Dass Nehammer mit Verve nun seinen Vor-Vor-Vorgänger Herbert Kickl (FPÖ) attackierte, zeugt von hoher Nervosität.

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Je länger die tödlichen Schüsse in der Wiener Innenstadt her sind, desto stärker rückt das Handeln der heimischen Sicherheitsbehörden in den Vordergrund – und desto mehr heiklen Fragen müssen sich Innenminister Karl Nehammer und seine Spitzenbeamten stellen. Klar ist, dass der Einsatz an sich gut abgelaufen ist und den teilnehmenden Beamten höchste Anerkennung gebührt – aber davor und danach ist einiges schiefgegangen.

Besonders der versuchte Munitionskauf des späteren Attentäters in der Slowakei samt Warnungen der dortigen Behörden an ihre Kollegen in Wien deuten auf gravierende Fehler hin. Die erste Meldung an den Verfassungsschutz (BVT) erfolgte im Juli 2020; in den Wochen danach gab es Rückfragen, bis dann die Identität des Mannes bestätigt werden konnte. Und dann geschah offenbar nichts – auch keine Weitergabe der Informationen an die Staatsanwaltschaft, die laut Ansicht von Rechtsexperten eine U-Haft beantragen hätte können.

Das alles geschah in der Ära von Innenminister Karl Nehammer (ÖVP): Er hatte den damals amtsführenden BVT-Chef ausgesucht, er ist politisch letztverantwortlich. Dass Nehammer mit Verve nun seinen Vor-Vor-Vorgänger Herbert Kickl (FPÖ) attackierte, zeugt von hoher Nervosität – und ist auch politisch risikobehaftet. Es stimmt zwar, dass die Machenschaften des Kabinetts Kickl rund um die Razzia gegen das BVT für einen drastischen Vertrauensverlust bei ausländischen Partnerdiensten sorgten – doch damals siegte die Koalitionsräson über die Sorge um das Funktionieren der Sicherheitsbehörden. Nehammer stand als Abgeordneter und ÖVP-Generalsekretär an Kickls Seite, im Unterschied zu alteingesessenen, mehr schwarzen als türkisen Politikern. Abgesehen davon zeigt die Warnung aus der Slowakei sehr wohl, dass die internationale Kooperation (wieder) funktioniert.

Die Ära Kickl war für das BVT zwar turbulent, die Probleme sitzen jedoch viel tiefer und betreffen das gesamte Innenministerium – und politisch verantwortlich dafür ist die ÖVP. Seit der Amtszeit von Ernst Strasser ab dem Jahr 2000 wurden Polizeibehörden schwarz ein- und umgefärbt. Zum Teil war ein Parteibuch wichtiger als Kompetenzen, wie der BVT-U-Ausschuss zeigte. Innenminister schwelgten stets in Überwachungsfantasien, statt für mehr Ressourcen zu sorgen. Dabei ist schon lange klar, dass die vorhandenen Gesetze ausreichen, das Personal samt Expertise jedoch nicht.

Aber auch für die Zeit nach dem Anschlag stellen sich Fragen: Wieso hat Nehammer von dem versuchten Munitionskauf erst durch einen Zeitungsbericht am Dienstag erfahren, wenn die Information zentral für die Hausdurchsuchungen nach dem Anschlag war? Warum laviert man in der Frage herum, ob zeitnah zum Attentat eine lange geplante Anti-Terror-Razzia hätte stattfinden sollen? All das muss rasch aufgeklärt werden, um zumindest etwas Vertrauen in die Behörden wieder aufbauen zu können. Und die Frage der politischen Verantwortung bleibt im Raum stehen. (Fabian Schmid, 5.11.2020)