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In Iowa (Bild) war die Lage schnell klar: "Four more years" für Donald Trump. Doch das Ergebnis in den Swing-States könnte vor den Gerichten landen.

Foto: APA / AFP / Getty Images / Mario Tama

Warum er so auf Eile drängte, warum er Amy Coney Barrett, die neue Verfassungsrichterin am Supreme Court, unbedingt noch vor dem Wahltag durch den Senat bestätigen lassen wollte – daraus hat Donald Trump nie ein Geheimnis gemacht. Mit der 48-Jährigen aus Indiana kommen die konservativen Juristen der höchsten Instanz, die ideologisch genauso gespalten ist wie der Rest des Landes, gegenüber ihren liberaleren Kollegen auf eine komfortable Mehrheit von sechs zu drei. Der Präsident verspricht sich davon einen klaren Vorteil, sollte es tatsächlich zu dem Showdown kommen, den er noch in der Nacht zum Mittwoch angekündigt hat.

Er will sich der juristischen Brechstange bedienen, statt in Bundesstaaten, in denen das Rennen noch nicht entschieden ist, die Auszählung aller Stimmen abzuwarten. Vor allem der Briefwahlstimmen, die womöglich zu seinem Nachteil ausschlagen. Folgt man den Daten der Wahlforscher, haben Anhänger der Demokraten, vorsichtiger angesichts der Ansteckungsgefahr in der Pandemie, ihre Stimme eher per Post abgegeben als die der Republikaner. Es könnte also sein, dass der am Mittwoch vorliegende Zwischenstand tatsächlich jene rote Fata Morgana ist, von der im Vorfeld des Votums so oft die Rede war. Rot ist die Farbe der Republikaner. In den Stunden nach dem Wahltag, hatte man angenommen, würden die Roten wohl vor den Blauen, den Demokraten, liegen. In den Tagen danach aber könnte der "blue shift" folgen, die allmähliche Verschiebung des Resultats zugunsten der Blauen.

Streit um die Briefwahlstimmen

Ob es so kommt oder ob die Annahme möglicherweise auf denselben, allzu optimistischen Szenarien beruht, nach denen Biden gewinnen würde, steht in den Sternen. Klar ist nur, dass Trump die blaue Welle, falls sie denn noch rollt, gar nicht erst zulassen will, indem er die Auszählung zu stoppen versucht.

Dass es dafür eine juristische Grundlage gibt, ist zweifelhaft. Nach geltendem Recht können die Bundesstaaten nicht gezwungen werden, das Zählen abzubrechen, sofern Briefwahlstimmen rechtzeitig abgegeben wurden. In Pennsylvania beispielsweise, wo sich ein wahrer Krimi abzeichnet, werden die "mail-in ballots" auch dann noch gewertet, wenn sie erst in den Tagen unmittelbar nach dem Votum eingehen. Immer vorausgesetzt, der Poststempel bestätigt, dass sie spätestens am Tag der Wahl abgeschickt wurden.

Briefwähler, deren Stimmen bereits berücksichtigt wurden, haben in dem Staat, nach einer vorläufigen Statistik, zu 78 Prozent Biden und nur zu 21 Prozent Trump den Zuschlag gegeben. Sollten sich diese Relationen auch bei dem bestätigen, was noch aussteht, ist es denkbar, dass der Herausforderer den Amtsinhaber noch überholt. Natürlich nicht garantiert, aber durchaus möglich.

Es geht um Millionen Stimmen

Rund 1,4 Millionen Umschläge sind, Stand Mittwochvormittag Ortszeit, in Pennsylvania noch nicht geöffnet worden. Es könnte auf eine Zitterpartie für den Präsidenten hinauslaufen – was wiederum erklärt, dass er gerade mit Blick auf den "Keystone State" auf ein Ende der Auszählung drängt.

Wie und wo seine Juristen ihre Klagen einreichen, um das Prozedere anzufechten, ist noch unklar. Weil Trump die Briefwahl pauschal als betrugsanfällig charakterisiert hat, bieten sich kleine Details – die fehlende oder schwer lesbare Unterschrift auf einem Kuvert oder ein fälschlicherweise unterschriebener Stimmzettel – als Angriffsflächen für juristische Spielchen an.

Zuständig wären zunächst die Obersten Gerichtshöfe der jeweiligen Staaten. Wie und wann sie entscheiden würden, dazu kann einstweilen niemand eine seriöse Prognose abgeben. Kein Zweifel kann allerdings daran bestehen, dass beide Seiten auf einen Clinch zusteuern. Während Trump sich de facto zum Wahlsieger erklärt, betont auch Biden, dass er sich auf gutem Weg befinde, ins Weiße Haus einzuziehen.

Der Präsident legt es offenbar darauf an, die Angelegenheit so schnell wie möglich vor den Supreme Court in Washington zu bringen. Womöglich wiederholt sich das Drama, das die Welt bereits im Jahr 2000 in Atem gehalten hatte. Damals war in der Nacht nach der Wahl am 7. November nur eines klar: dass Florida darüber entscheidet, wer demnächst hinter dem Schreibtisch im Oval Office sitzt, der Republikaner George W. Bush oder der Demokrat Al Gore.

Die amerikanischen Fernsehsender hatten zunächst Gore zum Sieger ausgerufen, sich aber bald darauf korrigiert, nachdem der konservative Wahlkampfstratege Karl Rove Einspruch eingelegt hatte. In den frühen Morgenstunden des 8. November dann sahen sie Bush vorn. Gore gratulierte dem vermeintlichen Sieger – machte aber schnell einen Rückzieher angesichts eines Resultats, das so knapp war, dass es eine Nachzählung erforderte. Beide Parteien, Demokraten wie Republikaner, schickten ihre besten Anwälte nach Florida, wobei Bush im Vorteil war, konnte er doch auf die Unterstützung seines Bruders Jeb, des damaligen Gouverneurs des "Sunshine State" zählen.

Erinnerung an das Jahr 2000

Es folgte ein zäher Rechtsstreit, verbunden mit wochenlangen Kontroversen um Lochkarten. Weil die Löcher der Karten, wie sie damals in dem Staat verwendet wurden, bisweilen nicht richtig ausgestanzt waren, ließ sich in solchen Fällen kaum erkennen, wen der jeweilige Wähler oder die jeweilige Wählerin favorisierte. Im Jahr 2020, hatten Experten schon vor dem Urnengang orakelt, müsse man sich wohl auf eine Wiederholung des Tauziehens von damals einstellen. Nur eben in drei-, vier- oder gar fünffacher Aufführung, je nachdem, in wie vielen Bundesstaaten Juristen in die Schlacht ziehen. (Frank Herrmann aus Washington, 4.11.2020)