"Vorsprung durch Technik" – dieser Slogan stammt aus der Audi-Automobilwerbung und hat mittlerweile als geflügeltes Wort in die Alltagssprache Einzug gehalten. Die Online-Enzyklopädie Wikipedia klärt uns auf: "Im Januar 1971 findet der Slogan ‚Vorsprung durch Technik‘ zum ersten Mal für den 'NSU Ro 80' (mit Wankelmotor) Verwendung in einer Werbeanzeige. Dieser wird für lange Zeit zum Synonym für Audi."

Hier geht es zweifelsohne um Technik. Aber eben nicht nur: Was als intelligente Marketingkampagne funktioniert (hat), beschränkt sich nicht auf den Versuch, mehr Autos zu verkaufen.

"Vorsprung durch Technik" – eine erste Irritation erfuhr ich, als ich bei der Durchsicht englischsprachiger Theoriezeitschriften wie "Marxism Today" zu Beginn der 1990er-Jahre gelegentlich auf diesen in deutscher Sprache belassenen Satz gestoßen bin. Besonders irritierte mich dann des Weiteren ein Erlebnis in Birmingham anno 1992, als bei einem Konzert der isländischen Band Sugarcubes (heute: Björk) der männliche Cheerleader ebenfalls diesen Satz auf Deutsch ins Mikrofon deklarierte

Es geht im Folgenden vor allem um eine Art "Probebohrung", die die Möglichkeiten einer kulturwissenschaftlichen Technikforschung auslotet. Diese beschränkt ihren Blick nicht auf die Technik, sondern nimmt den "Umgang mit Technik" (Stefan Beck) in den Blick. Was demzufolge nicht zur Debatte steht, ist die Frage, ob der Slogan ein Faktum beschreibt oder nicht doch eher ein Produkt des Warenscheins ist. Mir geht es im Folgenden vielmehr um die Frage nach einer via Technik artikulierten "nationalen Identität" beziehungsweise einer zugeschriebenen "nationalen Identität". Nicht zuletzt auch deshalb, weil der Satz "Vorsprung durch Technik" einen Führungsanspruch reklamiert, der auf eine spezifische Weise mittels Technik kulturell aufgeladen ist. Es geht um Technik, die (aus einer deutschen Perspektive gesprochen) "uns" einen Vorsprung verschafft (hat). Insofern wird über diesen Slogan jener Hegemonieanspruch des Exportweltmeisters artikuliert, der zahlreichen europäischen Staaten ökonomisch zu schaffen macht.

"Culture of Vorsprung durch Technik"

Der Automobilkonzern Audi selbst experimentiert(e) mit einem unterschiedlichen Gebrauch beziehungsweise Nichtgebrauch des Satzes auf Deutsch außerhalb des deutschsprachigen Raumes. Dem englischsprachigen Publikum glaubt man eine Erklärung schuldig zu sein:

"Welcome to Audi – Vorsprung durch Technik." "Many have asked the meaning of Vorsprung durch Technik. Allow us to explain: Audi has a formidable history that owes much to the culture of Vorsprung durch Technik ... With a vast array of technical innovations, the new Audi A8 is the very latest manifestation of Vorsprung durch Technik."

Folgen wir dieser Darstellung, dann ergibt sich der "Vorsprung durch Technik" insbesondere über die Positionierung im Motorrennsport. Von einigen Akzentuierungen abgesehen wird der Slogan global und in kulturell unterschiedlich gerahmten Kontexten zu Marketingzwecken eingesetzt: "Audi's corporate tagline is Vorsprung durch Technik, meaning 'Progress through Technology'." Der deutschsprachige Slogan wird in vielen europäischen wie in anderen Märkten (Lateinamerika, Ozeanien wie in Teilen von Asien, insbesondere auch in Japan) genutzt. In Nordamerika lautete der englischsprachige Slogan "Innovation durch Technik" ("Innovation through technology"), doch in Kanada wurde wiederum die deutschsprachige Version in der Werbung genutzt. Für die USA änderte Audi den Slogan in "Truth in Engineering".

Der Slogan war immerhin solcherart prominent, dass sowohl die deutschsprachige wie die englischsprachige Wikipedia eigene Einträge zu "Vorsprung durch Technik" aufsetzten:

"Vorsprung durch Technik (German pronunciation: [ˈfoːɐ̯ʃpʁʊŋ dʊɐ̯ç ˈtɛçnɪk], ('Progress through Technology') is the main strapline and company ethos for the German car maker Audi." Dieser Slogan löste "Technik, die begeistert" ab. Heutet leitet der Link auf die allgemeine Audi-Seite in Wikipedia um.

Diese verschiedenen Verwendungen des Werbeslogans im Laufe der Zeit werden von der Mitte der 1990er-Jahren verpflichteten Werbeagentur Meta Design systematisch und gezielt entwickelt. Ihre Aufgabe war die Neupositionierung im sogenannten Hochverdienersegment, die im Zuge der Übernahme von Audi durch Volkswagen erfolgte. Hierzu wurde der A8 auf den Markt gebracht. Meta Design wollte Audis strategische Neupositionierung mit einem neuen Corporate-Design erreichen. Auf diese Weise sollte die Marke Audi als menschlich, führend, visionär und leidenschaftlich charakterisiert werden, und mit "Vorsprung durch Technik" ("A lead through technology") sollte eine entsprechende männliche Käuferschicht angesprochen werden.

Ein Spruch mit Vorsprung?
Foto: APA/AFP/THOMAS KIENZLE

Kulturelle Übersetzung: "'Lead through technology' doesn't work at all"

Obwohl oder gerade, weil der Satz meist auf Deutsch in anderen Sprachen Verwendung findet, bedarf es einer Übersetzung, die den Sinn des Slogans zu verdeutlichen hilft. Insofern ist es nicht weiter verwunderlich, dass sich gerade auch Übersetzer Gedanken machen. Auf der Website "The Phrase Finder (Phrases, sayings and idioms)", die sich mit Übersetzungsfragen beschäftigt, finden wir eine Art "kulturelle Übersetzung", die die nationale Aufladung des Slogans in den Mittelpunkt stellt: "Meaning: German for 'Progress through technology'. Origin: Used in adverts in the 1990s to capitalise on the German reputation for high technical expertise."

Darüber entspinnt sich eine Diskussion, inwiefern anstatt "Progress" eher "Advance" den Führungsanspruch von Audi ausdrücken würde: "Maybe 'advance' would fit better than 'progress'. The origin could also point out that it was/is used by Audi."

In den Antworten geht es zwar zunächst um übersetzungsbezogene sprachliche Details, doch wird hier auch diskutiert, wie sich der Führungsanspruch im Englischen adäquat artikulieren lässt: "If this is for a slogan, 'progress' seems much better than 'advance'. But no, 'progress' doesn't imply an advantage over competitors. What does, though, is your own word: Leading through technology."

Einer Übersetzung ins Englische widersetzen sich die vom Deutschen abweichenden sprachlichen Konnotationen: "I would stick with 'progress'. 'Lead Through Technology' doesn't work at all."

Audi selbst übersetzt "Vorsprung" in unterschiedlicher Weise. Für Großbritannien zunächst als "progress": "All vehicles bearing the four rings of the Audi badge embody the principles of Vorsprung durch Technik, meaning ‘progress through technology’. Every component and fibre is carefully designed, constructed and tested according to these principles".

Im US-amerikanischen Audi-Glossar wird die Übersetzungsproblematik erwähnt: "‘Vorsprung durch Technik‘ is Audi's tagline in Germany. Literally translated, it means ‘advancement through technology’; however, English cannot fully capture the meaning of ‘Vorsprung’ which means 'to leap ahead'."

Mitunter dürfte dies der Grund sein, warum die Marketingstrategen den Begriff in anderen Sprachen im Deutschen belassen. In der angloamerikanischen Sprachtradition hat die Verwendung von deutschsprachigen Idiomen im Original eine gewisse Tradition. Neben harmlosen Begriffen wie "Kindergarten" muss demgegenüber "Vorsprung durch Technik" wohl eher in der Tradition von Begriffen wie "Blitzkrieg", "Luftwaffe", "kaputt", "Nacht und Nebel", "Panzer" oder "Kriegsspiel" gelesen werden. Die mit diesen Begriffen semantisch verbundenen historischen Anrufungen beziehen sich auf die technologische Dimension militärischer deutscher Aggression. Inwiefern die für eine Automarke gewählte Marketingstrategie mit diesen Anrufungen auf eine spezifische Vorstellung von Männlichkeit zielt, lässt sich unschwer erahnen. Der über die Verwendung deutschsprachiger Idiome beim angloamerikanischen Publikum erzielbare implizite Schauder dürfte Teil der Marketingstrategie sein.

Populäre Kultur

Vor dem Hintergrund der nationalen Aufladung und des aufsehenerregenden deutschen technologischen Führungsanspruchs hat der Begriff auch in der angloamerikanischen populären Kultur reüssiert. Die Präsenz in Werbung und Marketing verschaffte dem Slogan in den 1990er-Jahren Eingang in die angelsächsische Popkultur, wie zum Beispiel in dem Song "Zooropa" von U2 oder auch "Parklife" der britischen Gruppe Blur. Der Techno-DJ Paul van Dyk wandelte den Slogan für den Titel eines seiner Alben ab: "Vorsprung Dyk Technik".

In Bezug auf den Song "Zooropa" versuchen sich die Autoren einer FAQ-Fan-Webseite der Popband U2 ebenfalls an einer "kulturellen Übersetzung": "What does ‚Vorsprung durch Technik‘ mean in ‚Zooropa‘? It is a German phrase meaning roughly "lead by / through technology." A more elegant translation is "a step ahead through technology" or "progress through technology." It is an advertising slogan used by the German car company Audi. Many of the other phrases in the song lyrics are advertising slogans."

Noch Fragen?

Aus heutiger Sicht kann nun allerdings gefragt werden, ob der Slogan heute überhaupt noch verfangen kann oder ob angesichts der Verwicklung von VW in den Dieselskandal nicht eine zynische Lesart überwiegen wird. Das wäre eine Frage an eine kulturwissenschaftliche Technikforschung, die sich nicht nur für die semantische Ebene interessiert, sondern auch für die sozioökonomischen Kontexten der Akteure und die Konstellationen zwischen Technik, Diskurs, ökonomischen Strukturen und sozio-kulturellen Praktiken untersucht. Zu prüfen wäre auch, wie in diesem Fall die kulturellen Fremd- und Selbstzuschreibungen einander entsprechen. Darüber hinaus lässt sich vermuten, dass vor dem Hintergrund der vom Leitfossil Automobil geprägten Geschichte des 20. Jahrhunderts die Gegenwart des 21. Jahrhunderts (Fridays for Future) eine andere Rezeption des Slogans nahelegt . Fraglich ist auch, welchen Stellenwert "Vorsprung durch Technik" in einer künftigen Geschichte der Automobilisierung einnehmen wird. (Klaus Schönberger, 6.11.2020)