Am dritten Tag nach dem Terroranschlag in Wien stand im Parlament Trauer über die menschliche Tragödie an – aber erstmals auch Tacheles für die Regierung, weil die Opposition vor allem auf ÖVP-Seite einiges an Versagen ortet, speziell bei Kanzler Sebastian Kurz und Innenminister Karl Nehammer.

Kanzler Kurz will gegen Gefährder künftig härter durchgreifen – wie genau, präzisierte er am Donnerstag im Nationalrat noch nicht.
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Doch alles der Reihe nach. Um neun Uhr eröffnet Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ebenfalls ÖVP) vor den Fahnen auf Halbmast im Stehen die Sondersitzung des Nationalrats, auf die sich zuvor alle Parteien geeinigt haben. Er appelliert an alle im Saal, die Menschen durch Aussagen "nicht zusätzlich zu verunsichern", denn: "Nicht Hetze bringt uns weiter, sondern das Gemeinsame."

Zuerst Schweigeminute

Gleich danach beginnt die Schweigeminute angesichts der vier Todesopfer in der Wiener Innenstadt und der knapp zwei Dutzend Verletzten – und im Saal herrscht für einen kurzen Moment absolute Stille.

Dann übernimmt Kanzler Kurz auf der Regierungsbank das Wort. Er skizziert, welche "dunklen Schatten auf unserer Republik liegen", aber auch helle Momente in den letzten Tagen. Erstmal überwindet sich der Kanzler dazu, allen Österreichern und denen, "die hier leben", zu danken, die noch Schlimmeres in der Nacht vom 2. auf den 3. November verhindern konnten – damit dürfen sich offenbar etwa auch jene beiden Männer mit Migrationshintergrund angesprochen fühlen, die noch mitten im Kugelhagel einen verletzten Polizisten zu einem Rettungswagen zerrten.

Mehr Härte gegen Gefährder

Doch bei allem Respekt für alle Verantwortlichen bei der Bewältigung der Katastrophe dürften sich "solche Situationen nicht wiederholen", insistiert Kurz. Deswegen brauche es eine Reform des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, das in den letzten Jahren massiv Schaden genommen habe. Die Exzesse unter seinem ehemaligen Koalitionspartner, Ex-Innenminister Herbert Kickl (FPÖ), benennt er dabei nicht explizit.

Stattdessen stellt der Kanzler ein kompromissloses Vorgehen der Dokumentationsstelle für den politischen Islam in Aussicht, mit dem im Notfall auch extremistische Vereine aufgelöst werden können. Und ebenfalls auf seiner Agenda: mehr internationale Zusammenarbeit und bessere rechtliche Mittel, um gegen Gefährder härter mit Observationen und Sanktionen durchgreifen zu können. Ins Detail geht der Kanzler dabei nicht, was das für Verdächtige künftig bedeutet.

Grüner Rüffel für Blau

Auch Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) spricht sich für einen "Neustart" und eine "Neuausrichtung" des BVT aus, sowie auch für mehr Ressourcen für die Landesämter, damit umfassende Überwachungen von Extremisten und die Informationsweitergabe an die Justiz garantiert werden können. Angesichts der aktuellen Meldungen, dass die Verfassungsschützer von einem versuchten Munitionskauf des Terroristen in der Slowakei durchaus informiert waren, verwahrt sich Kogler zwar gegen "voreilige Schuldzuweisungen", versichert aber, dass es zu einer schonungslose Fehleranalyse samt Konsequenzen kommen werde – durch die unabhängige Untersuchungskommission, die von Innen- und Justizministerium gestellt wird.

Bei einem Zwischenruf aus den blauen Rängen reißt Kogler kurz der Geduldsfaden: "Belästigen Sie uns nicht mit Ihren Zwischenrufen", herrscht der Vizekanzler den FPÖ-Abgeordneten an, "dafür ist die Lage zu ernst!"

Null Toleranz auch für Schuldzuweisungen

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner tritt ans Rednerpult – und sie hält der ÖVP-Spitze auf der Regierungsbank entgegen, dass sie keine 48 Stunden nach dem Terroranschlag versucht habe, die Versäumnisse der Justiz unter Ministerin Alma Zadić (Grüne) in den Vordergrund zu rücken. Stattdessen müsse sich Innenminister Nehammer vielmehr fragen, wie es passieren konnte, dass sich der Täter offenbar unbemerkt Munition besorgen wollte und dass auf entsprechende Hinweise aus der Slowakei nicht rechtzeitig reagiert worden sei.

In diese Kerbe schlägt auch FPÖ-Klubchef Kickl: "Was Sie Kommunikationsfehler nennen, ist das Todesurteil für vier unschuldige Menschen gewesen", schleudert er dem Innenminister entgegen. An seiner Stelle wüsste er, was nun zu tun sei – nämlich den Rücktritt einzureichen. Erstmals kommt an diesem Tag im Saal vereinzelt Hohngelächter über Nehammers Vorgänger Kickl auf.

Doch der lässt sich trotz seiner höchst umstrittenen Amtszeit nicht beirren: Dass ein Mitglied einer terroristischen Organisation überhaupt vorzeitig entlassen und auf die Bevölkerung "losgelassen" werden konnte, ist für Kickl die Schuld von "verantwortungslosen Weltverbesserern und Fantasten".

Die Angriffe der ÖVP auf die Justiz findet auch Neos-Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger "deplatziert" und "schäbig". Denn im Bereich des Innenministeriums, konkret im BVT, habe es ja massive Fehler gegeben. Sie pocht deswegen auf die Mitsprache der Opposition bei der Vorsitzwahl für die anstehende Untersuchungskommission.

Transparente Aufarbeitung

Die beiden auch für die Aufklärung etwaiger Versäumnisse zuständigen Minister versprechen prompt umfassende Transparenz bei der Aufarbeitung des Terroranschlags. In der Rede von Innenminister Nehammer sind keinerlei Vorwürfe mehr in Richtung der Justiz zu hören, warum der Terrorist allzu früh entlassen worden sei.

Justizministerin Zadić hält dafür fest: "Die Staatsanwaltschaften und Gerichte können nur dann handeln, wenn sie die notwendigen Informationen haben." Deswegen werde nun die Zusammenarbeit verbessert und die Betreuung und Kontrolle nach der Haft engmaschiger. Und sie betont auch: "Alles, was wir jetzt sagen und was wir jetzt tun werden, kann keine Wunden heilen" – aber im Land müsse man nun zusammenhalten.

Ein blauer Misstrauensantrag gegen Minister Nehammer scheiterte am Ende der Sondersitzung – nur die SPÖ unterstützte das FPÖ-Begehren. (Nina Weißensteiner, 5.11.2020)