Ein neuer Stein in der Mauer, die Frankreich gegen den "Islamofaschismus" errichten will: Mit dieser impliziten Begründung hat das Kabinett in Paris am Mittwoch die Auflösung der "Grauen Wölfe" angeordnet. Die ultranationalistische Organisation gefährde mit ihrer Bewaffnung und ihren Hassreden die Sicherheit des Landes, erklärte Innenminister Gérald Darmanin.

Was er nicht sagte: Die 1968 gegründeten "Grauen Wölfe" gelten als Kampforganisation der rechtsextremen türkischen Partei MHP – der Juniorpartnerin der AKP-Partei von Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Bekannt wurden sie 1981, als ihr Mitglied Mehmet Ali Ağca Papst Johannes Paul II. zu ermorden versuchte. 2013 sollen die "Loups gris", wie sie in Frankreich heißen, in Paris drei Kurden umgebracht haben. Der äußere Anlass für ihr Verbot sind, wie es in der vierseitigen Begründung der Regierung heißt, Strafexpeditionen in Dijon und dem Großraum von Lyon von Ende Oktober.

Spuren der türkisch-nationalistischen Hetzjagd auf Armenier in Décines.
Foto: AFP/Pachoud

Hunderte türkische Extremisten hatten dort wohnende Armenier durch Straßen gejagt und bis auf eine Autobahn verfolgt; laut Videos riefen sie dabei: "Allahu Akbar, wo seid ihr, Armenier?" Ein Memorial des armenischen Genozids in Décines verschmierten sie mit Inschriften wie "Loups gris" und "RTE" – Erdoğans Initialen.

Bei ihrem gewaltsamen Zug durch Dijon konnten ihre Mitglieder allerdings nur wegen Nichteinhaltung der Corona-Sperrstunde belangt werden; nun könnte das Verbot auch Landesverweise ermöglichen. Die französische Rechtspopulistin Marine Le Pen bezeichnete die Auflösung der "Grauen Wölfe" dennoch als bloße "PR-Operation".

Konflikt mit Erdoğans Türkei

Das Verbot der Organisation hat tatsächlich faktisch wenig Wirkung, da die "Grauen Wölfe" in Frankreich ohnehin nie registriert waren. Wichtiger ist der Regierung die politische Botschaft. Direkter Adressat ist Erdoğan, der wegen der Mohammed-Karikaturen der Zeitschrift "Charlie Hebdo" zum Boykott französischer Produkte aufrief. Auch bezeichnete er seinen französischen Amtskollegen Emmanuel Macron als "geisteskrank".

Im Krieg in Bergkarabach unterstützt Paris Armenien gegen das türkophone Aserbaidschan. Auch in Syrien, Libyen sowie im Ostmittelmeer stehen Frankreich und die Türkei miteinander im Konflikt.

Das Verbot der "Grauen Wölfe" ist aber nicht nur eine Antwort auf Erdoğans Boykottaufrufe. Paris versucht seit einiger Zeit schon die türkischen Einflussversuche in Frankreich einzudämmen. 2015 hatte Erdoğan in Straßburg die 700.000 Türken Frankreichs offen zum Gang durch die Institutionen aufgerufen. Zwei Jahre später kandidierte der mutmaßliche Chef der "Loups gris", Ahmet Cetin, für einen Ableger von Erdoğans AKP-Partei, ohne in das französische Parlament einzuziehen.

In Paris und Lyon versuchen die Anhänger des ominösen "Wolfsgrußes" (gestreckter Zeige- und kleiner Finger), die türkische Diaspora zu unterwandern. Islamistische Organisationen wie Millî Görüş unterhalten in Ostfrankreich Privatschulen und Moscheen. Der Einfluss türkischer Imame in Frankreich ist beträchtlich: Von den 300 muslimischen Predigern, die wegen der Trennung von Kirche und Staat in Frankreich aus dem Ausland stammen, sind die Hälfte Türken – also letztlich von Erdoğan gesandt. Macron hat im Oktober erklärt, er wolle keine ausländisch gesteuerten Imame mehr im Land; das Vorhaben wird aber Jahre in Anspruch nehmen.

Mit den jüngsten Morden in Conflans an einem Lehrer und in Nizza an drei Kirchgängern steht das Verbot der "Grauen Wölfe" nur indirekt in Verbindung. Die Organisation gelte nicht als islamistisch, sondern sehe den Islam eher als Bestandteil eines nationalistischen Projekts, schätzt der Türkei-Experte Jean Marcou. Erdoğaans AKP pflegt dagegen laut Pariser Medien enge Beziehungen zum "Kollektiv gegen Islamophobie in Frankreich" (CCIF). Diese Organisation könnte von der Regierung in Paris als Nächstes verboten werden. (Stefan Brändle, 4.11.2020)