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Muss weiter zittern: Der demokratische Präsidentschaftskandidat Joe Biden.

Foto: Reuters / Mike Segar

Ein "Nail-Biter", ein zum Nägelbeißen spannendes Rennen, wird die US-Präsidentschaftswahl 2020 genannt. Der prognostizierte Vorsprung des demokratischen Kandidaten Joe Biden ist vielerorts so nicht eingetreten, teilweise trennen die Kandidaten nur wenige zehntausend Stimmen.

Georgia, Michigan, Nevada, North Carolina, Pennsylvania und Wisconsin sind bisher noch nicht "gecalled", also einem Kandidaten zugesprochen worden. Biden braucht für einen Sieg mindestens drei Staaten, Trump mindestens vier.

Politologe hält Sieg Bidens für möglich

Ein Sieg des demokratischen Präsidentschaftskandidaten Joe Biden ist nach Einschätzung des Politologen Reinhard Heinisch durchaus noch möglich. "Ich weiß, es ist schwierig zu glauben, denn es sieht nach einem Sieg Trumps aus, aber es könnte sich noch ausgehen", so der US-Experte von der Uni Salzburg. Dann drohe aber Unsicherheit durch eine Anfechtung der Wahl. Wie befürchtet hätten die Umfragen "den Trump-Effekt unterschätzt", so Heinisch. "Heute befragt, würde ich auch auf Trump tippen, weil die Republikaner bisher gut dastehen, aber es ist noch genug Spielraum", sagt der Politikwissenschafter.

Briefwahlstimmen entscheidend

Nun hänge alles von der Auszählung der Briefwahlstimmen ab. "Wenn Biden Pennsylvania und noch einen Staat gewinnt, dann ist er Präsident – das ist nicht unwahrscheinlich", so Heinisch. Selbst wenn er Pennsylvania verliere, aber Michigan und Wisconsin für sich entscheide, könne Biden die Wahl noch gewinnen. Auch das Ergebnis in Georgia könnte nach Ansicht des Experten durch die Briefwahlstimmen noch zugunsten Bidens gedreht werden. Laut Exit-Polls, also Nachwahlbefragungen, dürfte Biden bei den Briefwahlstimmen deutlich besser abschneiden als Trump.

Gewinnt Biden Nevada und Wisconsin, würde ihm ein weiterer Sieg in Georgia, Michigan oder Pennsylvania für einen Sieg reichen. In Michigan führt derzeit Donald Trump noch knapp, doch viele der noch auszuzählenden Stimmen kommen aus dem historisch demokratischen Detroit. In Nevada, wo Biden bei Auszählung von 86 Prozent der Stimmen hauchdünn mit 0,6 Prozent führt, werden die übrigen Stimmen erst am Donnerstagmorgen (Ortszeit) fertig ausgezählt sein.

Unsicherheit bleibt bestehen

"Dann droht eine Anfechtung der Wahl durch die Republikaner – diese Unsicherheit, dieses Vakuum bleibt bestehen", sagt Heinisch. Die Umfragen seien deutlicher danebengelegen als erwartet, meint der Experte, aber auch nicht so stark, wie nun von einigen Beobachtern kritisiert werde. Denn die Umfrageergebnisse seien immer knapp gewesen und hätten eine gewisse Schwankungsbreite gehabt. "Aber die Meinungsforschungsinstitute müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, dass sie die scheuen Trump-Wähler nicht wirklich in ihren Modellen abgebildet haben", sagt Heinisch.

Auch die Demokraten müssten wohl ihre Wahlkampfstrategie hinterfragen. "Die Frage ist, ob man nicht schon früher die Wahlkampfstrategie hätte ändern sollen und ob man sich nicht zu sehr auf die Umfragen verlassen hat." Ein Stopp der Auszählung der Briefwahlstimmen, wie von US-Präsident Donald Trump gefordert, sei möglich, aber dafür seien konkrete Beweise für grobe Verfahrensverletzungen nötig, so Heinisch. (rio, APA, 4.11.2020)