Die Polizei geht derzeit von einem Einzeltäter aus. Es stellen sich allerdings Fragen zu einem möglichen Netzwerk.

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Auch wenn der Attentäter von Wien bei seiner Tat von Montagabend mit hoher Wahrscheinlichkeit alleine gehandelt hat, stellen sich Fragen nach einem möglichen Netzwerk. Die Polizei ermittelt intensiv im Umfeld des Täters, das zeigen die 18 Hausdurchsuchungen und 14 Festnahmen, die bis Dienstagabend erfolgten. Erste Medien berichten bereits über mögliche Kontakte des Attentäters in die Schweiz. Dort soll er zwei Männer auch physisch getroffen haben. Sie seien den Behörden bekannt. Am Dienstag gab es im Schweizer Kanton Winterthur auch zwei Festnahmen in Zusammenarbeit mit den österreichischen Behörden, der genaue Zusammenhang zum Attentat ist allerdings noch nicht bekannt.

Außerdem soll der Attentäter im vergangenen Sommer in die Slowakei gereist sein. Wie unter anderen die "Süddeutsche Zeitung" berichtet, soll der Mann im Juli dieses Jahres dort versucht haben, Munition zu kaufen. Der Kauf soll aber an einem fehlenden Waffenschein gescheitert sein. Die slowakischen Behörden informierten daraufhin das österreichische Innenministerium.

Information nicht weitergegeben

Die Information der slowakischen Behörden dürfte im BVT geblieben sein. Bei der Justiz ist jedenfalls kein Hinweis über den Vorfall eingelangt, betonte Barbara Göth-Flemmich, Leiterin der Sektion Einzelstrafsachen im Justizministerium,.

Innenminister Karl Nehammer räumt ein, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) vom slowakischen Geheimdienst über den versuchten Munitionskauf des 20-jährigen Wieners informiert wurde. Bei den weiteren Schritten sei jedoch "offensichtlich in der Kommunikation etwas schief gegangen". Daher will der Minister eine unabhängige Untersuchungskommission einrichten.

Follow the weapon

Der Attentäter war aber nicht alleine: So soll ein weiterer Mann mit ihm in die Slowakei gereist sein. Zusammen sind sie laut Medienbericht mit einem Auto gefahren, das auf die Mutter eines der Polizei bekannten Islamisten angemeldet war. Auf jeden Fall soll jene Munition, die der Wiener Attentäter in der Slowakei kaufen wollte, zur Tatwaffe passen, schreibt die "Süddeutsche".

Die Waffen des Attentäters spielen eine zentrale Rolle im Nachzeichnen eines möglichen Netzwerks. Die exakte Variante der Waffe kann Aufschluss über deren Reiseroute geben. Klar ist, dass es sich um eine Kalaschnikow oder einen Nachbau davon handelt. Oftmals sind das Waffen aus dem Jugoslawien-Krieg, die bei Jihadisten wie Neonazis Verwendung finden. So gibt es eine auf den ersten Blick merkwürdige Verbindung zwischen den neonazistischen Terroristen des NSU und dem jihadistischen Attentäter von Berlin: Beide nutzten dasselbe Pistolenmodell, die Waffen lagen nur wenige Seriennummern auseinander. Das deutet auf ähnliche illegale Strukturen im Waffenhandel hin.

IS-Netzwerk

Ideologisch ist der Wiener Attentäter jedenfalls der Terrormiliz "Islamischer Staat" zuordenbar. Das beweist seine einschlägige Vorstrafe. 2019 wurde er zu 22 Monaten Haft verurteilt, weil er versucht hatte, nach Syrien auszureisen, um sich dort dem IS anzuschließen.

Das Urteil gegen den Attentäter lässt darauf schließen, dass zumindest in Ansätzen bereits Informationen zu Kontaktpersonen in der jihadistischen Szene vorhanden sind. Auch die Wahl des Tatorts sowie das Täterprofil ähneln Anschlägen des IS in anderen europäischen Städten.

Frage nach Verantwortung

Nicht zu leugnen ist, dass der Täter den österreichischen Behörden bekannt war. Strittig wird die Frage nach der Verantwortung: Bundeskanzler Sebastian Kurz und Innenminister Karl Nehammer (beide ÖVP) kritisierten bereits die frühzeitige Entlassung des Täters aus seiner Haft.

Damit spielten sie den Ball klar ans Justizressort von Alma Zadić (Grüne). Zadić verteidigte die vorzeitige Entlassung des Attentäters im Ö1-"Morgenjournal". Diese sei wie gesetzlich vorgesehen und unter Auflagen geschehen, sagt Zadić. Ob die Polizeibehörden die Warnung aus der Slowakei unterschätzt haben, wird noch zu klären sein. (lalo, red, 4.11.2020)