Im Roten Meer alles anders? Forscher untersuchen, wie Korallen auf Hitzestress reagieren, und kommen zu erstaunlichen Ergebnissen.

Foto: Tim Kalvelage

Eis-Rekordschmelze auf Grönland, Feuersbrünste in Australien, die Ozeane wärmer denn je – Hoffnungsschimmer sind rar zwischen den Schreckensmeldungen zur Klimakrise. Doch es gibt sie. Einen sendet das Interuniversity Institute for Marine Sciences im israelischen Eilat. Dort erforscht Maoz Fine, wie Korallen auf Hitzestress und Umweltverschmutzung reagieren.

Der Meeresökologe konnte in seinen Versuchstanks am Roten Meer beeindruckende Fitnesswerte messen, obwohl die Korallen Bedingungen ausgesetzt waren, die ihnen sonst den Garaus machen. Sogar als die Forscher den Stress weiter verstärkten, ließen sich ihre Schützlinge lange nicht unterkriegen: drei Grad Erwärmung, dann vier, fünf … Erst nach mehreren Wochen bei sieben Grad über der Höchsttemperatur im Sommer begannen die Korallen zu verblassen.

Wertvoller als Regenwald

"Unglaublich!", sagt Fine angesichts der Widerstandsfähigkeit der Organismen. Er hat eine Versuchsanlage bauen lassen, um einen Blick in die Zukunft der Ozeane zu werfen, die sich aufheizen und versauern. Dutzende Aquarien seines Red-Sea-Simulators hat er mit Korallenfragmenten aus dem Golf von Akaba, dem nordöstlichen Arm des Roten Meers, bestückt.

Zwischen den Becken fährt ein Roboter auf und ab und misst im Minutentakt Temperatur und Säuregrad des Wassers. "Wir simulieren verschiedene Klimaszenarien", sagt Fine und deutet auf vier große Tanks, in denen Meerwasser mit CO2 angereicht wird, ehe es in die beheizten Becken strömt.

Seine Forschungsgruppe fand Erstaunliches heraus. Eine Art "Zufluchtsort für Korallen vor dem Klimawandel" glaubt er im Golf von Akaba entdeckt zu haben, "eine Arche, die ihren Fortbestand sichern könnte".

Tropische Korallenriffe sind die artenreichsten Lebensräume im Ozean. Zwar machen sie nur ein halbes Prozent der Meeresfläche aus, doch fast ein Drittel aller Fischarten findet hier Unterschlupf, vom Clownfisch bis zum Riffhai. 2014 haben Umweltökonomen den Wert intakter Riffe für Fischerei und Tourismus sowie als Küstenschutz beziffert: zehn Billionen US-Dollar jährlich. Ökonomisch betrachtet sind Korallenriffe damit pro Quadratmeter wertvoller als Regenwald.

Kalkskelette werden porös

Gleichzeitig ist kaum ein Ökosystem stärker vom Klimawandel bedroht, weil ihre Baumeister, die Hartkorallen, unter dem CO2-Anstieg in der Atmosphäre gleich doppelt leiden. Die Ozeanversauerung lässt ihre Kalkskelette porös werden, die Erwärmung der Meere die Symbiose mit überlebenswichtigen Mikroalgen kollabieren.

Wird es Korallen zu heiß, verstoßen sie ihre einzelligen Partner. Das ist fatal, denn ohne sie können sich die Korallenpolypen nicht ernähren. Kurzfristig können sie den Verlust kompensieren, indem sie tierisches Plankton fressen. Hält eine Hitzephase jedoch zu lange an und bleiben die Symbionten dauerhaft fern, verfallen sie zu weißem Gerippe.

In den vergangenen Jahrzehnten kam es mehrfach zu Massenbleichen, die Riffe von der Karibik über die Malediven bis nach Australien töteten. Allein am Great Barrier Reef starb 2016 und 2017 die Hälfte der Korallen. Anfang 2020 wurde es erneut von einer schweren Bleiche heimgesucht.

Ihre Umwelt wandelt sich zu rasant, als dass sich die langsam wachsenden Meerestiere daran anpassen könnten. Hitzewellen in immer kürzerer Folge lassen beschädigten Riffen kaum Zeit zur Erholung. Laut Weltklimarat drohen 70 bis 90 Prozent der noch verbliebenen Korallen zu verschwinden, selbst wenn es gelingt, das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Bei zwei Grad Erwärmung steht der Kollaps nahezu aller Riffe bevor.

Verschiedene Klimaszenarien

Einige Riffe jedoch scheinen vom Klimawandel unbeeindruckt. "Den Korallen im Golf von Akaba geht es prächtig", sagt Maoz Fine, "und das, obwohl die Wassertemperatur hier viermal so schnell steigt wie in anderen Ozeanregionen."

Um herauszufinden, woran das liegt und wie die Überlebenschancen langfristig stehen, haben er und sein Team mehr als 20 Korallenarten aus dem Golf unterschiedlichen Bedingungen ausgesetzt. Sie entsprechen verschiedenen Klimaszenarien – von "weiter wie bisher" bis hin zu ambitionierter CO2-Reduktion.

"Wir haben die Temperatur in den Aquarien anfangs um ein bis zwei Grad erhöht", erzählt der Forscher, "aber nichts geschah." Dabei gilt ein Grad Erwärmung als kritische Schwelle. Darüber stoßen Korallen die Mikroalgen ab, die sie mit Sauerstoff und Zucker versorgen, und bleichen aus. Normalerweise. Nicht aber die offenbar stressresistenten Superkorallen in den Tanks von Fine.

Eine Erklärung dafür liefern die Geografie und die geologische Vergangenheit des Roten Meers. Letzteres erstreckt sich in Nord-Süd-Richtung über mehr als 2000 Kilometer. An der Sinai-Halbinsel gabelt es sich in den Golf von Suez und den Golf von Akaba, an dessen Spitze sich das israelische Eilat zwischen Jordanien und Ägypten zwängt.

Während sich das südliche Rote Meer im Sommer auf 33 Grad aufheizt, bleibt es im Norden sechs Grad kühler. Trotzdem sind die Korallen dort an ähnlich hohe Temperaturen angepasst wie jene im Süden. Aufgrund natürlicher Selektion.

Fast abgenabelt

Während der letzten Eiszeit sank der Meeresspiegel in der Region um rund 120 Meter. Das Rote Meer wurde fast vollständig abgenabelt vom restlichen Ozean. "Große Teile, die heute Wasser bedeckt sind, waren damals Wüste", erklärt Maoz Fine. Die Folge: ein extrem hoher Salzgehalt – tödlich für die Riffe.

Erst als der Pegel vor etwa 7000 Jahren das heutige Niveau erreichte, besiedelten Korallen aus dem Indischen Ozean das Rote Meer wieder. Nur jene Korallen, die im heißen Süden um Eritrea und Jemen überlebten, pflanzten sich fort und eroberten Riff für Riff das Rote Meer.

Heute gehören die Korallenriffe im Roten Meer mit einer Länge von insgesamt über 4000 Kilometern zu den ausgedehntesten der Welt und weisen eine hohe Artenvielfalt auf: Wissenschafter haben im Roten Meer rund 350 verschiedene Korallen identifiziert, von den über 1000 Fischarten kommen 13 Prozent nirgendwo sonst im Ozean vor.

Gegen Hitzestress gewappnet

Welche Gene die Korallen im Golf von Akaba von ihren Vorfahren geerbt haben, sodass sie gegen Hitzestress gewappnet sind, ist unklar. Fest steht: Sie verschaffen den Korallen einen größeren Spielraum. Das mache die Region so einzigartig, sagt Maoz Fine: "Diese Riffe haben vielleicht die besten Chancen gegen den Klimawandel."

Tatsächlich haben Forscher hitzetolerante Korallen auch in anderen Meeresregionen gefunden, wo Korallen hohe Temperaturen gewohnt oder durch kühle Meeresströmungen geschützt sind. Aber selbst solche "Superriffe" drohen zu verschwinden.

Maoz Fine ist überzeugt, dass die Riffe im Golf von Akaba und in anderen Regionen langfristig bewahrt werden können. Dafür bedarf es neben dem Rückgang der CO2-Emissionen allerdings weiterer Schutzmaßnahmen.

Denn nicht nur die Erderwärmung bedroht die Korallen: Überfischung, Verschmutzung und Küstenbebauung schädigten in den vergangenen Jahrzehnten die Riffe an vielen Orten. Diese lokalen Stressfaktoren gelte es zu minimieren, so Fine, wenn man die Riffe für den Klimawandel rüsten wolle. (Tim Kalvelage, 10.11.2020)