Bild nicht mehr verfügbar.

Verkehrsminister Andreas Scheuer bei der Eröffnung einer Teststrecke für automatische Fahrzeuge in Berlin.

Foto: REUTERS/HANNIBAL HANSCHKE

Von den vielen Fragen, die um das Scheitern der deutschen Pkw-Maut für Ausländer kreisen, kehrt eine immer und immer wieder. Warum, lautet diese, hat der deutsche Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) mit den Verträgen für das ehemalige CSU-Prestigeprojekt nicht bis nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) gewartet? Warum musste er mit den Mautbetreibern unbedingt schon vorher handelseins werden?

Im deutschen Verkehrsministerium gibt es darauf viele Antworten, und eine davon bezieht sich auf die EU-Kommission. Diese war anfangs ja überhaupt nicht begeistert vom Plan der Deutschen, nur von Ausländern eine Maut zu kassieren. Sie leitete sogar ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland ein.

Kompromiss Zehn-Tage-Vignette

Doch dann verhandelten der damalige deutsche Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) und EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc noch einmal. Es fand sich im Jahr 2016 ein Kompromiss: die Zehn-Tage-Vignette wurde billiger, die Kfz-Steuer wurde für umweltfreundlichere Autos stärker gesenkt und die Deutschen erklärten sich bereit, in einem europaweiten Mautsystem mitzumachen. Und damit, so sagt man es im deutschen Verkehrsministerium heute noch, sei eigentlich klar gewesen, dass die Maut EU-konform sein müsse.

Dem allerdings widersprach am Donnerstag Martin Selmayr im U-Ausschuss des Bundestags. Der 49-Jährige war von 2014 bis 2018 Kabinettschef des damaligen EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker, derzeit leitet er die Vertretung der EU-Kommission in Wien. "Die EU-Kommission hat darauf hingewiesen, dass ein Restrisiko besteht. Es war bekannt, dass die Nachbarländer Österreich und Niederlande klagen wollen", sagte er. Und das von Selmayr angesprochene "Restrisiko" erwies sich dann ja am 18. Juni 2019 für Deutschland auch als Debakel. An dem Tag stoppte das Gericht das Mautvorhaben wegen Diskriminierung.

Selmayr per Video zugeschaltet

Selmayr kam am Donnerstag nicht persönlich von Wien nach Berlin, er war im Ausschuss per Video zugeschaltet. Er betonte, nicht für die EU-Kommission offiziell zu sprechen sondern seine persönliche Sichtweise darzulegen. Aber dass die EU-Kommission die Deutschen vor dem EuGH sehend ins Unheil rennen habe lassen, wollte er so nicht stehen lassen. "Der EuGH ist ein unabhängiger Gerichtshof, auch wir (die Kommission, Anm.) lagen nicht immer richtig." Und überhaupt, dass sich Bulc und Dobrindt geeinigt hätten, sei noch lange keine "Carte blanche" für den EuGH gewesen, ebenso wenig habe man die Einstellung des Vertragsverletzungsverfahrens der EU-Kommission gegen Deutschland als Garantie für Rechtssicherheit sehen können. "Er selbst habe die Chance, dass die Deutschen im Maut-Streit als Sieger vom Platz gehen, immer als "sehr klein eingeschätzt". Dann gab er der CSU noch eine eine Art Lebensrat: Man könne auch im Leben generell "ein Restrisiko nicht ausschließen".

Braun soll im Wirecard-Ausschuss aussagen

Um Österreich ging es – im weiteren Sinne – am Donnerstag auch im Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestags. Man einigte sich darauf in 14 Tagen, den ehemaligen Chef des insolventen Zahlungsdienstleisters, den Österreicher Markus Braun, als Zeugen zu hören. Dieser sitzt seit dem Sommer in U-Haft. Ex-Finanzvorstand Jan Marsalek würden die Abgeordneten auch gern befragen, aber dieser ist flüchtig.

Am Donnerstag sprachen die Parlamentarier mit dem britischen Enthüllungsjournalisten Dan McCrum. Er hatte seit 2015 in der Financial Times über Unregelmäßigkeiten bei Wirecard berichtet. McCrum kritisierte in Berlin, dass die die Vorwürfe in Deutschland erst nach dem Zusammenbruch von Wirecard ernst genommen würden, die deutsche Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) aber zuvor offenbar nicht genug hingesehen habe und stattdessen gegen ihn selbst (mittlerweile eingestellte) Ermittlungen wegen angeblicher Marktmanipulation angestoßen habe.

Der Journalist wurde jedoch hinter verschlossenen Türen befragt, als "Experte", nicht als Zeuge. Das kritisiert die Opposition im Bundestag, die McCrum gerne ein öffentliches Forum gegeben hätte. (Birgit Baumann aus Berlin, 5.11.2020)