Foto: EPA/CHRISTIAN BRUNA

Der Anschlag von Wien traf eine pulsierende Stadt, in der kurz vor den Corona-Ausgangsbeschränkungen noch viele Veranstaltungen stattfanden und die Gastronomie noch geöffnet war. Dementsprechend viele Menschen haben die Tragödie mitbekommen, darunter auch Redakteurinnen und Redakteure des STANDARD. Im Folgenden lesen Sie eine Auswahl ausgesuchter Augenzeugenberichte, die laufend ergänzt wird:

"Es war kurz vor acht Uhr. Wir waren zu Hause, und plötzlich hat es so wahnsinnig gekracht, dass wir zum Fenster gegangen sind, um zu schauen, was da los ist. Wir haben da den Mann mit der Waffe in der Hand gesehen, der dort recht hektisch herumgelaufen ist und geschossen hat. Und zwar ziemlich oft, scheinbar auch ohne Ziel und manchmal nur in den Boden.

Er ist ins Durchhaus bei der Ruprechtskirche, dann immer wieder auch zur Stiege, die zum Fleischmarkt hinunterführt. Wir wollten die Polizei verständigen, aber dort war besetzt. Dann hat uns aber unser Nachbar angerufen, hat uns gesagt, dass er schon mit der Polizei gesprochen hat und wir jetzt besser vom Fenster weggehen sollen. Das haben wir dann auch gemacht.

Wir haben die Ereignisse dann im Fernsehen verfolgt. Momentan markiert die Polizei offensichtlich die Einschussstellen. Sie vermessen den Platz und haben circa 20 große weiße Kreise aufgemalt."

Ein Anrainer, der anonym bleiben möchte


"'Das heute ist ein historischen Abend', sagt der Schlagzeuger und Multiperkussionist Martin Grubinger zu Beginn seines Auftritts mit der Bläserphilharmonie Salzburg kurz nach 20.30 Uhr im Wiener Konzerthaus. 'Noch dreieinhalb Stunden, dann wird es für längere Zeit wieder still', weist der Künstler auf den Lockdown hin, der um Mitternacht beginnt. Wie historisch der Abend werden würde, war den Musikern und den rund 1.000 Besuchern im Saal zu diesem Zeitpunkt noch nicht bewusst.

Nach dem Ende des Konzerts wollen sich erste Gäste auf den Weg nach Hause machen, werden von Platzanweisern aber höflich gebeten, auf die Plätze zurückzukehren. Von einem Anschlag, der in der Stadt erfolgt sei, ist die Rede und dass die Musiker gebeten worden seien, das Konzert etwas zu verlängern. Nach zwei Zugaben informiert Grubinger das Publikum von der Bühne aus, dass es einen Anschlag gegeben habe und Polizei die Konzertbesucher bitte, zu ihrem eigenen Schutz im Haus zu bleiben. Was auch geschieht. Niemand muckt auf, niemand murrt. Wer vorher noch einen Programmzettel in der Hand hatte, zieht sein Mobiltelefon heraus und informierte sich über das Geschehene.

Dann betritt ein Polizist die Bühne, nimmt das Mikrofon in die Hand und sagt, dass bald Verstärkung eintreffen werde. 'Ich weiß momentan auch nicht mehr als Sie', sagt er, zu den Konzerthausbesuchern gewandt. Dann klingelt sein Handy. 'Leider nichts Neues', sagt er nach Beendigung des Gesprächs. Und wieder läutet das Telefon. Zwischenapplaus aus den Sitzreihen. Grubinger wird gefragt, ob er und die Musiker nicht weiterspielen könnten. 'Dürfen wir nicht', sagt Grubinger. 'Wir alle bleiben aber hier bei Ihnen.' Dann informiert der Polizist, dass die Wega inzwischen eingetroffen ist und die Eingänge gesichert habe: 'Hier passiert Ihnen nichts'. Platzanweiser verteilen Wasser.

Gegen 23.30 Uhr dann die Information, dass das Konzerthaus evakuiert werde. 'Ein bisschen Geduld noch', sagt der Polizist. Zuerst seien die Besucher der Staatsoper an der Reihe, dann die Albertina, dann das Konzerthaus. Um Mitternacht ist es so weit. Die Wega hat einen Schutzkorridor errichtet zur U-Bahn, ein Zug würde stehen bleiben und die Passagiere mitnehmen. Manche Besucher wollen zu ihrem Fahrrad oder Auto. 'Geht nicht,' heißt es zunächst. 'Alle müssen zur U-Bahn, nur so können wir für Ihre Sicherheit garantieren. Rad oder Auto können Sie morgen holen." Wenige Minuten später gibt es eine neue Anweisung: 'Wer unbedingt zu seinem Fahrrad oder Auto will, kann das machen, aber bitte meiden Sie die Innere Stadt', sagt ein Wega-Beamter.

Vom Konzerthaus bis zur U-Bahn-Station Stadtpark stehen alle 30 Meter mit Maschinenpistolen und Schutzkleidung ausgestattete Polizisten und Polizistinnen mit dem Rücken zu den schnellen Schritts marschierenden Konzerthausbesuchern. Es dauert dann etwa 20 Minuten, bis eine U-Bahn-Garnitur stehen bleibt und die Konzerthausbesucher mitnimmt. Roßauer Lände ist die erste Station, an der die U-Bahn stehen bleibt. Ein Ausstieg bei den Stationen Landstraße, Schwedenplatz und Schottenring ist wegen des laufenden Polizeieinsatzes nicht möglich."

Günther Strobl, STANDARD-Redakteur Wirtschaft


"Martin Grubinger hat in zwei Tranchen gespielt, ich war in der zweiten, die um 20.30 Uhr begonnen hat. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich nichts von dem Terroranschlag mitbekommen, ich habe auch nicht währenddessen aufs Handy geschaut – wie offenbar niemand im Saal. Das Konzert wurde wie geplant durchgespielt, Grubinger hat zwei Zugaben gegeben.

Abschließend ist er auf die Bühne und hat die Zuschauer gebeten, den Saal nicht zu verlassen, da es einen Anschlag gegeben habe. Darauf haben alle ihre Handys geholt und Nachrichten gelesen oder geschaut, aber die Atmosphäre war trotzdem vergleichsweise ruhig. Das lag sicher auch an Grubinger und dem jungen Polizisten, der die Kommunikation übernommen und uns über die Lage auf dem Laufenden gehalten hat. Beide waren sehr ruhig und haben sich bemüht, keine Panik aufkommen zu lassen. Der Polizist hat auch fortlaufend versichert, dass keine unmittelbare Gefahr für das Haus besteht, es gesichert sei und wir uns aus dem Nebensaal Getränke holen können, aber bitte nicht vor die Tür oder durch das Konzerthaus laufen sollen. Gegen Mitternacht durften dann die Leute, die mit Autos da waren, das Konzerthaus verlassen, ich und die anderen wurden dann in einem von der Cobra gesicherten Korridor bis zur U-Bahn-Station Stadtpark gebracht.

Das war dann extrem spooky, die Einsatzleute in voller Montur und Bewaffnung im Dunklen, die schweigend den Weg bewachen – es war plötzlich ein Gefühl von Kriegszustand. Alle waren hochgradig angespannt, es sind ein paar Jugendliche in den Park gekommen, die offenbar auch noch nichts mitbekommen hatten, die wurden sofort angebrüllt, dass sie ihre Rucksäcke fallen lassen sollen. Die U-Bahnen sind dann in beide Richtungen sehr schnell gekommen, allerdings hat meine U-Bahn bei Wien-Mitte nicht gehalten, sondern ist bis Roßauer Lände weitergefahren. Von dort musste ich zu Fuß nach Hause in den dritten Bezirk. Auch wenn viel Polizei auf der Straße war und ich oft alleine nachts heimgehe: Es war das erste Mal, dass ich mich in Wien unsicher gefühlt habe."

Renate Kromp, Journalistin "News"


"Ich war für 20.15 Uhr im Restaurant gegenüber des Schwedenplatzes verabredet und kam mit dem Auto über den Kai. Als ich schon fast da war, sprang mir ein Polizist vors Auto, 'schleich dich! Lebensgefahr!', schrie er mich an, ich verriss das Lenkrad und fuhr in die Garage beim Dianabad im zweiten Bezirk, gleich vis-à-vis. Am Weg von dort zum Lokal, es war kurz nach 20 Uhr, standen zwar jede Menge Polizisten mit gezogenen Waffen – aufgehalten hat mich aber keiner. Kaum waren wir im bummvollen Lokal, wurden wir informiert, nicht mehr hinaus zu dürfen – die Szenen, die wir von dort aus beobachteten, glichen einem Kriegsfilm.

Rechts und links auf den Brücken, die vom ersten in den zweiten Bezirk führen, scheuchten die Einsatzkräfte massenhaft Leute von der Stadt in Richtung zweiter Bezirk. Sie mussten die Hände hochnehmen, dann stehen bleiben, dann näherte sich ihnen ein Polizist mit Sturmgewehr und eingeschalteter Taschenlampe drauf – es war ja längst dunkel – und kontrollierte die Leute. Danach durften sie weitergehen. Das ging ganz lang so. Wie im Kino.

Erst Stunden später durften wir das Lokal verlassen. Nicht ein Zivilist auf der Straße, dafür hunderte bewaffnete Polizisten."

Ein Gast aus einem Restaurant am Donaukanal/Schwedenplatz


"Ich war den ganzen Tag im Kunstforum, da wir die aktuelle Gerhard-Richter-Ausstellung vor dem Lockdown bis 23.59 Uhr geöffnet lassen wollten. Um 18 Uhr bin ich mit Freundinnen in der Nähe in ein Restaurant essen gegangen. Um 20.30 Uhr haben wir dieses wieder verlassen und wollten gemeinsam zur U-Bahn-Station Herrengasse gehen. Überall war Blaulicht, Sirenen und Einsatzfahrzeuge. Auf der Freyung rannte ein Polizeigespann an uns vorbei und schrie 'Hinein, hinein!'. Da wir sonst nirgends hinkonnten, liefen wir zurück ins Kunstforum. Weil mich der Oberaufseher erkannte, ließ er uns noch hinein. Das Museum war bereits versperrt gewesen. Dort half ich meinen Kollegen, die etwa 50 Besucher zu beruhigen und später auch mit Wasser zu versorgen. Wir haben gut zusammengearbeitet, und auch die Museumsleitung hat uns von außerhalb unterstützt.

Viele schauten sich die Ausstellung noch in Ruhe an, irgendwann wurden aber viele müde. Es gab viele Fragen – wir wussten nicht, wie lange das noch dauern würde. Um 23 Uhr hielten wir deswegen eine Polizeistreife vor der Türe auf, um um Auskunft zu bitten. Die Beamten sagten uns, dass große Häuser, in denen Menschen festsitzen, aktuell evakuiert werden. Wir standen auf der Liste.

Dann warteten wir wieder. Die Leute blieben sehr ruhig, waren aber angespannt. Ein paar Besucher wollten das Gebäude schon früher verlassen, die durften natürlich raus. Gegen 0.30 Uhr konnten die restlichen Besucher und das Aufsichtspersonal das Museum in Kleingruppen Richtung Schottentor in einem Polizeikorridor verlassen. Zwei ältere Damen wurden von der Polizei nach Hause gebracht. Meine Kollegin und ich konnten gegen 1.15 Uhr ebenfalls von einer Streife zu einem Taxi gebracht werden. Um 2 Uhr war ich zu Hause."

Sophie De La Fuente, Leitung der Vermittlung, Bank Austria Kunstforum Wien


"Ich bin Moslem und in meiner Religion steht so etwas nicht drin. Ich bin enttäuscht und stehe unter Schock, aber gestern dachte ich einfach, ich muss den Menschen helfen. Gestern Nacht hatte ich keinen Dienst, ich bin nur in die Gegend gefahren, um zu schauen, was los ist. Da sah ich weinende Frauen. Von halb 12 bis halb 5 hab ich dann Menschen nach Hause gebracht, manche haben bezahlt, andere nicht, manche haben gesagt, das was ich tue sei heldenhaft. Ich habe nur Frauen und Ältere mitgenommen, ich sah, dass sie Angst hatten. Später habe ich ein Video in eine Whatsapp-Gruppe voller Taxifahrer geschickt, um sie rauszuholen. Einige sind gekommen.

Fatih Yagiz, Taxifahrer


"Wir waren um 8 Uhr im Restaurant Salzamt verabredet, wir wollten uns mit Freunden zu viert treffen. Eine Freundin, mein Mann und ich waren ein bisschen zu früh, ich denke, wir sind um zehn vor 8 ins Restaurant gekommen. Viele Leute sind draußen vor dem Lokal im Gastgarten gesessen, es war warm. Wir haben uns aber reingesetzt, also in den großen Raum im Inneren, ziemlich weit vorne, und haben etwas zu trinken bestellt. Aber plötzlich war da dieser ohrenbetäubende Knall. Ganz kurz habe ich gedacht, da ist ein riesiger Luster runtergefallen, doch innerhalb von Sekunden war klar, dass es Schüsse sind. Alle Leute im Lokal sind sofort unter die Tische und Bänke. Es war unglaublich, wie die Leute die Ruhe bewahrt haben. Keiner hat geschrien.

Die Gäste, die draußen waren, sind reingekommen. Eine Frau war total aufgelöst, vielleicht war es ihre Freundin, die gerade verletzt wurde, das wussten wir nicht. Sie hat geweint. Ich hatte den Eindruck, dass der Täter an der Seite des Lokals unterwegs war. Es wurden sehr schnell sämtliche Fenster und Türen verbarrikadiert, alles dichtgemacht. Der Personal hat großartig gehandelt.

Einer der Gäste im Lokal, der Erfahrung bei der Berufsfeuerwehr hat, hat dann aber die Führung übernommen und uns alle um circa 8.05 Uhr zuerst in die Küche und von dort runter in den Keller gelotst. Wir waren ungefähr 50 Leute und sind dann bis um ein Uhr nachts da unten gesessen. Durften nicht mehr raus. Im Keller hatte ich keinen Handyempfang. Wir wussten deshalb gar nicht so genau, was passiert. Dass ich meine Familie nicht informieren konnte, war richtig schwierig auszuhalten.

Ich habe mich dann um einen Hund gekümmert, dessen Besitzer Augenzeugen der Schießerei waren. Sie waren total aufgelöst. Wir haben aber alle da unten sehr diszipliniert ausgeharrt. Die Polizei wusste, wo wir sind. Um circa ein Uhr durften wir dann in Fünfergruppen das Lokal verlassen. Man hat sehr sorgfältig unsere Personalien aufgenommen. Ich weiß, dass wir großes Glück hatten. Wären wir pünktlich zum verabredeten Zeitpunkt gekommen ... ich darf gar nicht daran denken, was dann hätte gewesen sein können."

Katharina P., Augenzeugin in einem Wiener Innenstadtlokal


"Ich war im Schauspielhaus (Porzellangasse), wo nach der Vorstellung (20–22 Uhr) Theaterleiter Tomas Schweigen auf die Bühne trat und über den Anschlag informierte. Er bot an, im Theater zu bleiben, das Büffet zu öffnen, und empfahl dringend, am Nachhauseweg keine Öffis zu verwenden und auf alle Fälle den ersten Bezirk zu meiden. Ich bin dann zu Fuß nach Hause gegangen bis zur Mariahilfer Straße. Die Strecke hintenrum beim Rathaus war menschenleer, ich sah vor allem Leute, die auf ihre Mobilhandys starrten und sehr viele sehr schnell fahrende Polizeiautos überall."

Margarete Affenzeller, STANDARD-Redakteurin Kultur


"Es sind angenehme, laue Stunden an diesem 2. November. Fast könnte man meinen, es sei der erste warme Frühlingsabend, an dem sich die Menschen in den Schanigärten der Innenstadt zusammenfinden, um eine gute Zeit zu haben. Die Stimmung ist ausgelassen, obwohl oder gerade weil Lockdown Nummer zwei vor der Wirtshaustüre steht. Es entsteht der Eindruck, als würden die Menschen eine Art Abschiedsparty feiern. Für wie lange, weiß keiner.

Ich sitze mit Freunden vor unserem Stammcafé am Franziskanerplatz, ein paar Kolleginnen haben sich zum Essen im Café Engländer beim Stubentor verabredet, meine Ex-Frau speist bei einem Asiaten beim Schwedenplatz, eine Freundin trifft sich mit Bekannten in der Wunderbar nahe dem Wiener Fleischmarkt.

Kurz nach 20 Uhr verlasse ich die illustre Runde, um meinen Sohn am Stephansplatz zu treffen. Er kommt vom Schwedenplatz, ist blass um die Nase, erzählt von unglaublich viel Polizei und von Schüssen, die er gehört hat. All das tut dem heiteren Treiben um uns herum keinen Abbruch. Was tun?

Unser Vorhaben, auf einen Drink zu gehen, geben wir zwei Minuten später auf. Beim Bauernmarkt sehen wir ein Sonderkommando. Wie eine Raupe schieben sich die schwerbewaffneten Beamten an Menschentrauben vor Lokalen vorbei. Sie brüllen. Die Leute sollen sich in die Lokale begeben. 'Sofort!' Sie schreien auch zu uns herüber. Ton und Bild sind surreal. Auf der einen Straßenseite Party, auf der anderen Terror. Sind wir wirklich in Wien? Ist dies wirklich ein lauer Abend?

Wir gehen zurück zum Stephansplatz, Menschen rennen am Graben, manche schreien. Ist das Panik? Ja, das ist Panik. Unsere Schritte werden schneller, wir beschließen, zu mir nach Hause zu gehen. Am Weg treffe ich einen älteren Herren, den ich kenne. Er will über den Graben zur Freyung. Ich sage ihm, er solle besser wieder umdrehen. Sein Blick fragt 'Warum?'. Vor dem Restaurant 3 Hacken in der Singerstraße, ein paar hundert Meter vom Stephansplatz entfernt, stehen Menschen. Die Ausgelassenheit ist verschwunden. Der Wirt sagt ihnen, sie sollen nicht über das Stadtzentrum nach Hause gehen.

Zu Hause angekommen, beginnt das Telefon zu läuten. Meine Freunde sind nun im Stammlokal, die Rollläden wurden heruntergelassen. Sie sitzen wie in einer Dose. Die Kolleginnen aus dem Café Engländer kamen in einer Wohnung eines Bekannten in der Innenstadt unter, die Freundin schreibt mir, sie liege auf der Bank im Lokal, auf der wir noch vor kurzem was getrunken haben. Sie würden in ein Hotel gebracht.

Meine Ex-Frau steht mit anderen Gästen des asiatischen Lokals in einem engen Innenhof. Zuvor hatte sie sich auf der Toilette versteckt. "Woher weiß man schon, wie ein Maschinengewehr klingt, wenn man nie eines gehört hat", erzählt sie mir Stunden später. Sie berichtet auch von unzähligen Polizisten und kurzer Totenstille im Lokal, auf dessen Boden sich die Gäste auf Anweisung der Polizei hatten legen müssen. Und sie sieht Passanten, die mit erhobenen Händen zu ihren Autos wollen und von Beamten kontrolliert werden.

Die anderen Gäste schauen Nachrichten, der Wirt spendiert Lokalrunden, die Menschen fragen sich, ob sie die Nacht hier verbringen werden müssen. Sie berichtet von weggeschmissenen Nerven und dem Verlust von Zeitgefühl, ehe sie und andere von circa acht Beamten in Richtung zweiter Bezirk eskortiert werden. Mein Sohn und ich hängen am Bildschirm vor den Nachrichten. Ich drücke ihn und bin dankbar, dass ihn sein Weg vom Schwedenplatz nicht durch die 'falschen' Gassen geführt hat.

Der Stephansplatz am Tag danach.
Foto: Maik Hausenblas

Der 3. November ist da. Es war klar, dass die Wiener Innenstadt am Tag des Lockdowns ruhig sein würde. Die meisten Geschäfte haben geschlossen, das Buchgeschäft hat geöffnet, die Damen von der Blumenhandlung räumen ihre Ware vors Geschäft. Das große Polizeiaufgebot, das laut meinem Trafikanten am Morgen hier am Stephansplatz zu sehen war, ist verschwunden. Zwei Handvoll schwerbewaffnete Polizisten in verschiedenen Uniformen stehen am Platz, ruhig und ernst. Fragen dürfen sie keine beantworten. Auf einem Tablett stehen Tassen und Gläser. Wahrscheinlich hat sie jemand den Beamten vorbeigebracht. Ich denke zurück an den ersten Tag des ersten Lockdowns im vergangenen März, an dem ich genau hier saß. Ich erinnere mich an das mulmige Gefühl, an die Leere. Heute ist es anders, nur die Tauben sind dieselben geblieben."

Maik Hausenblas, STANDARD-Redakteur Rondo/Lifestyle/Reise


"Ich bin Taxifahrer. Ich fuhr die Rotenturmstraße hinunter, blieb am Schwedenplatz vor der roten Ampel stehen. Dann hat es plötzlich mehrfach geknallt. Ich dachte an Silvesterböller. Dann sah ich Menschen rennen, und jemanden in einem weißen Anzug, ein Gewehr im Anschlag. Ich habe im ersten Moment nicht realisiert, was hier abgeht.

Rund um Halloween rennen hier dauernd verkleidete Typen herum. Ich fuhr zum Sofitel. Dann bekam ich schon Anrufe von Kollegen: Raus aus der Innenstadt, hieß es. Die Polizei riegelte die Straße mit einer quergestellten Straßenbahn ab. Später am Abend habe ich Freunde, die rund um das Sofitel in Lokalen festsaßen, heimgefahren."

Mustafa Atabas, Uber-Taxifahrer


"Es ist ein eigenartiges Gefühl, dass man beim harmlosen Schnitzelessen mit Freunden im Café Engländer am Montagabend vor dem Lockdown nicht weit von den furchtbaren Schüssen entfernt war. Irgendwann kam der Wirt, der wusste, es gab einen Anschlag mit Toten in der Seitenstettengasse. Dann saßen wir alle an den Mobiltelefonen. Jeder wusste was, jeder wusste eigentlich nichts. Gehen oder bleiben?

Den Nachhauseweg, den wir sonst über den Fleischmarkt, Schwedenplatz und Morzinplatz in den Zweiten gehen, haben wir großflächig umrundet und waren erst nach einem längeren Fußmarsch um Mitternacht zu Hause. Andere Gäste sind später ins Hinterzimmer verfrachtet worden, unter anderen Richard Lugner und seine Begleitung.

Sie wurden mit Essen und Trinken versorgt, nicht nur weil vor dem Lockdown ohnehin alles weg musste, erzählt Christian Wukonigg. Der Wirt vom Engländer war da schon bei seinen kleinen Söhnen zu Hause und per Telefon mit seinen Kellnern verbunden. Seine Frau Eva, deren Lokal 'Paul und Vitus' am Petersplatz noch näher am Terror lag, hat als ehemalige Stewardess mit Ausbildung ihre Gäste schon früh aus dem Schanigarten in die Keller expediert und dort versorgt. Um 2.30 Uhr gab die Polizei grünes Licht, nach Hause zu gehen."

Mia Eidlhuber, STANDARD-Ressortleiterin Album


"Montagabend, 19 Uhr. Noch mit Kollegen und Freunden auf ein gemeinsames Getränk im Café Engländer, bevor das nicht mehr möglich ist, das ist der Plan. Es kommt dann alles anders. Eine Stunde später stößt ein Bekannter zu unserer Gruppe. Er kommt vom Schwedenplatz, hat Schüsse gehört, die 'wie Silvesterböller' klangen. Kurzer Check auf Twitter, Youtube, Facebook, dem Nachrichtenticker: Was ist da los? Ein Terroranschlag, heißt es, im ersten Bezirk.

Je länger wir über unseren Telefonen hängen, desto konfuser die Stimmung, Gerüchte von einer Geiselnahme machen sich breit. Als die Türen geschlossen werden und der Kellner verkündet, keine Getränke mehr auszuschenken, beschließen wir, in eine Privatwohnung um die Ecke zu flüchten.

Die Eltern unseres Bekannten leben in der Wollzeile. Dort harren wir zu sechst vor dem Fernseher aus, ein Getränk in der einen, das Handy in der anderen: Der erste Bezirk soll nicht verlassen werden, heißt es auf allen Kanälen. Nach Mitternacht fällen wir eine Entscheidung. Wir schlafen im Hotel, das "König von Ungarn" nimmt uns auf. Sechs Personen, verteilt auf drei Zimmer. Irgendwann gegen zwei Uhr dann Fernseher aus, noch immer kreisen Hubschrauber über dem Bezirk.

Nach vier Stunden Schlaf die erste Whatsapp-Nachricht am Morgen: 'Vom Stephansplatz fährt die U3'. Ungeduscht raus und nichts wie nach Hause."

Anne Feldkamp, STANDARD-Redakteurin Rondo/Lifestyle


"Ich hatte gestern ein berufliches Abendessen in einem Lokal in der Jasomirgottstraße in der Nähe des Stephansdoms. Von den ersten Schüssen nahe der Synagoge habe ich im Lokal zunächst nichts mitbekommen, aber plötzlich wurden alle Gäste, die draußen saßen, von den Kellnern ins Lokal hereingebeten. Es hieß, dass in mehrere Lokale geschossen wurde. Die Türen wurden versperrt, niemand durfte mehr hinaus. Draußen rasten Polizeiautos vorbei. Etwas später wurden alle Gäste in den Keller gebracht, wo dann die etwa 50 Leute drei Stunden lang ausharren mussten. Es ist aber recht ruhig zugegangen, es gab keine Panik. Alle waren bemüht, Nachrichten zu ergattern und Infos weiterzugeben. Doch es waren natürlich auch sehr viele Gerüchte im Umlauf.

Ich selbst war auch recht gefasst, denn von Straßburg und Brüssel bin ich oft mit so etwas konfrontiert. Dort patrouillieren ständig Polizisten in Kampfmontur an neuralgischen Punkten, vor allem auch in den vergangenen Tagen nach den Anschlägen in Frankreich. Dass ich selbst einmal in so eine Situation kommen könnte, damit hatte ich also durchaus gerechnet – aber eben in Brüssel oder Straßburg, nicht in Wien.

Als nach drei Stunden die Polizei kam und den Leuten sagte, dass sie nach Hause gehen könnten, war die Erleichterung spürbar. Die Polizisten wiesen die Leute aber an, keinesfalls in Richtung Morzin- und Schwedenplatz zu gehen, sondern in andere Richtungen. Weil mein Handyakku schon recht schwach war, setzte ich noch schnell ein Posting auf Facebook ab, dass es mir gut geht. Das Vorgehen der Einsatzkräfte hat überaus professionell gewirkt, ihnen gilt mein besonderer Dank."

Günther Sidl, EU-Abgeordneter der SPÖ


"Wir sind normalerweise nie hier, meine Schwester hatte aber noch einen Gutschein. Das Lokal ist total klein, wir haben schon zu Beginn bezahlt. Auf einmal haben wir laute Geräusche gehört. Schüsse, wie ich jetzt weiß. Aber daran denkt man ja nicht. Ich dachte, es ist irgendetwas auf einer Baustelle los. Dreimal hörten wir 'Drrrrrrrrr'.

Wir konnten das zunächst nicht einordnen und wollten noch Richtung Schwedenplatz auf ein Getränk. Dann haben uns drei Typen aufgehalten und gesagt, dass wir nicht weiter sollen, weil da eine angeschossene Person am Boden liegt. Zu dem Zeitpunkt standen wir auf der Rotenturmstraße vor einem anderen Burgerlokal.

Auf einmal sind alle Leute einfach losgerannt. Wir wussten gar nicht, was abgeht. Dann haben wir sehr viel Polizei gesehen. Wir rannten Richtung Museumsquartier. Je weiter wir kamen, desto schlimmer wurde es mit Blaulicht und Sirenen. Ich habe erst später realisiert, was da eigentlich los war. Meiner Schwester ging es aber ganz anders. Sie war schon sehr panisch. Ständig hat sie am Handy auch schon Videos angeschaut. Ich habe gesagt, dass sie das lassen soll und warten soll, bis wir daheim sind.

Am Museumsquartier angekommen fühlten wir uns noch immer nicht sicher. Es kursierte, dass auch etwas mit der U-Bahn passiert sein könnte. Wir haben uns nicht getraut zu fahren. Wir sind dann zu Fuß nach Hause gegangen. Da haben wir dann bis um 2 Uhr Nachrichten verfolgt. Geschlafen habe ich kaum, nach dem Schock am Montagabend geht es mir heute aber gut. Ich bleibe trotzdem auf jeden Fall daheim."

Elena Mark, Studentin


"Ich bin noch immer unter Schock. Ich habe mein Lokal eigentlich zu, aber ich habe aufgeräumt und auf einmal Schüsse gehört. Viele. Ein Maschinengewehr. Ich habe rausgeschaut, da ist der vorbei gelaufen und hat wohl vor der Synagoge jemanden erschossen. Er hat einen weißen Jogginganzug oder so etwas ähnliches angehabt. Und immer wieder geschossen – ich glaube 100 oder 200 Schüsse habe ich gehört. Später habe ich gesehen, dass die Polizei jemanden mit einer Decke abgedeckt hat. Und jetzt kommen immer mehr Transportwagen, sicher schon zehn Krankenwagen."

Ein Augenzeuge aus einen Lokal nahe der Synagoge während der Zeit des Anschlags

(red, 3.11.2020)

Sollten Sie Augenzeuge des Anschlags gewesen sein, posten Sie gerne Ihre Erfahrungen. Wir möchten Sie aber bitten, von Mutmaßungen und expliziten Gewaltbeschreibungen Abstand zu halten.