Der Wiener Neos-Chef Christoph Wiederkehr hält die aktuellen Corona-Maßnahmen schon für sehr massiv. Handel und Schulen sollen geöffnet bleiben.

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Die Neos haben erstmals die Chance, in die Wiener Stadtregierung einzuziehen. Ihr Klubchef Christoph Wiederkehr ist dafür relativ entspannt. Eine Woche lang hat er keine Interviews gegeben und sich auf die Koalitionsverhandlungen mit Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) konzentriert. Über die Inhalte wurde Stillschweigen vereinbart.

STANDARD: Am Montag gab es in der Wiener Innenstadt einen Terroranschlag. Wie sicher ist die Stadt?

Wiederkehr: Wien ist vergleichsweise eine sichere Hauptstadt. Wir haben durch den Terroranschlag aber gesehen, dass es jede Stadt treffen kann. Wien ist keine Insel der Seligen, auch hier gibt es eine Gefährdungslage durch radikale Islamisten. Diese ist sehr ernst zu nehmen. Das feige Attentat ist extrem erschütternd und ein Anschlag auf die offene Gesellschaft und die liberale Demokratie. Aber: Wien ist eine wehrhafte Stadt. Es ist schön, wie der Zusammenhalt gelebt wird. Wir dürfen uns nicht von Islamisten und Terroristen einschüchtern lassen.

Christoph Wiederkehr (2. v. li.) hat am Donnerstag an einer Gedenkkundgebung der Jüdischen HochschülerInnenschaft, der European Union of Jewish Students, der ÖH Uni Wien und der Muslimischen Jugend Österreichs (MJÖ) für die Opfer des Anschlags in der Wiener Innenstadt teilgenommen. Auch Pamela Rendi-Wagner (SPÖ), Birgit Hebein (Grüne) und Othmar Karas (ÖVP) nahmen teil.
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STANDARD: Ludwig hat angeregt, Gesetze zu erlassen, die eine leichtere Ausbürgerung und Abschiebung von Heimkehrern aus IS-Gebieten ermöglichen. Schließen Sie sich dem an?

Wiederkehr: Ja. Wir brauchen ein konsequentes Vorgehen gegen Gefährder und gegen radikale Islamisten, die als solche auch bekannt sind. Wenn eine Ausbürgerung oder Abschiebung möglich ist, sollte diese auch durchgeführt werden. Aber es braucht auch mehr Maßnahmen im Bereich der Sicherheitsbehörden, der Deradikalisierung und einen besseren Geheimdienst.

STANDARD: Das ist mit mehr Budget verbunden.

Wiederkehr: Und in erster Linie mit effizienten Behörden. Das BVT wurde in den vergangenen Jahren aus parteipolitischen Gründen kaputtgemacht. Jetzt braucht es eine Untersuchungskommission, die klärt, welche Fehler gemacht wurden.

STANDARD: Sie verhandeln derzeit mit der SPÖ die erste rot-pinke Koalition in Wien. Könnten diese noch scheitern, oder ist die Koalition fix?

Wiederkehr: Verhandlungen können immer scheitern. Bis zum Ziel liegt noch einiges vor uns. Wir arbeiten hart an einer Einigung.

STANDARD: Die Koalitionsverhandlungen sollen Mitte November abgeschlossen sein. Geht sich das aus?

Wiederkehr: Es ist ein ambitioniertes Ziel. Es ist aber zu früh, um ein Endergebnis vorwegzunehmen. Die Gespräche finden auf Augenhöhe statt, sind freundschaftlich und konstruktiv, aber in einigen Bereichen besteht noch größerer Verhandlungsbedarf.

Die Koalitionsverhandlungen zwischen den Neos mit Christoph Wiederkehr und der SPÖ unter Führung von Michael Ludwig begannen am 27. Oktober.
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STANDARD: In welchen Bereichen muss noch diskutiert werden?

Wiederkehr: In der Bildung braucht es wesentliche Verbesserungen, die auch sichtbar sind. Gerade durch die Corona-Krise sind die Bildungseinrichtungen besonders betroffen.

STANDARD: Sie fordern etwa ein Sonderbudget vor allem für Brennpunktschule. Wird es diese 40 Millionen zusätzlich geben?

Wiederkehr: Bildungspolitische Verbesserungen sind kein Sprint, aber man muss den Marathon auch ambitioniert starten. Michael Ludwig hat ein gutes Verständnis, wie wichtig Bildung für die Zukunft der Stadt ist. Und er ist bereit, etwas zu tun. Es braucht aber ein ambitioniertes Programm.

STANDARD: Was ist die größte Baustelle?

Wiederkehr: Vier von zehn Kindern können nach der Pflichtschule nicht gut genug lesen und schreiben. Hier müssen wir ansetzen, damit sie eine Chance im Arbeitsleben haben. Ich will keine Generation AMS.

STANDARD: Sie haben nie einen Hehl daraus gemacht, dass Sie Bildungsstadtrat werden wollen. Ist das eine Koalitionsbedingung?

Wiederkehr: Bedingung ist für mich, dass sich die Wiener Schulen und Kindergärten verbessern. Nach den inhaltlichen Verhandlungen werden wir über die Ressortverteilung diskutieren. Es wäre eine Chance für Wien, wenn hier eine pinke Handschrift zu sehen ist.

STANDARD: Werden Sie Stadtrat?

Wiederkehr: Wenn es zur Koalition kommt, bin ich der, der in die Stadtregierung gehen wird.

STANDARD: 2018 haben Sie einen Stadtrat für "Korruptionsbekämpfung, Transparenz und Bürgerbeteiligung" gefordert. Wird es diesen geben?

Wiederkehr: Es wäre ein Weg, der mehr Transparenz bringen würde. Wichtiger als diese Position ist, dass Kontrollrechte ausgeweitet werden und Wien transparenter wird.

Neos-Chef Wiederkehr: "Wenn es zur Koalition kommt, bin ich der, der in die Wiener Stadtregierung gehen wird."
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STANDARD: Sie treten für die Sonntagsöffnung ein, die SPÖ ist vehement dagegen. Wird diese kommen?

Wiederkehr: Ich bin für eine Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten, damit Betriebe selbst entscheiden können, wann sie aufsperren wollen. Für Wien erkenne ich keine große Bereitschaft der Sozialpartner oder der Sozialdemokratie, in diese Richtung zu gehen.

STANDARD: Sie kritisieren die hohe Arbeitslosigkeit in Wien. Wie wollen Sie diese ändern?

Wiederkehr: Wien ist besonders betroffen, weil die Stadt stark im Bereich Tourismus und Konferenzen ist. Der aktuelle Lockdown wird zu massiven wirtschaftlichen Problemen und der Erhöhung der Arbeitslosigkeit führen. Es braucht eine konsequente Unterstützung des Finanzministers und darüber hinaus Wiener Programme, um die Konjunktur anzukurbeln. Wir müssen Arbeitsplätze sichern und neue schaffen.

STANDARD: Kam der Lockdown angesichts der Infektionszahlen zu spät?

Wiederkehr: Nein, aber es wurde im Sommer zu wenig getan, um uns auf den Herbst vorzubereiten. Ich sehe große Versäumnisse im Bildungs-, aber auch im Gesundheitsministerium, dass man den Herbst nicht ausreichend geplant hat.

STANDARD: Braucht es schärfere Maßnahmen als den Lockdown?

Wiederkehr: Die Einschränkungen sind schon sehr massiv. Ich halte gar nichts davon, den Handel zu schließen. Es ist wichtig, den Handel und die Schulen offen zu halten. (Oona Kroisleitner, David Krutzler, 5.11.2020)