriums nach dem Terroranschlag in der Wiener Innenstadt mit Innenminister Karl Nehammer (ÖVP), dem Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, Franz Ruf, und dem Wiener Polizeipräsidenten Gerhard Pürstl.
DER STANDARD/APA

In die Kritik geriet am Mittwoch der Verfassungsschutz. Vorwürfe wurden laut, ob der Anschlag hätte verhindert werden können. Denn der slowakische Geheimdienst hatte im Sommer das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) darüber informiert, dass der Attentäter im Juli in der Slowakei Munition kaufen wollte. Das BVT gab diese Informationen erst nach dem Anschlag an die Staatsanwaltschaft weiter. Eine unabhängige Untersuchungskommission soll das nun aufklären.

Schulpflicht ausgesetzt

Am Dienstag gab es keine Schulpflicht in Wien, auch die Besuchspflicht im Kindergarten wurde ausgesetzt. Am Mittwoch waren Schulen und Kindergärten wieder geöffnet. Auch die Uni Wien schloss am Dienstag ihre Innenstadtgebäude und bat ihre Mitarbeiter, von daheim aus zu arbeiten. Lehrveranstaltungen finden coronabedingt ohnehin großteils digital statt.

Auch alle Menschen, die in der Wiener Innenstadt arbeiten, wurden vom Innenministerium gebeten, wenn möglich zuhause zu bleiben. Viele Geschäfte blieben am Dienstag geschlossen. Die Polizeipräsenz war weiterhin hoch.

Vier Zivilisten und ein Täter kamen bei dem Anschlag ums Leben.
Foto: APA/Georg Hochmuth

Vier Tatorte

Der Terrorakt erstreckte sich auf mehrere Tatorte. In der Seitenstettengasse fielen erste Schüsse, in unmittelbarer Nähe der Synagoge. In einem "zeitlichen Zusammenhang", so die Polizei, gab es dann Vorfälle an weiteren Innenstadtorten, alle in räumlicher Nähe zum Ausgangspunkt. Zunächst war von sechs Tatorten die Rede. Bei der Polizei geht man mittlerweile nur noch von vier Tatorten aus, die sich alle im Grätzel um den Ruprechtsplatz gruppieren. Ursprüngliche Informationen der Polizei, wonach es auch am Graben zu einer Sichtung oder einem kriminellen Zwischenfall gekommen sei, hätten sich nach Angaben eines Insiders mittlerweile als falsch erwiesen. Berichte über eine Geiselnahme in einem Lokal auf der Mariahilfer Straße erwiesen sich als falsch.

Foto: Standard

Videos zeigten dramatische Szenen

Mehrere Videos kursierten noch Montagnacht von dem Anschlag. Ein Video zeigte dramatische Szenen aus der Seitenstettengasse. Ein mit einer Langwaffe bewaffneter Mann läuft die Gasse entlang und schießt auf einen vor einem Lokal stehenden Mann, der daraufhin zusammenbricht. Kurz darauf kehrt der Täter zurück und schießt mit einer Pistole aus kurzer Distanz ein zweites Mal auf den am Boden liegenden Mann.

Die Polizei bat eindringlich darum, keine Videos oder Fotos zu verbreiten. Das Verbreiten von derartigen Inhalten in Sozialen Medien gefährdet Zivilisten wie auch Einsatzkräfte, betonte die Polizei. Die Exekutive bittet darum, derartiges Material der Polizei zur Verfügung zu stellen, um sie zu unterstützen. Dazu wurde eine Upload-Plattform eingerichtet.

Das Jagdkommando des Bundesheers unterstützte die Polizei und übernahm den Objektschutz.
Foto: APA/Georg Hochmuth

Niemand im Stadttempel

Zum Zeitpunkt des Anschlags dürften sich keine Menschen im Stadttempel in der Seitenstettengasse und in den Räumlichkeiten der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG) befunden haben. Man habe die Gemeindemitglieder noch in der Nacht dazu aufgefordert, nicht das Haus zu verlassen, hieß es von der IKG. Generell riet die Polizei dazu, Wohnungen oder Lokale rund um den Schwedenplatz nicht zu verlassen.

Reden von Kurz und Van der Bellen

Am Dienstag wandten sich sowohl Bundeskanzler Sebastian Kurz als auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen an die Bevölkerung. Beide dankten den Einsatzkräften und verurteilten den Anschlag. "Wir werden uns von Terroristen nicht einschüchtern lassen", sagte Kurz. Für diese Demokratie sei über die Jahrhunderte zu hart gerungen worden, "als dass wir nun klein beigeben werden". Kurz warnte zudem davor, in die Falle der Terroristen zu tappen: "Der Feind, der islamistische Terror, möchte unsere Gesellschaft spalten. Diesem Hass werden wir keinem Raum geben." Unser Feind seien niemals die Angehörigen einer Religionsgemeinschaft, sondern Terroristen. Es sei "kein Kampf zwischen Christen und Muslimen oder Österreichern und Migranten, sondern ein Kampf zwischen Zivilisation und Barbarei", so Kurz. "Wir werden unsere Freiheit und Demokratie gemeinsam und entschlossen mit allen gebotenen Mitteln verteidigen", sagte Van der Bellen.

Die Kranzniederlegung wurde bewusst kurz gehalten, Reden und Ansprachen gab es dabei keine.
DER STANDARD/APA

Details zu den Reden finden Sie hier.

Dienstagmittag fanden Sie sich gemeinsam mit den Spitzen der Parteien zu einer Kranzniederlegung am Tatort ein und gedachten der Opfer. Ein Sonderministerrat beschloss eine Staatstrauer bis Donnerstag. Die Attacke löste national wie international zahlreiche Reaktionen aus.

Psychosoziale Dienste: "Telefone laufen heiß"

Die Wiener Psychosozialen Dienste (PSD) haben nach dem Terroranschlag das Personal bei der Krisenhotline und dem Notdienst aufgestockt, um Hilfesuchende schnell unterstützen zu können. Weitere Verstärkung werde laufend organisiert: "Die Telefone laufen heiß. Wir bemerken seit letzter Nacht einen enormen, massiven Anstieg bei den Telefonaten", sagte PSD-Chefarzt Georg Psota an Dienstag. Nicht nur Menschen, die bei dem Anschlag dabei waren, würden sich melden, sondern auch jene "denen es schlicht und einfach Angst macht", erklärte Psota.

Den Wiener Psychosozialen Dienst erreichen Sie zwischen 8 und 20 Uhr unter 01/ 4000 53000, rund um die Uhr kann man die psychiatrische Soforthilfe für Wien unter 01/ 31 330 kontaktieren.

Schreckliche Erinnerungen

Die Schüsse vor der Synagoge in der Wiener Innenstadt wecken Erinnerungen an den Sommer des Jahres 1981, als zwei palästinensische Terroristen von der Abu-Nidal-Gruppe jüdische Gläubige vor der Synagoge in der Seitenstettengasse mit Handgranaten und Maschinenpistolen angriffen. Zwei Personen starben, 18 Menschen, darunter drei Kinder, wurden damals verletzt. (red, APA, 5.11.2020)