Keine Frage, Lotte Tobisch wäre begeistert gewesen. Als Nadja Bernhard an einem Abend im Oktober die "ZiB 1" moderierte, sah sie aus, als wolle sie der verstorbenen Wiener Opernball-Organisatorin Tribut zollen. Die 45-Jährige Moderatorin trug ein Modell, dessen Gläser den Vergleich mit den getönten Sehhilfen der Tobisch nicht scheuen mussten: Irgendwas zwischen nerdig und elegant saß da auf ihrer Nase.

Brille Nummer eins präsentierte ORF-Moderatorin Nadja Bernhard im September, im Oktober folgte dieses Modell.
Tanja Satin
Stilvorbild Lotte Tobisch, hier 2016.
Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Bernhard hatte sich für ein selbstbewusstes Gestell entschieden, das im ORF-Studio wie ein Ufo aus einer anderen modischen Umlaufbahn wirkte. Oder, anders gesagt: Die Brille der Moderatorin hätte sich (im Gegensatz zu Armin Wolfs Alternative zu zerbröselten Kontaktlinsen) in jeder Gucci-Kampagne behaupten können. Die Reaktionen des österreichischen Publikums ließen nicht auf sich warten. Sie habe sich über "die Menge an Feedback gewundert", erklärte die ORF-Moderatorin dann auch bei "Heute" und bekannte, das Gestell sei ein rein modisches Accessoire und keine Sehhilfe. (mittlerweile hat Bernhard klargestellt: die Brille ist auch Sehhilfe)

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Im Jänner präsentierte Gucci-Designer Alessandro Michele eine Kollektion, die von Männern wie Frauen getragen werden kann.
Foto: Gucci/MARK PECKMEZIAN Handout via REUTERS

Die Moderatorin machte den Zuschauern vor, was Menschen unter 30 und Fans von Netflix-Serien in Retro-Optik nicht erklärt werden muss: Eine Brillengestell darf sich gut und gern im Gesicht breitmachen. Und dabei aussehen, als sei es in den 80er-Jahren im Silicon Valley auf den Nasen männlicher Computernerds gesessen – dazu muss man sich nur die Modelle von Andy Wolf ansehen. Das österreichische Label hat allerdings verstanden: Auch Frauen wollen große Gläser tragen.

Ganz schön groß: Brillengestell vom österreichischen Label Andy Wolf.
Foto: Andy Wolf

Und ja, auch solche, wie sie die Schauspielerin Evan Rachel Wood in Miranda Julys neuem Film "Kajillionaire" trägt.

Das scheint nach wie vor nicht überall auf der Welt selbstverständlich. Erst vor einem Jahr protestierten Frauen in Japan dagegen, dass dortige Unternehmen in einigen Branchen Mitarbeiterinnen in repräsentativen Positionen das Tragen von Brillen verbieten wollen.

Umso wichtiger, dass Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen, demonstrieren, dass Kontaktlinsen nicht das Nonplusultra sind – so wie das zum Beispiel die US-Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez regelmäßig tut.

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Alexandria Ocasio-Cortez im August in Washington.
Foto: Tom Williams/Pool via REUTERS

Dass das noch lange nicht bedeutet, sich auf die Brille festlegen zu müssen, demonstriert Nadja Bernhard. Das Gestell werde "die Ausnahme bleiben" und immer dann, wenn es zum Outfit passe, zum Einsatz kommen, erklärte sie. Wir freuen uns schon drauf. (Anne Feldkamp, 5.11.2020)