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"Die Bildungspolitik könnte eine positivere Einstellung der Bürger gegenüber Mehrsprachigkeit fördern.", Terézia Mora über Sprachen, die Plätze tauschen.

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Ilija Trojanow: Terézia, wie reagierst du auf den Begriff "Sprachwechsler/Sprachwechslerin". Wir wechseln die Kleidung, die Frisur, manchmal sogar den Musikgeschmack. Aber die Sprache?

Terézia Mora: Im Grunde haben nur meine beiden Muttersprachen die Plätze getauscht. Solange ich in Ungarn lebte, war Ungarisch meine L1 (Lingua 1) und Deutsch L2, ich war sowohl mündlich als auch schriftlich besser. Nach meinem Umzug nach Deutschland und einer Übergangszeit von sieben Jahren wurde das Deutsche die Nummer eins. Durch das Schreiben hat sich das noch verstärkt. Ich habe nie auf Ungarisch Literatur geschrieben, nur Tagebuch, Schulaufsätze und Ähnliches. Auf dem Feld der Literatur habe ich also die Sprache nie gewechselt, weil vor Deutsch da nichts war. Es bleibt natürlich etwas Unerklärliches dabei, wieso man in einer der Muttersprachen Schriftstellerin ist und in der anderen nicht. Ich kann es auch nicht erklären. Zumal meine literarische Sozialisation als Leserin auf Ungarisch (Originale und Übersetzungen) erfolgte. Wie ist das bei dir?

Trojanow: Biografisch war es bei mir so, dass ich die ersten sieben Jahre nur Bulgarisch gesprochen habe, dann Deutsch als Flüchtlingskind angelernt habe, aber bald darauf aufgrund unseres Umzugs nach Kenia ins Englische weitergestoßen wurde, um dann mit zwölf Deutsch richtig zu lernen, in Essen ("of all places") ... Und hier haben wir das Phänomen oder Problem: Der Ausdruck "of all places" fällt mir nur auf Englisch ein, die Sprachen bilden in meinem Kopf eine enge Wortgemeinschaft und füttern sich gegenseitig, wenn sie sich nicht gerade die kalte Schulter zeigen. Daher meine Frage an dich: Ist es nicht so, dass wir in der einen gewählten Literatursprache trotzdem mehrsprachig schreiben?

Mora: Natürlich tun wir das. Das tun auch Autoren, die wir als "einsprachig" wahrnehmen, aber auch in deren Leben wird eine oder mehrere andere Sprachen eine Rolle spielen. Bildungssprachen oder Sprachen, mit denen sie aufgrund ihrer Biografie in Kontakt gekommen sind. Aber natürlich ist das nicht dasselbe wie mehrsprachig aufzuwachsen. Als Mitglieder einer sprachlichen Minderheit verbringen alle Mitglieder meiner Familie ihr Leben von Anfang bis Ende in der Übertragung. Was meine Familie anbelangt, existieren keine einsprachigen Sätze. Jeder Satz, selbst der einfachste, ist gemischt. "Hol van a Nagel? Ist er vielleicht hineingecsúszt?" (Wo ist der Nagel? Ist er vielleicht hineingerutscht?) Und das natürlich nicht auf Hochdeutsch, sondern im Dialekt.
Selbst meine Tochter, die jetzt zwölf ist und nicht zu einer sprachlichen Minderheit gehört, wird nie in ihrem Leben anders denken können als in der Übersetzung, mittlerweile nicht mehr nur zwischen Ungarisch und Deutsch, sondern auch zwischen den Schulsprachen Englisch und Spanisch. Weil sie zwölf ist, redet sie die meiste Zeit Denglisch, gewürzt mit einigen ungarischen Basics, die sie so früh erlernt hat, dass es das Wort für das zu bezeichnende Ding ist. Beim Schreiben ist es so: Beim ersten Buch – und das sieht man ihm auch an – musste ich mich sehr darauf konzentrieren, ob denn das auf Deutsch geht, was ich da mache. Ich habe aber auch bewusst versucht, das Deutsche so weit wie möglich in Richtung des Ungarischen zu verschieben. Manchmal mit Erfolg, manchmal nicht. Wie ist das bei dir? Wie siehst du die Evolution deiner Sprachen in deinen Büchern?

"Die Sprachen bilden in meinem Kopf eine enge Wortgemeinschaft und füttern sich gegenseitig." Ilija Trojanow, Sprachenwechsler und Weltensammler
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Trojanow: Mir fehlt eine signifikante Anwesenheit dieser Mehrsprachigkeit in meinem Deutsch. Am liebsten würde ich ja tatsächlich das Gemisch, das ich von Haus aus rede – Basso continuo sowie elegante Phrasen und komplexe Ornamentierungen auf Deutsch, Sprichwörter und idiomatische Wendungen auf Englisch und einzelne Wörter auf Kisuaheli –, auch als Literatur abbilden, aber das geht leider nicht, die Tür hat Finnegans Wake zugeschlagen. Also kämpfe ich immer mit dem rechten Maß an Fremd-Sprache in meinem Deutsch.
Ein Teil von mir sehnt sich nach einer Pidginisierung – bei Der Weltensammler habe ich mal ein ganzes Kapitel in einem "Kolonialdeutsch" geschrieben, inspiriert von einem Büchlein eines Sisalplantagenbesitzers aus Deutsch-Ostafrika, das ich zufällig in der Bayerischen Staatsbibliothek in München gefunden habe, aber es funktionierte nicht, und zwar beim Lesen nicht. Insofern habe ich die Ruhe der rechten Zuteilung noch nicht gefunden. Haben die verschiedenen Sprachen bei dir auch spezifische Aufgaben (buchstabieren, zählen, Kinderlieder singen und so weiter)?

Mora: Am einfachsten ist diese Frage in Bezug auf die Kinderlieder und -reime zu beantworten. Da ich einen ungarischen Kindergarten und ungarische Schulen besucht habe, gebe ich diese fast ausschließlich auf Ungarisch an meine Tochter weiter. Gedichte, vertonte Gedichte, Volkslieder, Kunstlieder, Chorlieder und so weiter spielen in der ungarischen Kindererziehung und Schulausbildung eine sehr große Rolle. Die meisten deutschen Kinderreime und -lieder habe ich erst mit meiner Tochter zusammen gelernt.
Was das Buchstabieren und das Zählen anbelangt, funktioniert beides auf Ungarisch ganz anders als im Deutschen, und wegen der ungarischen Schule, könnte man annehmen, funktioniert das bei mir auch noch auf Ungarisch. Tut es aber nicht. In der Übergangszeit vielleicht, mit den Zahlen, die ja "verkehrt herum", also eigentlich richtig herum sind, also: "auf zwanzig eins" und nicht "einundzwanzig". Ich habe sie nie falsch herum gesprochen, wie es meine Tochter tat, aber ich habe sie auch nie von hinten nach vorn geschrieben, wie es manche Deutsche tun, sondern immer von vorn nach hinten. Wie ist all das bei dir?

Trojanow: Meine einzige Muttersprache, denke ich mir oft, ist die Mehrsprachigkeit, denn das Bulgarische ist längst verkümmert (aus anspruchsvoller Sicht), das Deutsche ist ein scharfes Instrument, bei dem ich weiterhin gelegentlich in die Bedienungsanleitung schauen muss, das Englische ein brauchbarer Ersatz für viele Lebenslagen, aber nicht für das Entscheidende, das Schreiben von Romanen, und die anderen Sprachen sind nur Wortfunkenlieferanten. Am Zählen lässt es sich gut aufzeigen. Ich mache immer noch Fehler, wenn ich mit den Gedanken woanders bin, sage zweiundsechzig statt sechsundzwanzig, muss kurz nachdenken, wenn jemand "Viertel vier" sagt, komme durcheinander bei den falschen Freunden "Billionen" und "billions". Kleinigkeiten, gewiss, aber sie verursachen ein Gefühl der Zehenspitzigkeit, eine Habachthaltung (wie ein Stuhl, dessen Lehne sich einem in den Rücken bohrt, wenn man sich zu sehr entspannt).
Wenn wir das Individuelle kurz verlassen und die politische Ebene betrachten: Wärest du dafür, dass wir überall in der Gesellschaft Mehrsprachigkeit etablieren, sei es für alle in Kindergärten, Schulen, Universitäten, sei es als selbstverständliche kulturelle und ethische Aufgabe von Europäerinnen, eine der Nachbarschaftssprachen zu lernen? Mich hat letztes Jahr sehr betrübt, in drei verschiedenen traditionell zweisprachigen Regionen zu erfahren, dass die Mehrsprachigkeit eher abnimmt, im Elsass, in Südtirol und im slowenischen Prekmurje, wo die Älteren sogar dreisprachig (neben Slowenisch Ungarisch und Deutsch) leben. Sollte Mehrsprachigkeit nicht der angestrebte Normalzustand sein? Oder überschätze ich ihren gesellschaftlichen Segen?

Mora: Ich war auch schockiert, als ich in Siebenbürgen war – das war schon 2006 – und feststellen musste, dass die Rumänen, die Deutschen und die Ungarn, anders, als ich gehofft hatte, überhaupt nicht im Austausch miteinander lebten. Cluj (Kolozsvár, Klausenburg) hat sogar zwei zentrale Plätze, einen für die Rumänen, den anderen für die Deutschen und die Ungarn. Bei mir in der Gegend hat die Öffnung der Grenze zu Österreich dazu geführt, dass Deutsch wieder eine wichtige Sprache geworden ist, allerdings aus rein pragmatischen Gründen. Im Wesentlichen gilt für meine dreisprachige Region dasselbe, was immer schon gegolten hat: wir in Konkurrenz zu denen. Jede Gruppe legt Wert darauf, ihre eigene Kultur zu wahren, häufig in der Überzeugung, diese sei "besser". Die größten Bedenken hatten die Eltern in meiner Familie immer, ob ihre Kinder jemanden heiraten würden, der nicht Deutsch kann, und was dann mit der nächsten Generation passieren würde. Die kleineren Volksgruppen werden immer Angst haben, von den größeren geschluckt zu werden.
Ich denke, die Bildungspolitik könnte eine positivere Einstellung der Bürger gegenüber Mehrsprachigkeit durchaus fördern, wovon in Ungarn zurzeit natürlich keine Rede sein kann, aber in Deutschland ist man da auch nicht sehr offensiv, möglicherweise aus Angst davor, dass sich Leute "bedroht" fühlen, die ihr Leben, aus welchem Grund auch immer, mit nur einer Sprache leben. Tatsache ist: Man hat andere (zahlreichere) Möglichkeiten, wenn man mehr als nur eine Sprache beherrscht, und ich kann keine Bedrohung darin erkennen, das Erlernen von Fremdsprachen in allen Bildungseinrichtungen von Anfang an als etwas Grundsätzliches zu behandeln. Ich habe von Eltern gehört, die frühen Sprachunterricht ablehnten, aus Angst, ihr Kind könnte dann seine Muttersprache nicht gut genug erlernen. Als Philologen und als Mehrsprachige wissen wir, dass das nicht so ist, aber wir werden nicht jeden davon überzeugen können. Solange Bildung auch noch Ländersache ist, kann man ohnehin nur punktuelle Ergebnisse erzielen. Aber wovon bis jetzt die Rede war, bezog sich nur auf die sogenannten Bildungssprachen. Wäre man seinen eigenen sprachlichen Minderheiten zugewandter, könnte man ja auch öffentlich mit dem Gedanken spielen, türkischen, kurdischen, arabischen, slawischen Kindern in der Schule zu vermitteln, dass ihre Muttersprachen etwas Wertvolles sind. Ich hatte einmal eine Lesung in einer Hauptschule mit einem "Migrationsanteil" von 90 Prozent, und die Kinder waren vollkommen von den Socken, als ich sie gelobt habe, dass sie neben Deutsch auch ihre Muttersprachen beherrschten. In der Schule war das bis dahin kein Thema, schon gar nicht im Deutschunterricht. Mit solchen Gedanken oute ich mich natürlich als pro Multikulti, und ich sage: Ja, so ist es. Ich glaube daran, dass Mehrsprachigkeit ein Segen ist, aber natürlich kommt es immer darauf an, wozu und auf welche Weise man seine Sprache/n einsetzt.

Trojanow: Seit es das Phänomen der "Chamisso-Literatur" (von 1985 bis 2017 wurden mit dem Adelbert-von-Chamisso-Preis "deutsch schreibende Autoren nicht deutscher Muttersprache" ausgezeichnet, Anm.) gibt, wird diskutiert, ob wir etwas anderes und Neues in die deutsche Literatur hineintragen, weil wir die Sprache von innen und von außen zu betrachten gewohnt sind. Abgesehen von der Schwierigkeit, solche groben Verallgemeinerungen vorzunehmen, kannst du überhaupt nachvollziehen, dass es so etwas wie einen spezifischen Beitrag der Literatur der Mehrsprachigen geben könnte?

Mora: Natürlich gibt es einen speziellen Beitrag, aber ich würde das immer nur individuell und als einen Aspekt unter mehreren diskutieren. Die Tatsache, dass wir mehrsprachig sind, ist nicht der Kern unseres Wirkens, nur ein Aspekt. Wir sind nicht Schriftsteller geworden, weil wir mehrsprachig sind, sondern weil es das war, was uns gegeben war. Wir hätten auch einsprachige Schriftsteller werden können. Unsere anderen Sprachen "dienen" unserer literarischen Sprache. Zumindest ist das bei mir so. Ich habe nichts dagegen, wenn sich die Wissenschaft mit diesem Phänomen beschäftigt. Sobald es das Feuilleton oder die Politik tut, kommt leider meistens etwas Ab- und Ausgrenzendes dabei heraus. Ich fürchte, das hat dem Chamisso-Preis am Ende auch den Garaus gemacht. (Vorabdruck "Wespennest", Nr. 179, 7.11.2020)