Fast sieben Wochen lang mussten im Frühjahr viele Geschäfte geschlossen bleiben.

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Mit den ersten Ausgangsbeschränkungen samt behördlich verordneten Geschäftsschließungen im März dieses Jahres poppte die nicht unwesentliche Frage auf, ob Unternehmer, die ihren Geschäftsbetrieb dadurch nicht mehr aufrechterhalten konnten, weiter Miete zahlen müssen oder nicht.

Im Fall eines Wiener Friseurs wurde dazu nun am Bezirksgericht Meidling ein erstes Urteil (in erster Instanz) gefällt. Die Antwort lautet: nein.

Vermieter blitzte mit Klage ab

Der Friseur hatte im April die Miete nicht mehr gezahlt, sondern nur Betriebskosten. Er berief sich auf die Paragrafen 1096 und 1104 ABGB, die eine Mietzinsbefreiung im Fall eines "außerordentlichen Zufalls" ermöglichen. Denn die Covid-19-Pandemie sei eindeutig als Seuche im Sinne des Paragrafen 1104 anzusehen, argumentierten die Anwälte des Friseurs, Paul Kessler und Markus Singer (SKPR Rechtsanwälte). Der Vermieter sah das anders, klagte die Hauptmiete ein und schickte gleich eine Räumungsklage hinterher.

Dass die Paragrafen 1104 und 1105 (Letzterer regelt eine teilweise Mietzinsbefreiung im Fall einer nur partiellen Unbrauchbarkeit des Mietgegenstands) im Fall der Corona-Pandemie anwendbar sind, hatten führende Zivilrechtler dieses Landes schon im Frühjahr nicht bestritten. Viele Vermieter beriefen sich dann aber auf ein Gutachten, das im Auftrag des WKO-Fachverbands der Immobilientreuhänder erstellt worden war und in dem argumentiert wurde, dass die Pandemie wie ein "dem Bestandnehmer (Mieter, Anm.) zugestoßener Unglücksfall" zu betrachten sei.

Paragraf 1104 kommt zur Anwendung

Das Meidlinger Bezirksgericht folgte dieser Argumentation aber nicht, sondern stellte fest, dass grundsätzlich Paragraf 1104 ABGB hier zur Anwendung komme. Dass nur eine partielle Unbrauchbarkeit vorlag, hätte der Vermieter in dem Verfahren dann noch beweisen können.

Dabei wurde zunächst damit argumentiert, dass die Geschäftsräumlichkeit in der Zeit der Ausgangsbeschränkungen auch als Lager genützt wurde. Doch das sei in diesem Fall unerheblich, denn einerseits sei "die eigentliche geschäftliche Tätigkeit, der die Lagerung dient, durch räumliche Beschränkungen gänzlich verunmöglicht worden", und andererseits sei die Lagerung von Waren für den eigentlichen Betriebszweck eines Dienstleistungsgeschäfts (Friseur) nicht erforderlich, und sie sei im konkreten Fall auch nicht allzu intensiv betrieben worden.

Auch die Auslage war unbrauchbar

Und die Auslage des Geschäfts? Die habe ja wohl auch in Zeiten der Ausgangsbeschränkungen als Werbefläche fungiert, so die Anwälte des Vermieters weiter. Auch das ließ das Gericht aber nicht gelten: Weil ja weder das Einkaufen noch das Flanieren in dieser Zeit möglich war, "trug auch die Auslage in dieser Zeit nicht zur weiteren Geschäftstätigkeit (Anlocken von Kunden, Werbung etc.) bei", heißt es in der Beweiswürdigung.

Der Friseur musste also "nach § 1104 ABGB für den Monat April 2020 keinen Mietzins entrichten", so das Bezirksgericht. "Somit lag kein Mietzinsrückstand vor, weswegen auch das Räumungsbegehren nicht berechtigt war." Die Klage wurde abgewiesen.

Gang vor den OGH angekündigt

Das war allerdings freilich nur die erste Instanz. Anwalt Paul Kessler kündigt im Gespräch mit dem STANDARD an, dass man die Sache bis vor den OGH bringen wolle – das habe ihm der Anwalt der Gegenseite bereits signalisiert. Auch der Vermieter will Klarheit in dieser Causa.

Viele andere Vermieter hatten dieses Begehr aber nicht – beziehungsweise suchten sie stattdessen lieber individuelle Lösungen mit ihren Mietern. Irene Zavarsky, Inhaberin eines Sportgymnastik-Studios in Wien, hatte beispielsweise die Mietenzahlung im März komplett eingestellt (DER STANDARD berichtete). Es folgten Verhandlungen zwischen den Anwälten. Dem Vermieter – ein großer institutioneller Bestandhalter – wurde kommuniziert, dass man sich erstens auf das ABGB berufe und zweitens Insolvenz werde anmelden müssen, wenn der Vermieter nicht mit sich reden lasse.

"Vermieter hat akzeptiert"

"Im Endeffekt wurde das akzeptiert, ich habe zweieinhalb Monate lang nur die Betriebskosten bezahlt." Danach ging es mit der Miete wieder normal weiter. Klage gab es keine.

So wie Zavarsky ging es einigen. Patrice Fuchs, Unternehmerin in Wien und in der Gewerkschaftsinitiative Vidaflex aktiv, war im Frühjahr mit rund 100 Klein- und Kleinstunternehmern bezüglich ihrer Lokalmieten in Kontakt. Davon hätten sich "nur etwa 20 getraut, gar nichts mehr zu zahlen". Von diesen habe aber bis heute niemand eine Klage des Vermieters bekommen, berichtet Fuchs nun dem STANDARD. "Da ist nichts passiert". Rückblickend hätte es also "durchaus mehr mutige Nichtzahler" geben sollen, merkt sie an.

Im Fall von neuerlichen Geschäftsschließungen wird man sich aber vorerst weiterhin in unsicherem rechtlichem Terrain bewegen, solange kein OGH-Entscheid vorliegt. "Einen besseren rechtlichen Stand hätte ich jetzt aber zumindest wohl schon", meint Zavarsky, denn schließlich hat ihr Vermieter schon einmal akzeptiert, dass in einer Ausnahmesituation keine Miete kommt.

Mietreduktion hilft nur dem Nachmieter

Patrice Fuchs hatte schon vor Corona mit ihrem Vermieter über die Miete gestritten, es kam zu einem Verfahren vor Gericht. Corona half schließlich, eine günstigere Miete durchzusetzen, die vom Vermieter akzeptiert wurde. Doch die wird nun dem Nachmieter zugutekommen: Fuchs gibt ihr kleines Einrichtungsgeschäft in Wien-Mariahilf dieser Tage auf. (Martin Putschögl, 4.11.2020)