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Die QAnon-Bewegung konnte in Corona-Zeiten viel mehr Anhänger gewinnen als vor der Pandemie.

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Eine Strafe Allahs für die Sünden der Menschheit sei das Coronavirus, und es beweise, dass Säkularismus im Vergleich zu einem Gottesstaat nicht bestehen könne. Überhaupt würden Hygieneempfehlungen aus der Wissenschaft nur das Tun des Propheten Mohammed reproduzieren.

So erklären zumindest Islamisten im Netz die aktuelle Lage, wenn sie sich zur Pandemie äußern. Das geht aus einem Report des Institute for Strategic Dialogue hervor, das Extremismus im Netz im deutschsprachigen Raum untersuchte. Dass auch Moscheen geschlossen werden müssten, zeige, dass Gott zornig sei mit Muslimen, die keine Solidarität mit verhafteten Islamisten zeigten.

Im Vergleich zu anderen Extremisten, deren Präsenz im Netz seit März in die Höhe geschossen ist, glauben Islamisten aber zumindest daran, dass es sich um eine reale und ernstzunehmende Krankheit handelt. Allerdings interpretieren sie die Pandemie entlang existierender ideologischer Muster – Verschwörungsmythen in Bezug auf den Ursprung und die Risiken des Virus werden aber selten geteilt. Im Gegenteil, "überraschend deutlich" spreche sich laut den Autoren des Reports, welcher im Rahmen einer Initiative zur Förderung einer demokratischen Debattenkultur erstellt wurde, ein Teil der deutschsprachigen Islamistenszene gegen die Verbreitung derartiger Inhalte aus.

Corona existiert nicht, außer Migranten verbreiten es

Anders sieht es bei Rechtsextremen aus: Von ihnen werden die wildesten Verschwörungsmythen verbreitet – etwa zu der vermeintlichen Gefahr von Impfungen oder aber wie bei QAnon, einer aus den USA stammenden Erzählung, die sich antisemitischer Feindbilder bedient und einen "tiefen Staat" verortet, der unter anderem Kindesmissbrauch dulde.

"Die Gegnerschaft zu den Maßnahmen scheint von einer prinzipiellen Oppositionshaltung gegenüber Regierungen getrieben zu sein", mutmaßen die Autoren. Die Krise werde genutzt, um gegen Migranten zu mobilisieren, die Maßnahmen gegen das Virus seien ein Zeichen dafür, dass unter dem Vorwand der Bekämpfung einer Pandemie ein autoritärer Staat errichtet würde. So wird beispielsweise vor dem Aufbau einer "Corona-Diktatur" gewarnt, die durch die Einschränkung von Bürgerrechten eingeführt werden solle.

Einerseits wird die Gefahr des Virus infrage gestellt, andererseits warnen Rechtsextreme aber auch immer wieder vor Migration und Flüchtlingsaufnahme – mit der Begründung, dass sich Covid-19 dadurch schneller ausbreiten könne.

Die Methoden sind erfolgreich, denn seit der Pandemie wuchs ihre Reichweite um 18 Prozent, jene von Islamisten im Vergleich dazu um sechs Prozent. Bei Linksradikalen waren es hingegen zehn Prozent. Rechtsextreme konnten sich dabei als vermeintlich glaubwürdige alternative Quellen zu traditionellen Medien etablieren, besonders in den ersten Monaten nach dem Lockdown im Frühjahr.

Antisemitismus

Ihr Einfluss beschränke sich aber nicht nur auf den digitalen Raum – so rufen die Extremisten ihre Gefolgschaft beispielsweise dazu auf, Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen zu besuchen. Dort kam es auch immer wieder zu antisemitischen Äußerungen der Teilnehmer. Überhaupt führen Rechtsextreme mit ihrer Gefolgschaft auf sozialen Medien an: Mit Ausnahme von Facebook haben ihre Konten mehr als doppelt so viele Follower wie Islamisten und dreimal so viele wie Linksradikale.

Letztere setzen auf Inhalte zu Kapitalismuskritik, wirtschaftlicher Ungleichheit und andere derartige Beiträge, die nicht "inhärent extremistisch" seien. Beispielsweise wird der Verlauf der Pandemie als Beleg dafür dargestellt, dass profitorientierte Gesundheitssysteme nicht für eine ausreichende Gesundheitsversorgung geeignet seien und zu Ausbeutung führen würden. Allerdings würden die untersuchten Gruppen unkritisch die Propaganda autoritärer und antiwestlicher Regierungen wie China und Kuba teilen. Auch herrsche ein Misstrauen gegenüber dem bürgerlichen Staat, was zu einer Ablehnung mancher Maßnahmen gegen das Virus führe. Verschwörungsmythen würden hingegen nicht verbreitet.

Telegram als neue Heimat

Insgesamt würden sich gerade im deutschsprachigen Raum digital keine nationalen Grenzen zwischen Extremisten bilden – so mobilisiert etwa der Chef der rechtsradikalen Identitären in Österreich bevorzugt deutsche Nutzer, beispielsweise an Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen teilzunehmen. "Gerade für extremistische Akteure in Österreich und der Schweiz bildet das größere Online-Publikum im Nachbarland Deutschland eine Bühne, über welche sie die eigenen Botschaften verbreiten können" – daher sei es sinnvoll, solche Communities nicht isoliert, sondern über den gesamten deutschen Sprachraum hinweg zu beobachten.

Die gerade bei den Rechtsextremisten populärste Plattform ist Telegram, dort wuchsen die followerstärksten Kanäle um knapp 350 Prozent. Das hat einen praktischen Grund: Telegram fungiert nämlich als soziales Netzwerk, über Channels können User einer Person folgen, die Nachrichten an ihre Gefolgschaft teilt. Anders als Twitter, Facebook und andere (teil)öffentliche soziale Netzwerke verzichtet Telegram auf eine Moderation und löscht Inhalte nur vereinzelt. Erst nach massivem öffentlichem Druck sperrte etwa der Dienst 2015 und 2016 Konten, die dem "Islamischen Staat" zugeordnet werden konnten. Im Sommer wurden die Kanäle einzelner rechtsextremer Gruppen entfernt.

Im Vergleich dazu beschäftigen Facebook und andere Social-Media-Giganten weltweit tausende Content-Moderatoren, die rechtswidrige Inhalte entfernen. Sind Kanäle öffentlich, können sie von Behörden beobachtet werden, so etwa vom Bundeskriminalamt – eine Entfernung und Verfolgung der Betreiber von Telegram selbst ist allerdings schwierig.

Zwar ist Telegram wie andere soziale Plattformen für seine Inhalte verantwortlich. Jedoch müssen Behörden das Unternehmen erst verfolgen können – der Dienst hat allerdings seinen Sitz mehrfach geändert, um einer Rechtsdurchsetzung zu entfliehen. Die Entwickler befinden sich mittlerweile nach Eigenangaben in Dubai.

Regulierung empfohlen

Die Studienautoren weisen daher darauf hin, dass das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz und das geplante österreichische Kommunikationsplattformgesetz auf Telegram ausgeweitet werden sollte, aktuell werde die Plattform nämlich als reiner Messenger klassifiziert.

Dazu kommt, dass die Gesetze sich ausschließlich mit der Bekämpfung rechtswidriger Inhalte befassen – Desinformation und Verschwörungsmythen aber damit unberührt bleiben. Daher sollten sich Politiker Regulierungsmaßnahmen überlegen, bei denen sozialen Medien eine Sorgfaltspflicht auferlegt werde, sodass derartige Inhalte nicht mehr mittels ihrer Algorithmen empfohlen werden.

Wichtig sei zudem, dass die Medienkompetenzen der Bevölkerung erhöht werden müsste, damit sie kritischer mit Fake-News umgeht. Auch sollte das Verständnis der Bürger zu extremistischen Taktiken vertieft werden – das geschehe mit Bildung, denn die Forschung habe gezeigt, dass die Ausweitung des Zugangs zu Universitäten eine wichtige Rolle dabei gespielt habe, die Verbreitung von Verschwörungsmythen einzudämmen. (Muzayen Al-Youssef, 4.11.2020)