Papst Franziskus hat sich dafür ausgesprochen, gleichgeschlechtlichen Paaren eingetragene Partnerschaften zu ermöglichen. Abgesehen davon, was das für das katholische Kirchenrecht bedeutet (oder auch nicht): Ist die rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften nach europäischem Recht nicht ohnehin bereits verpflichtend?

Gehen wir zurück zum Oktober 2009: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) stellt der österreichischen Bundesregierung die Ladung zu einer Verhandlung Anfang 2010 zu. Es geht darum, ob Österreich die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) verletzt hat, weil es gleichgeschlechtlichen Paaren immer noch die Anerkennung verweigert.

Seit Jahren hatte die Bundesregierung damals über die Einführung einer eingetragenen Partnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare diskutiert und gestritten. Weiter ging nichts. Nach der Ladung vor den EGMR ging plötzlich alles sehr schnell. Innerhalb weniger Wochen war die Regierungsvorlage da, die innerhalb weniger Wochen vom Nationalrat als Gesetz verabschiedet wurde. Bezeichnenderweise am 10. Dezember – dem Internationalen Tag der Menschenrechte.

Eingetragene Partnerschaft

Nach Inkrafttreten am 1. Jänner 2010 beantragte die Bundesregierung sogleich am EGMR die Einstellung des Verfahrens. Die Beschwerdeführer seien klaglos gestellt und die Sache erledigt, eine Entscheidung nicht mehr notwendig.

Der Gerichtshof sah das anders. Eine Entscheidung sei wegen der großen Bedeutung der Sache für ganz Europa angezeigt. Im Urteil im Fall Schalk and Kopf v Austria kam Österreich haarscharf davon. Die Einführung der eingetragenen Partnerschaft mit 1. Jänner 2010 erfolgte noch nicht zu spät, urteilten die Straßburger Richter mit einer knappen Mehrheit von drei zu zwei.

Fünf Jahre später war es dann so weit. Italienische gleichgeschlechtliche Paare wandten sich an den EGMR, weil ihnen ihr Land nicht einmal eine eingetragene Partnerschaft ermöglichte. Einstimmig erkannte der Gerichtshof, dass Italien dadurch seine Verpflichtung zur Achtung des Familienlebens (Art. 8 EMRK) verletzt hat (Oliari et al v Italy 2015). Derzeit ist ein weiterer solcher Fall am EGMR anhängig (Buhuceanu and Ciobotaru v. Romania), den der Gerichtshof vermutlich ebenso entscheiden wird.

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Die Ehe für alle gilt in Österreich seit 2019.
Foto: AP Photo/Oded Balilty

Die Ehe

(Zumindest) eingetragene Partnerschaften sind also für gleichgeschlechtliche Paare ohnehin Menschenrecht. Und wie sieht es mit der Ehe aus, die der Papst weiterhin ablehnt?

Die Europäische Menschenrechtskonvention garantiert das Recht, eine Ehe zu schließen (Art. 12 Absatz 1 EMRK). 2010 hat der EGMR ausgesprochen, dass dieses Recht grundsätzlich auch gleichgeschlechtlichen Paaren zukommt, sie in den Anwendungsbereich dieses Grundrechts fallen (Schalk & Kopf v Austria).

Art. 12 EMRK gewährt das Recht zu heiraten jedoch nicht absolut, sondern "gemäß den einschlägigen nationalen Gesetzen". Staaten dürfen daher das Recht, eine Ehe einzugehen, einschränken, solange sie nicht den Wesensgehalt (den Kernbereich) des Grundrechts auf Ehe einschränken.

Und 2010 gehörten gleichgeschlechtliche Ehen für den EGMR noch nicht zu diesem Wesensgehalt (dem Kernbereich). Der Gerichtshof verwies dabei darauf, dass damals nur sechs der 47 Mitgliedsstaaten des Europarats gleichgeschlechtliche Ehen ermöglichten. Nach der damaligen Lage der Dinge ("as matters stand") sah der EGMR im Ausschluss von der Ehe noch (!) keine Menschenrechtsverletzung (Schalk & Kopf v Austria 2010). Heute sind es nicht mehr sechs, sondern bereits 16 europäische Staaten mit Ehegleichheit.

Dank unseres Verfassungsgerichtshofs, des ersten und ältesten der Welt, genießen gleichgeschlechtliche Paare mittlerweile wirkliche Gleichberechtigung ohne Segregation (in ein Sonderrechtsinstitut) im Sinne eines Rechts für alle (VfGH 04.12.2017, G 258/17). Bis dies auch für ganz Europa verpflichtend wird, wird noch einige Zeit vergehen (2016 hat der EGMR seine Entscheidung aus 2010 noch einmal bestätigt: Chapin and Chapentier v France). Aber ich bin zuversichtlich, dass dieser Tag nicht (allzu) fern ist. (Helmut Graupner, 10.11.2020)