Kommunikationswissenschafter Fritz Hausjell schreibt in seinem Gastkommentar über die Berichterstattung über den Terroranschlag in Wien und welche Konsequenzen es bräuchte.

Terror schafft Normverletzung in exzessivem Ausmaß und bietet damit aufmerksamkeitsmaximierendem Journalismus besten Stoff. Insofern stehen also Terror und manche Medien in einem symbiotischen Verhältnis zueinander. Manche Boulevardmedien wollen durch publizistische Befeuerung des Schreckens beim Publikum dieses an sich binden. Terror indes will Schrecken verbreiten, um Gesellschaften zu destabilisieren. Der selbsternannte "Islamische Staat" (IS) will in Europa durch Anschläge den Hass auf Muslime schüren, sodass möglichst viele von ihnen erkennen sollen, dass hier nicht ihr Platz ist; möglichst viele – so seine Strategie – würden sich dann infolge verschlechterter Lebensbedingungen radikalisiert dem IS anschließen.

Wie Teile der österreichischen Medien über den Terroranschlag in Wien berichtet haben, sorgt für Diskussionen.
Foto: APA/Neubauer

Jeder Anschlag ist grauenvoll. Er wird es in der Wahrnehmung noch mehr, je stärker Medien die Kameras draufhalten. Oft filmen Terroristen die eigenen Anschläge und übertragen diese live oder rasch danach geschnitten ins Internet. Vor allem vertrauen sie aus Erfahrung darauf, dass Medien dem Terror immer wieder breiten Raum geben. Die Medienlogik des Terrors ist in den Redaktionen zwar hinreichend bekannt, weil nach den vielen Anschlägen in den letzten Jahrzehnten in Europa jeweils danach ein selbstkritischer Diskurs darüber geführt wurde. Aber entweder ist die Amnesie in manchen Redaktionen besonders verbreitet, oder es wird die gesellschaftliche Verantwortung des medialen Handelns dem ökonomischen Erfolg bewusst untergeordnet. Diese Strategie geht zumeist auf, weil ein Teil des Publikums die Schaulust befriedigen kann. Gratismedien gehen dabei aber ein hohes Risiko ein, denn sie leben wirtschaftlich fast ausschließlich von den Werbekunden. Überschreitet ein Medienunternehmer die ethischen Standards der Branche wiederholt und grob, kann es schwerwiegende wirtschaftliche Folgen haben. Das zeichnet sich gerade ab.

Teils unanständig

Die Boulevardblätter, vor allem die kostenlosen in Wien, leben bekanntlich sehr gut von Werbeaufträgen des Bundeskanzleramts und der Ministerien, der Stadt Wien und ihrer Einrichtungen sowie staatsnaher Unternehmen. Ein anderes symbiotisches, teils unanständiges Verhältnis, könnte man sagen. Seit Monaten erhalten sie zudem ganz viel Werbegeld im Zuge der Corona-Kampagnen. Das wäre alles in Ordnung, wenn es klare Regeln für die Vergabe all dieser millionenschweren Werbeaufträge seitens der öffentlichen Hand gäbe. Aber die jeweiligen Kommunikationsziele und die darauf basierenden Streupläne blieben bisher im Dunkeln.

Auf Diät gesetzt

Das hat ein System geschaffen, dem man den Vorwurf der wechselseitigen Erpressbarkeit machen kann: Die Politik kann durch die reichweitenstarken Medien unter Androhung weniger freundlicher Berichterstattung zu immer höheren Inseratenaufträgen erpresst werden. Die kleineren Medien bleiben dabei auf der Strecke, weil kommunale und staatliche Werbebudgets nicht endlos ausgeweitet werden können. Mittelgroße und kleine Medien, die besonders kritisch berichten, werden indes schnell einmal bestraft und auf Diät gesetzt.

Der Aufschrei gegen die schuftige Praxis einzelner Medien in der Terrornacht des 2. November in der Wiener Innenstadt kommt von ganz vielen Seiten, laut hörbar und vielfach lesbar. Ein Tenor ist, öffentliche Inserate sollten endlich an einen Journalismus gebunden werden, der ethische MindestStandards einhält. Der Presseclub Concordia fordert einmal mehr, die öffentlichen Werbeaufträge nicht als Medienförderung misszuverstehen und die Medienförderung deutlich Richtung Qualitätsförderung zu entwickeln. Das würde dann auch den Fernsehsender oe24.tv treffen. Denn dieser bekommt Jahr für Jahr Millionen Euro an Medienförderung. Heuer sind es zusammen mit der Corona-Mediennotförderung 3,65 Millionen.

Der Druck gegen problematische Verhältnisse wird markant stärker: Am Dienstag startete eine Online-Petition an die Bundesregierung, die die Einstellung aller öffentlichen Förderungen für Oe24 und eine Reform der Medienförderung fordert. Innerhalb von nur zwölf Stunden unterzeichneten bereits über 40.000 Menschen. Auch die Journalistengewerkschaft fordert, "derartigen medialen Entgleisungen die Unterstützung mit Steuergeldern zu entziehen".

Massig Beschwerden

Der Verein Medienjournalismus Österreich kritisiert die von einigen Medien – vor allem Oe24 und krone.at – veröffentlichten Fotos und Videos zum Terroranschlag in der Wiener City heftig als "unverantwortlich und degoutant". Außerdem sind beim Selbstkontrollgremium Österreichischer Presserat in seiner bisherigen Geschichte noch nie so viele Beschwerden zu einer Causa eingebracht worden wie jetzt: Dienstagmittag zählte man bereits etwa 1250. Und: Wiens Bürgermeister Michael Ludwig will die Entscheidung des Presserats abwarten, dann aber punkto Inseratenvergabe Schlüsse ziehen.

Noch mehr Grund für Unruhe in den Medienhäusern Fellner und Dichand waren aber die Reaktionen etlicher kommerzieller Werbekunden. Denen ist nicht völlig egal, wie das redaktionelle Umfeld verfasst ist, in dem sie ihre Werbebotschaften platzieren. Billa stoppte gleich am nächsten Morgen Werbeaufträge bei Österreich/Oe24 und bei der Kronen Zeitung. Erste Bank und Sparkasse dann am Dienstagnachmittag auf Twitter: "Wir distanzieren uns von der Art und Weise der Berichterstattung über den gestrigen Terroranschlag auf oe24.at und oe24.tv. Deshalb haben wir sämtliche Buchungen in diesen Medien gestoppt." Am Vormittag hatten bereits Spar, Interspar und Hervis alle Werbeanzeigen auf oe24.at gestoppt. Mittlerweile folgen fast erdrutschartig viele weitere Unternehmen, die vorerst nicht mehr dort werben wollen: Hofer, Ikea, ÖBB, Bawag, Spusu und Bet-at-Home.

Auf die Werbestornos reagierten Fellner junior und senior mit einer untauglichen Mischung aus Rechtfertigung und Entschuldigung. Der Schaden ist freilich angerichtet. Die Lehren daraus wurden nicht gezogen, denn Einsicht sieht anders aus. Die Fellners könnten sich allerdings Anregungen beim Konkurrenten Heute holen. Die haben klar gezeigt, dass Boulevard auch verantwortungsvoll geht.

Die Medienpolitik hat jedenfalls Handlungsbedarf. (Fritz Hausjell, 5.11.2020)