Mitte März 2020 war der Startpunkt für den Shutdown von universitären Einrichtungen in Österreich als Reaktion auf die Ausbreitung von Covid-19. Der nationale und internationale Wissenschaftsbetrieb musste sich darauf einstellen. Zu Beginn erschien mir das einfach: Ich fokussierte mich auf die Analyse von Daten, die ich bereits erhoben hatte, verbrachte mehr Zeit mit dem Lesen und Begutachten von Literatur und schrieb vermehrt Publikationen und Förderanträge; alles Dinge, die leicht von zu Hause aus gemacht werden konnten. Glücklicherweise hatte ich selbst zu der Zeit keine Laborstudie laufen, eine meiner Doktorandinnen konnte ihre geplante Studie in Spanien jedoch nicht durchführen, für andere Studien mussten wir Interviews und Erhebungen auf Onlinetools umstellen. Alles im Bereich des Machbaren.

Medial schien es, dass die Wissenschaft wieder Hochkonjunktur hatte; vor allem Covid-relevante Wissenschaft. Wissenschaft als Grundlage für politische, gesellschaftsrelevante Entscheidungen. Zu Beginn schien es, als seien das vorrangig die Naturwissenschaften, doch nach und nach, als uns das gesamtgesellschaftliche Ausmaß der Pandemie bewusster wurde, rückte auch sozial- und geisteswissenschaftliche Forschung in den Vordergrund, die die Frage stellte: Was macht das alles mit uns?

Mehr Einreichungen und Publikationen

Doch Covid-19 endete nicht mit dem Shutdown – unser Alltagsleben hat sich auf unbestimmte Zeit merklich verändert, ebenso wie sich der Wissenschaftsbetrieb in einem Umbruch befindet. Fächerunabhängig haben die weltweiten Shutdowns schon in kürzester Zeit zu weitreichenden Veränderungen im Wissenschaftsbetrieb geführt. Die Einreichungen in Zeitschriften, Konferenzen und Forschungsförderungsagenturen sind signifikant gestiegen, denn dies waren die Tätigkeiten, die leicht von zu Hause aus umgesetzt werden konnten. Doch wer begutachtet all diese Einreichungen mit derselben Gründlichkeit wie vor der Krise? Außerdem gibt es nicht mehr Fördergelder, nur weil mehr Anträge geschrieben wurden; das heißt: Der Wettstreit um bereits begrenzte Ressourcen erhöht sich weiter.

Haben sich unsere Entscheidungskriterien verändert, was in Zeiten der Krise förderungswürdige Forschung ist? Soll nun Forschung rund um Covid-19 das Maß aller Dinge sein? Können wir abschätzen, welche Forschungsergebnisse, die vielleicht momentan nicht den Eindruck erwecken, Covid-19-Bezug zu haben, für unsere zukünftige Gesellschaft relevant sind? Die Forschung und der Mensch im Allgemeinen ist erwiesenermaßen nicht gut in Vorhersagen. Denken wir nur an die vielzitierte (in ihrer Echtheit ungewisse) Aussage von Kaiser Wilhelm II.: "Das Auto ist eine vorübergehende Erscheinung. Ich glaub an das Pferd."

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Der Wissenschaftsbetrieb hat sich seit Corona stark verändert.
Foto: REUTERS/Lisi Niesner

Ungleichheit der Geschlechter

Generell hat das Coronavirus Ungleichheiten in der akademischen Welt (wie auch in allen anderen Lebenswelten) nur noch verschärft. Etablierte Wissenschafterinnen und Wissenschafter in dauerhaften Positionen können eine scheinbare Entschleunigung des Systems als schöpferische Phase nutzen; für Jungforschende im Prekariat von befristeten Verträgen und Kettenvertragsregelungen kann ein Monat Zeitverlust existenziell sein. Doktorandinnen und Doktoranden haben meist Verträge, die auf drei bis vier Jahre Laufzeit begrenzt sind, ein "verlorenes Semester" wird für viele bedeuten, die Doktorarbeit zumindest nicht bezahlt, in manchen Fällen eventuell gar nicht abschließen zu können. Der wissenschaftliche Nachwuchs kämpft mit den Umständen; Laborforschung ist nur eingeschränkt möglich, geplante forschungsrelevante Auslandsaufenthalte müssen auf unbekannt verschoben werden. Netzwerken als Schlüsselelement für den Aufbau einer wissenschaftlichen Laufbahn ist kaum möglich, denn Konferenzen, Tagungen, Schulungen sind abgesagt.

Auch Geschlechterunterschiede wurden wieder deutlicher. Akademikerinnen scheinen allgemein mehr mit der Vereinbarkeit von Arbeit und Beruf zu kämpfen: Zahlreiche Studien zeigen, dass sie generell mehr unbezahlte Arbeit übernehmen als Männer (wie Hausarbeit und Angehörigenpflege) und ihre Forschungszeit zu ihrem Nachteil weniger schützen. Der Shutdown hat Frauen darüber hinaus die Unterstützung entzogen, die sie hatten, um diese Gratwanderung zu bewältigen, einschließlich der Kinderbetreuung. Ich selbst habe erlebt, dass Homeoffice mit zwei Kleinkindern bedeutet, untertags die wichtigsten Zoom-Meetings mit Kindern am Schoß oder vor dem Fernseher zu machen, um die eigentliche Arbeit in der Nacht zu erledigen. Mich selbst hat dieser neue berufliche Alltag zum ersten Mal in meiner wissenschaftlichen Laufbahn an die Grenzen der Belastbarkeit getrieben; Kolleginnen von mir haben den Bogen überspannt und kämpfen immer noch mit den Folgen. Ebenso wie die Folgen mittlerweile im Wissenschaftsbetrieb sichtbar werden: So ließen einige wissenschaftliche Zeitschriften verlauten, dass die verzeichneten Anstiege der Einreichungen vorrangig auf Männer zurückzuführen sind. Die Einreichungen von Frauen bleiben eher stagnierend.

Folgen nach und nach sichtbar

Weitere Folgen der weltweiten Shutdowns und der immer noch anhaltenden Veränderungen werden nach und nach sichtbar werden. Vielleicht auch welche, die uns jetzt noch gar nicht bewusst sind. Vielerorts hört man, dass gehofft wird, dass die akademische Welt bald wieder in die Normalität zurückkehren kann, zurück zu den Konferenz- und Projektreisen, zurück zur Präsenzlehre, zurück zu Arbeiten im eigenen Labor/Büro. Hoffnung ist allerdings keine Strategie, wie ein Kollege von mir zu sagen pflegt. Jetzt ist ein entscheidender Zeitpunkt, an dem wir den Wissenschaftsbetrieb umgestalten können. Sind all diese Reisen notwendig? Welche hybriden Konferenzmodelle können wir uns vorstellen? Braucht es Lehrveranstaltungen vor Ort mit mehreren 100 Studierenden in einem Raum – oder lässt sich das sinnvoll digitalisieren? Wie können flexiblere Dienstzeitenregelungen und Telearbeitsverträge Betreuungssituationen entspannen?

Die ÖAW Junge Akademie hat ein gemeinschaftliches Statement zu den Auswirkungen der Corona-Krise auf Diversität, Interdisziplinarität und Exzellenz in der Forschung verfasst. Jetzt ist ein guter Zeitpunkt, um sowohl kurzfristige Überbrückungsmaßnahmen als auch neue Strategien für den zukünftigen wissenschaftlichen Diskurs zu überlegen – wir müssen nicht zurück in ein System, das angesichts der gesellschaftlichen Veränderungen vielleicht nicht mehr zeitgemäß ist. Aber wir müssen überlegen, wie Diversität und Exzellenz gewahrt werden können. (Astrid Weiss, 11.11.2020)