In diesen gelben Fässern wird der österreichische Atommüll derzeit in Seibersdorf gelagert.

Foto: DerStandard / Christian Fischer

Seit August 1999 ist Österreich laut Verfassung atomfrei. Es darf weder Energie durch Kernspaltung gewonnen noch spaltbares Material, das nicht der friedlichen Nutzung dient, auf österreichischem Boden transportiert werden, geschweige denn Atomwaffen produziert werden. Dennoch hat die Republik rund 12.000 Fässer radioaktiven Abfalls, der gelagert werden muss. Nun hat die EU-Kommission ausgerechnet gegen das atomfreie Österreich, aber auch gegen Kroatien und Italien ein Vertragsverletzungsverfahren eröffnet, weil keine ausreichende Strategie zur Entsorgung von Atommüll eingerichtet wurde.

Eigentlich ist das nationale Entsorgungsprogramm schon seit 2018 beschlossen, nur enthält es eben keinen konkreten Plan, wie die Endlagerung von Atommüll funktionieren soll. Tatsächlich hätte dieser Plan laut Euratom-Richtlinie 70/2011 der Kommission bereits im Jahr 2015 vorgelegt werden müssen. Weil das erst 2018 geschah, gab es schon einmal ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich, das aber eingestellt wurde. Nun hat Österreich zwei Monate Zeit, um auf die neuerliche Mahnung zu reagieren.

Im Umweltministerium von Leonore Gewessler (Grüne) bittet man um Verständnis. Um die Frage der Endlagerung zu klären, brauche es einen "gemeinsamen politischen Willen der verschiedenen Ministerien", sagt eine Sprecherin. Durch wechselnde Regierungskonstellationen in den vergangenen Jahren seien die Vorarbeiten immer wieder unterbrochen worden. "Wir sind uns aber unserer Verantwortung bewusst und gehen diese jetzt an", heißt es aus dem Ministerium. Dass die Kommission in einem Punkt auch fehlende Standards für die Umsetzung eines Endlagerungskonzepts kritisiert, kann der grüne Anti-Atomsprecher Martin Litschauer nicht ganz nachvollziehen. Diese seien auf europäischer Ebene gerade in Entwicklung: "Da müsste also erst einmal die Kommission selber aktiv werden, bevor sie Mahnschreiben ausschickt."

Zwischenlagerung bis 2045

Österreich hat auch einen wesentlichen Vorteil gegenüber Ländern, die Atomkraft nutzen, nämlich, dass es hierzulande keinen hochradioaktiven Atommüll gibt. Dieser würde zum Beispiel in Atomreaktoren entstehen. In Österreich gibt es jedoch nur den Forschungsreaktor der Technischen Universität in Wien, dessen Brennstäbe nach der Nutzung an die US-Lieferanten zurückgegeben werden. Für die Endlagerung von hochradioaktivem Abfall werden weltweit Lösungen gesucht, doch bisher keine zufriedenstellende gefunden.

In Österreich gibt es lediglich schwach- und mittelradioaktiven Abfall, der 300 bis 500 Jahre gelagert werden muss, bis keine Gefahr mehr von ihm ausgeht. Derzeit entstehen davon in Österreich rund 15 Tonnen pro Jahr vor allem in Medizin, Forschung, Industrie und beim Rückbau ehemaliger Forschungsreaktoren. Es handelt sich dabei auch nicht um eine grünleuchtende Flüssigkeit, wie man sie aus Zeichentrickfilmen kennt, sondern etwa um medizinische Schutzkleidung, strahlenbelastetes Werkzeug, Beton oder Anlagenteile.

Mit der Zwischenlagerung ist derzeit die Nuclear Engineering Seibersdorf GmbH (NES) in der gleichnamigen Gemeinde in Niederösterreich beauftragt. Dort wird der Atommüll zerlegt, verbrannt, aufbereitet, gepresst, in Beton eingeschlossen, im Ofen getrocknet und anschließend in Form von Asche oder Pellets in gelben Tonnen oberirdisch in Hallen gelagert. "Diese Hallen sind selbstverständlich auch erdbebensicher, und auch für Extremsituationen wie einen Flugzeugabsturz ist vorgesorgt", sagt NES-Geschäftsführer Roman Beyerknecht. Der Vertrag der Republik mit der NES läuft allerdings nur bis 2045. Spätestens dann braucht es einen neuen Ort, an dem der Atommüll langfristig gelagert werden kann.

In Seibersdorf wird der Atommüll, zum Beispiel radioaktiv verstrahlte Metallteile, aufbereitet und zwischengelagert.
Foto: DerStandard / Christian Fischer

Oberflächennahe Lagerung

Zur Frage, wie man Atommüll am besten lagert, sagt Reinhard Uhrig, Atomkraftexperte der Umweltschutzorganisation Global 2000: "Die Strategie 'Deckel drauf, und gut ist es' reicht definitiv nicht." Im Gegensatz zu hochradioaktivem Müll muss der, den wir in Österreich haben, nicht tiefengeologisch gelagert werden, auch oberflächennahe Varianten seien möglich, sagt Uhrig. Für vielversprechend hält er ein Konzept, das sich "rolling stewardship" nennt. Die Idee ist, Abfall so zu lagern, dass er laufend überwacht werden kann und Lecks von radioaktiven Stoffen schnell festgestellt oder präventiv verhindert werden können. Das Konzept sieht auch eine Entnahme des Atommülls und alle 50 bis 100 Jahre die Umlagerung in neue Container vor.

Einige europäische Länder wie Frankreich oder Finnland haben bereits fertige Endlager für schwach- bis mittelradioaktiven Abfall. Im Umweltministerium nennt man das spanische Endlager El Cabril, 70 Kilometer von Cordoba entfernt, als mögliches Best-Practice-Beispiel. Dort wird das Material oberflächennah in Fässern gelagert, die dann in Betoncontainer einbetoniert und zusätzlich noch einmal in Betonkammern eingeschlossen werden. Dennoch bleibt das Material rückholbar.

Arbeitsgruppe soll 2021 starten

Auch die Idee einer Lagerung im Ausland findet sich im 2018 beschlossenen nationalen Entsorgungsprogramm. Bei Global 2000 hält man das für schwierig umsetzbar, denn wer soll den Abfall nehmen, und wer haftet, wenn sich die Lagerung als unsicher herausstellt? Man wolle dahingehen jedoch "keine Optionen ausschließen", heißt es aus dem Umweltministerium. Infrage kämen bei einer Zusammenarbeit aber nur EU-Länder.

Was das existierende Entsorgungsprogramm auch enthält, ist die Idee, dass eine Arbeitsgruppe aus Behördenvertretern, Experten und Zivilgesellschaft den Prozess zum Finden einer Lösung für die Endlagerung anleiten soll. Diese Idee gibt es ebenfalls seit 2018, Ziel sei es aber jetzt, dass die Kommission im Frühjahr 2021 zum ersten Mal tagt. Auch die Bevölkerung soll umfassend über das Thema informiert und in ein Bürgerbeteiligungsverfahren einbezogen werden. Auf die Bürger ist die Politik nämlich nicht zuletzt bei der Standortwahl angewiesen. Wie schwierig dieses Vorhaben ist, zeigt ein Blick nach Tschechien, wo seit 2000 unter teils massivem Widerstand der Bevölkerung ein Endlagerstandort gesucht wird. (Johannes Pucher, 11.11.2020)