Ermittlungsbehörden untersuchen europaweit das Netzwerk des Wien-Attentäters

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Der Terrorist K.F., der am Montag in Wien vier Menschen ermordet hat, sympathisierte davor schon jahrelang mit radikalislamischer Ideologie. Bereits bekannt ist, dass er wegen einer versuchten Ausreise in damaliges IS-Gebiet in Syrien verurteilt worden ist. Aus den Akten zu diesem Prozess geht hervor, dass K.F. schon 2016, also im Alter von 16 Jahren, eine berüchtigte Moschee in der Hasnerstraße in Wien-Ottakring besucht hat. Dort soll einst auch der prominenteste österreichische Islamist, Mohamed M., gepredigt haben – er reiste später nach Syrien, führte eine deutschsprachige Brigade für den IS an und wurde dann bei einem Drohnenangriff getötet.

Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) distanzierte sich von der Moschee, diese stehe nicht unter der Kontrolle der Glaubensgemeinschaft, hieß es.

In der Hasnerstraße betete auch der Konvertit Lorenz K., der im Jänner 2017 wegen "dringenden Tatverdachts" verhaftet wurde. Er soll einen zwölfjährigen Deutschen zu einem Terroranschlag auf einen Weihnachtsmarkt angestiftet haben. Die Ausführung scheiterte nur, weil die Zündung der Bombe nicht funktioniert hatte. Lorenz K. bastelte auch selbst an Sprengstoff, 2018 wurde er zu neun Jahren Haft verurteilt.

Diesen Sommer sorgte Lorenz K. wieder für Schlagzeilen, weil er offenbar in der Justizanstalt Graz-Karlau Zugriff auf ein internetfähiges Smartphone erlangt hatte. Daraufhin soll er mit anderen IS-Unterstützern kommuniziert haben. Ob zwischen dem Attentäter K.F. und Lorenz K. eine Verbindung besteht, wird momentan intensiv geprüft.

Das Netzwerk von Ebu Tejma

Zwei Festnahmen in der Schweiz und die Verbindung zu Lorenz K. legen nahe, dass auch K.F. vom Hassprediger Mirsad Omerovic alias Ebu Tejma zumindest indirekt beeinflusst worden sein könnte. So gilt Lorenz K. als glühender Anhänger von Tejmas Predigten. Tejma, der 2014 festgenommen wurde und eine zwanzigjährige Haftstrafe verbüßt, hatte auch Verbindungen in die Schweizer Stadt Winterthur. Ein dort ansässiger Extremist, der nach Syrien reisen wollte, sprach gegenüber Schweizer Behörden von engem Kontakt mit Tejma.

Ausgerechnet in Winterthur kam es nun auch im Zusammenhang mit dem Wiener Attentäter zu Festnahmen. Zwei Männer sind in Untersuchungshaft, es handelt sich laut der Schweizer Justizministerin um "Kollegen" des Wieners K.F., die drei sollen sich auch physisch getroffen haben.

Kontakte nach Deutschland

Auch die deutschen Behörden untersuchen intensiv Verbindungen von K.F. im deutschsprachigen Raum. Ermittlerkreise bestätigten gegenüber Abgeordneten sogenannte "Kennverhältnisse" von K.F. nach Deutschland. Es gab also Kontakt; unklar ist noch, wie viel. In mindestens einem Fall wird davon ein aktuelles Ermittlungsverfahren berührt. K.F. war jedenfalls im Schengen-Informationssystem und bei Europol vermerkt.

Ein wichtiger Ansatzpunkt ist die versuchte Ausreise von K.F. nach Syrien im Herbst 2018; in einem "Safe House" des IS soll er auf Deutsche getroffen sein. Deren Identität ist derzeit noch unklar. Ebenso ist nicht klar, mit wem K.F. im Juli 2020 in die Slowakei fuhr, um Munition zu kaufen. Die slowakischen Behörden informierten ihre Kollegen in Österreich jedenfalls über die Aktivitäten.

Identifiziert wurde bereits die Handfeuerwaffe, die K.F. am Montag in Wien benutzt hat. Dabei handelt es sich um eine Tokarew. Bei der Kalaschnikow-ähnlichen Waffe dürfte es sich um einen Nachbau aus dem damaligen Jugoslawien handeln, möglicherweise um eine Zastava M70.

Radikales Nebeneinander

Radikale Predigten in Moscheen können also eine Grundlage dafür bieten, dass, junge Menschen, die sich marginalisiert fühlen, den falschen Weg einschlagen. Der Islamwissenschafter Mouhanad Khorchide und der Islamismusexperte und Autor Heiko Heinisch, beide im wissenschaftlichen Beirat der Dokumentationsstelle Politischer Islam vertreten, teilen die Meinung, dass man nun nicht nur auf die jihadistischen Tendenzen allein blicken darf. Das Bild sei breiter. Es müsste zwischen zwei Dingen unterschieden werden, die aber in ihren Grundfesten identisch seien. Es gebe einige wenige Moscheen hierzulande, in denen radikales, jihadistisches Gedankengut vermittelt, also auch zu Gewalt aufgerufen werde. Daneben existieren aber die Räumlichkeiten etwa der großen türkischen Verbände, in denen Predigten gehalten werden, die ebenfalls problematisch seien. Heinisch hat sich diese gemeinsam mit Imet Mehmedi 2017 für eine Studie des Integrationsfonds näher angesehen. Geführt werden diese Moscheen etwa von der Atib, einem Ableger der türkischen Religionsbehörde von Recep Tayyip Erdoğan, der Islamischen Föderation, die der islamistischen Milli-Görüs-Bewegung zugehörig ist, und die Türkische Föderation halte Verbände der rechtsextremen Grauen Wölfe, sagt Heinisch.

Im Grunde würde in einigen dieser Moscheen eine antiwestliche Haltung gepredigt, ein Gefühl "Wir gegen die anderen" erzeugt. "Was diesen politischen Islam vom Jihadismus daher unterscheidet, ist die Gewalt, die Grundideologie ist die gleiche", sagt Heinisch. Die Verbände sollten das aufarbeiten. Aus Sicht von Khorchide ist es wichtig, dass nun nicht nur die Person des Attentäters und sein Umfeld untersucht werden, sondern auch die Ideologie des politischen Islam, die eine Grundlage liefern könne, sich weiter zu radikalisieren. (Fabian Schmid, Jan Michael Marchart, 4.11.2020)