Bauträger Kall-Co baut schon im Entwicklungsgebiet Berresgasse.

Foto: Putschögl

Wien – Der Bildungscampus ist schon länger fertig, und auch was die Wohnbebauung des Entwicklungsgebiets Berresgasse in Wien-Donaustadt betrifft, herrscht seit einigen Monaten schon Baustellenbetrieb. Dabei ist für das riesige Areal ein gutes Stück nördlich der U2-Station Hausfeldstraße, auf dem 3.000 Wohneinheiten entstehen sollen, eine wesentliche Frage noch nicht abschließend geklärt: Braucht es hier eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) oder nicht?

Wolfgang Rehm von der Umweltorganisation Virus und die Bürgerinitiative Berresgasse hatten sich dafür starkgemacht, und im Jänner erzielten sie einen Teilerfolg: Der Verwaltungsgerichtshof hob damals die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach keine UVP notwendig sei, als rechtswidrig auf. Die Causa muss nun neuerlich vom Bundesverwaltungsgericht entschieden werden.

Überschreitung der Grenzwerte

Für Virus-Sprecher Rehm ist es "völlig klar, dass das Vorhaben UVP-pflichtig ist". Laut UVP-Gesetz sind Städtebauvorhaben mit einer Flächeninanspruchnahme von mindestens 15 Hektar und einer Bruttogeschoßfläche von mehr als 150.000 Quadratmetern UVP-pflichtig (allerdings reicht ein sogenanntes "vereinfachtes Verfahren" aus). Das Entwicklungsgebiet Berresgasse hat 24 Hektar, und geplant sind rund 320.000 Quadratmeter Bruttogeschoßfläche.

In einer näheren Erläuterung im Anhang des Gesetzes heißt es zudem, dass Städtebauvorhaben "Erschließungsvorhaben zur gesamthaften multifunktionalen Bebauung, jedenfalls mit Wohn- und Geschäftsbauten einschließlich der hierfür vorgesehenen Erschließungsstraßen und Versorgungseinrichtungen mit einem über das Gebiet des Vorhabens hinaus reichenden Einzugsbereich" sind. Den definierten Einzugsbereich sieht Rehm allein schon mit dem Bildungscampus Berresgasse, der seit Herbst 2019 in Betrieb ist, erfüllt, aber auch mit der geplanten Geschäftsstraße, die durch das Viertel führen soll.

Der Ball liegt nun also beim Bundesverwaltungsgericht, dort läuft ein neues Feststellungsverfahren, ob eine UVP nötig ist oder nicht. Das Gericht hat neuerlich Sachverständige beauftragt, und irgendwann in den kommenden Wochen oder Monaten sollte es zu einer mündlichen Verhandlung kommen, sagt Rehm.

Bauträger Kall-Co baut bereits

Trotzdem wird bereits gebaut: Bauträger Kall-Co startete im März mit dem Bau von 163 geförderten Mietwohnungen, die Baugenehmigung bekam man kurz zuvor. "Für unser einzelnes Projekt brauchen wir ja keine UVP", sagt Geschäftsführer Stefan Eisinger-Sewald zum STANDARD. Und: "Wir realisieren unseren Bau erstens genau so, wie wir damit den Bauträgerwettbewerb gewonnen haben, und zweitens benötigen wir keine externen Energieträger." Die Energieversorgung des Gebäudes erfolgt nach dem hauseigenen (patentierten) Klima-Loop-Plus-Verfahren mit Erdwärme, Photovoltaik und Bauteilaktivierung, ein Anschluss an Fernwärme beziehungsweise -kälte ist nicht notwendig.

Insgesamt haben drei Bauträger in dem Entwicklungsgebiet bereits aufrechte Baugenehmigungen, nur Kall-Co hat aber tatsächlich schon zu bauen begonnen. "Bauen auf eigenes Risiko" nennt es Bezirksvorsteher Ernst Nevrivy (SPÖ). Seiner Ansicht nach dürfen diese Bauten nämlich vorerst zwar fertiggestellt, aber nicht besiedelt werden.

Fertigstellung und Benützung möglich

Stimmt nicht, heißt es bei Kall-Co und auch bei der Wiener Baupolizei: "Ein baubewilligtes Projekt darf auch fertiggestellt und benützt werden, wenn es entsprechend der Baubewilligung ausgeführt wurde", erklärt deren Leiter Gerhard Cech dem STANDARD. "Anders wäre das nur dann zu sehen, wenn Kall-Co eine Planwechselbewilligung brauchen würde, die wesentliche Änderungen an der äußeren Gestaltung beinhalten würde, weil wir dafür bis zur Klärung der UVP-Frage keine Baubewilligung erteilen könnten." Ein solcher Planwechsel wurde aber nicht vorgenommen, wie auch Eisinger-Sewald betont.

Also wird weitergebaut. Doch was passiert, wenn die Gerichte nun zum Schluss kommen, dass ein UVP-Verfahren nachgeholt werden muss? Nun, dann seien die bisher erteilten Genehmigungen zwar "nicht per se nichtig", erläutert Cech, "sie müssen aber aufgehoben oder abgeändert werden, wenn sie dem Ergebnis der UVP widersprechen".

Andere Bauträger warten ab

Die weiteren Projekte mit aufrechten Baubewilligungen stammen von den Bauträgern WBG und BWSG. Keiner der beiden hat bisher zu bauen begonnen.

Vonseiten der BWSG heißt es zum STANDARD, ja, man dürfte eigentlich schon bauen, also "den Bescheid konsumieren", wie das im Jargon heißt. Aufgrund der nicht möglichen Austauschplanung sei das aber eben sehr heikel. "Bei nahezu jedem Projekt kommt es zu Änderungen, etwa weil man andere Materialien verwendet", sagt BWSG-Geschäftsführer Jürgen Dumpelnik. Hier wäre das nicht möglich; ändert man doch etwas, "dann hat man einen Schwarzbau". Die BWSG wartet also die Situation rund um die UVP-Frage ab.

Warten auf mündliche Verhandlung

Die Entscheidung wird noch dauern. "Derzeit werden durch die vorsitzende Richterin des zuständigen Senats die erforderlichen Verfahrensschritte gesetzt sowie verschiedene Rechtsfragen geklärt", heißt es vom Bundesverwaltungsgericht zum STANDARD. Ein Termin für die Durchführung einer mündliche Verhandlung stehe zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht fest. Ganz grundsätzlich stelle diese Rechtssache "nicht nur aufgrund der enorm hohen Anzahl an Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführern, sondern natürlich auch aufgrund der im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie einzuhaltenden Sicherheits- und Hygienemaßnahmen eine besondere Herausforderung dar". (Martin Putschögl, 17.12.2020)