Der Unterschied zwischen Hochrechnungen und Ergebnissen ist deutlich: Ein US-amerikanisches Paar verfolgt die neuesten Zahlen.

Foto: AFP / Seth Herald

Selbst wenn die Erinnerung an Donald Trump einst verblassen sollte: Zumindest einer Branche wird der US-Präsident noch lange im Gedächtnis bleiben. Nimmermüde hatten die amerikanischen Umfrageinstitute vor der Wahl betont, dass man aus den Fehlern von 2016 gelernt habe und dass man die Wählerschaft des populistischen Republikaners nun besser einschätzen könne. Geendet hat der Urnengang für die Branche im Desaster. Beträgt der durchschnittliche Fehler nach Auszählung aller Stimmen wieder nur fünf Punkte, so wie 2016, wird man schon froh sein müssen.

Richtige Schlüsse, falsche Interpretation

Dabei hatte man vielfach die richtigen Schlüsse aus den vorhandenen Daten gezogen – und dann bei der Interpretation doch massiv versagt. Dass Latinos etwa diesmal stärker zu Trump tendieren würden als noch vor vier Jahren, das war lange bekannt. Das Ausmaß, in dem Biden vor allem im Süden Floridas die demokratisch-hispanische Stammwählerschaft von der Hand ging, ist aber fast allen Instituten verborgen geblieben. Dass Biden umgekehrt unter weißen, weniger gebildeten Einwohnern des Mittleren Westens besser abschneiden würde als Hillary Clinton 2016, das galt lange als gewiss. Auch das hat sich letztlich bewahrheitet – aber in viel geringerem Ausmaß als vermutet.

Völlig unterschätzt wurde Trumps relative Stärke unter besser Gebildeten. Die Verluste des Präsidenten in den Suburbs hingegen hat man richtig vorhergesagt.

Ungelöste Rätsel

Zu den ungelösten Rätseln dieses Wahltages zählt auch, dass die Umfragefehler von Staat zu Staat variieren. Das Ergebnis in Florida und im Mittleren Westen hat man weit verfehlt, auch in Texas und North Carolina lag die Branche deutlich daneben. In Georgia, das den Letztgenannten demografisch ähnelt, schätzten die Umfragen die Lage hingegen korrekt ein, als sie ein sehr enges Rennen vorhersagten. Auch in Arizona lag man trotz der zahlreichen Latinos relativ richtig.

Und doch mag es am Ende so ähnlich kommen wie 2016 – dazu nämlich, dass ein deutlicher Sieg der Demokraten vom US-Wahlsystem überdeckt wird. Denn dass Biden bei den landesweit abgegebenen Stimmen einen klaren Vorsprung erringen wird, steht außer Frage. Nach Auszählung aller Stimmen in Kalifornien und New York wurde mit einem Abstand über fünf Millionen gerechnet. Dass der Sieger der Wahl am Dienstag nicht feststand, lag einmal mehr am Wahlleutesystem.

Kritik am System

Zum fünften Mal in sechs Wahlen seit 2000 hat damit ein Demokrat die landesweite Mehrheit geholt – und doch hat die Partei nur in acht dieser 20 Jahre regiert. Die Kritik am System, das die Republikaner strukturell bevorzugt, wird weiter wachsen. Eine Änderung ist dennoch nicht in Sicht. Denn diese bräuchte auch die Zustimmung der Republikaner, sowohl im Kongress als auch in zwei Drittel der Staaten – und die werden sich hüten. (Manuel Escher, 4.11.2020)