Dieser Anschlag hat das Ziel, uns in Angst zu versetzen, Hass zu verbreiten, uns aufzuhetzen, unsere Gesellschaft zu spalten. Der Anschlag hat das Potenzial, unser aller Leben zu verändern. Doch das darf nicht passieren. Das dürfen wir nicht zulassen. Dieser Anschlag darf unser Land nicht verändern. Sonst hätte der Terrorist gewonnen.

In der Wiener Innenstadt hat der mutmaßliche Attentäter nicht nur mehrere Menschen ermordet, sondern dabei auch unsere Gesellschaft und unsere Werte attackiert. Ob er damit Erfolg haben wird, hängt von unserer Antwort auf diesen Anschlag ab. Terroristen wollen Gesellschaften polarisieren und radikalisieren. Ihnen geht es um politische Instabilität, indem der Zusammenhalt verloren geht. Sie wollen, dass sich eine Gruppe gegen eine andere wendet. Dem nachzugeben würde bedeuten, unsere Werte als liberale, westliche Demokratie zu schwächen – das Feindbild des "Islamischen Staates". In diese Falle dürfen wir nicht tappen.

Kranzniederlegung in Gedenken an die Opfer des Terroranschlags in der Wiener Innenstadt.
Foto: EPA/CHRISTIAN BRUNA

Österreich befindet sich derzeit gleich doppelt im Ausnahmezustand. Am Dienstag hat ein Lockdown begonnen, um die stetig steigenden Infektionen durch die Corona-Pandemie zu bekämpfen. Das allein verlangt der Bevölkerung viel ab. Nur vier Stunden davor bringt ein Sympathisant des IS den Terror nach Wien. Anders als Berlin, London, Madrid oder Paris ist die Stadt bisher lange verschont geblieben. Lange war klar, dass auch in Österreich Schläfer leben müssen und dass IS-Rückkehrer im Land sind. Wir haben Glück gehabt, dass bisher nichts Schlimmes passiert ist, und vermutlich haben die Behörden auch schon so manches verhindert. Auch Montagnacht hat die Polizei durch ihren schnellen Eingriff vermutlich viele Menschenleben gerettet.

Empathischen Grundhaltung

Doch nun wartet auf Österreich die gleiche Prüfung wie schon zuvor in Ländern, die von Terror betroffen waren: Bauen wir mehr Mauern um uns herum, werden wir misstrauischer gegenüber anderen? Nehmen wir uns selbst Teile jener Freiheit, die wir genießen?

In einer solchen Lage sind Politiker gefragt, die das Land einen. Die nicht von dem Gift Gebrauch machen, Schuldige bei Minderheiten zu suchen und mit Populismus und Hetze Stimmen zu holen. Bundeskanzler Sebastian Kurz hat in seiner Rede am Dienstag einen Schritt in die richtige Richtung gemacht: Dies sei keine Auseinandersetzung zwischen Christen und Muslimen, sagte er, sondern ein Kampf "zwischen den vielen Menschen, die an den Frieden glauben, und jenen wenigen, die sich den Krieg wünschen". Nicht muslimische Gläubige haben Österreich attackiert, sondern ein islamistischer Extremist. Den Extremismus gilt es zu bekämpfen – hier ist der Rechtsstaat gefragt, mit all seinen Konsequenzen. Schon gibt es das Versprechen, man werde die Hintermänner des Attentats "jagen". Man wird sehen, welche Taten folgen werden.

Sowohl das Coronavirus als auch der Terror bringen Leid über die Menschen in diesem Land. Doch beide sind mit einer ähnlichen empathischen Grundhaltung besiegbar: Bleiben wir besonnen, halten wir zusammen, achten wir aufeinander, lassen wir uns nicht auseinanderdividieren, und suchen wir Hilfe, wenn uns alles gerade zu viel wird. Lassen wir die Extremisten nicht gewinnen. Zeigen wir, dass Österreich eine starke Gesellschaft ist.(Martin Kotynek, 3.11.2020)