Synagoge im Szeneviertel: Die Wiener Seitenstettengasse beim Schwedenplatz wurde Tatort eines islamistischen Terroranschlags. Inmitten des Bermudadreiecks befindet sich auch der jüdische Stadttempel.

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Der terroristische Anschlag am Montagabend traf die Stadt Wien nicht nur in ihrem organischen Kern – der Innenstadt –, sondern auch an einem ihrer lebhaftesten Orte. Klar, egal welcher Platz betroffen wäre, hätte es fatale Folgen für die Menschen gehabt. Dennoch gilt die Gegend zwischen Donaukanal, Stephansplatz und dem Schottenring als pulsierender Knotenpunkt der Stadt, der sowohl untertags wie auch abends und nachts stark besucht ist. Ruhig ist es dort eigentlich nie.

In den schmalen mit Kopfsteinpflaster ausgelegten Gassen rund um den Schwedenplatz tummelt sich ein diverses Publikum aus shoppenden Touristen, unternehmungslustigen Hedonisten, kulturinteressierten Flaneuren und hektischen Businessleuten.

Fiaker, Radfahrer und Taxis teilen sich die Straßen. Jugendliche in Jogginghosen hängen vor den zahlreichen Imbissbuden ab, Männer mit Bierdosen in den Händen sitzen auf Parkbänken, und Familien stehen geduldig vor dem berühmten Eisgeschäft an.

Man trifft sich am Schwedenplatz

Die Gegend ist in ständiger Bewegung und steht in ihrer Gesamtheit für moderne und urbane Alltagskultur – mit all ihren Problemen und Vorteilen. Sie gilt als einer der ältesten Stadtteile Wiens. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts verlief hier entlang des Donauarms die Stadtmauer. Sie markierte die Grenze der Stadt – heute scheint die Welt erst hier zu beginnen.

Die Stadt schafft es an diesem Ort, all ihre Facetten zu zeigen. Hier kann man fündig werden – egal, wonach gesucht wird – oder komplett verlorengehen. Der Schwedenplatz ist frequentierter Verkehrsknoten, Umschlagplatz, Treffpunkt, städtische Oase und Ausgehviertel zugleich.

Hier treffen mehrere U-Bahnen und Straßenbahnen zusammen. Auch der Donaukanalradweg schleicht sich am Ufer vorbei, Schiffe schwimmen ihre Bahnen nach Bratislava, und mehrspurige Straßen führen direkt Richtung Flughafen. Aus rein logistischer Logik verabredet man sich am Schwedenplatz.

Bermudadreieck und Donaukanal

Richtungen, in die man geht, gibt es viele: Egal ob Tag oder Nacht zieht es Menschen zum angrenzenden Donaukanal, wo man billiges Dosenbier von mobilen Verkäufern bekommt, um es am asphaltierten Ufer zu konsumieren, oder bunte Cocktails in Liegestühlen vor einem der Strandlokale trinkt. Straßenmusik, öffentliche Kunstaktionen, Konzerte und Street-Art sind fester Bestandteil des Stadtteils.

Ein Klassiker für Bewohner und auch Besucher des Viertels im ersten Bezirk ist aber das Feiergrätzel Bermudadreieck. Die aneinandergereihten kleinen Bars, Pubs und Spelunken gelten als Partymeile.

Lokale wie Kaktus, Krah Krah oder Roter Engel existieren bereits seit den 1980er-Jahren und genießen seitdem Ikonenstatus. Hier vermischen sich After-Work-Trinker, jungfräuliche Komasäufer und Junggesellen-Verabschieder.

Vergangene Wunden

Aber die Bedeutung der Gegend um den Schwedenplatz rührt nicht nur von der dortigen Ausgehkultur her, sondern auch von ihrer historischen Relevanz. An diesem Ort wird das gewachsene Wesen der Hauptstadt mit all seinen Errungenschaften und Wunden ersichtlich. Hier steht der Stadttempel, Wiens Hauptsynagoge in der Seitenstettengasse – wo sich der erste Tatort des Anschlags befand –, die Anfang des 19. Jahrhunderts durch ein Toleranzpatent von Kaiser Joseph II. ermöglicht wurde. Sie sollte als jüdisches Gebetshaus repräsentativ in der Innenstadt und selbstverständlich unweit der ältesten Kirche der Stadt, der Ruprechtskirche, errichtet werden.

Am angrenzenden Morzinplatz, nur ein paar Meter davon entfernt, zogen 1938 die Nationalsozialisten in das Hotel Métropole ein und schlugen dort ihr Gestapo-Hauptquartier auf. Gemeinsam mit anderen Gebäuden wurde es 1945 bei einem Luftangriff zerstört.

Das Grundstück wurde später mit einer Wohnhausanlage bebaut, an ihrer Front erinnert heute ein Mahnmal, bestehend aus einer Bronzefigur und Granitblöcken, an die Opfer des NS-Terrors. Die Inschrift darauf: "Niemals vergessen". (Katharina Rustler, 4.11.2020)