1918 versah Egon Schiele einige Monate seines Kriegsdienstes im Heeresgeschichtlichen Museum. Im gleichen Jahr entstand diese Aufnahme von Johannes Fischer, einem befreundeten Maler, Fotograf und Ateliernachbar im 13. Bezirk.

Foto: Dorotheum

Das finale Urteil des Rechnungshofs zur Gebarung des Heeresgeschichtlichen Museums fiel, an der Wortwahl des obersten Kontrollorgans Österreichs orientiert, vernichtend aus: "Gravierende Mängel und Missstände im HGM", titelte die Aussendung, in der auch von drei Briefen Egon Schieles die Rede war, die nicht mehr auffindbar seien.

"Stichproben" der Prüfer in den "16 verschiedenen Inventarverzeichnissen" hin oder her: Bei geschätzten "1,2 Millionen Sammlungsobjekten" im Bestand ausgerechnet das Fehlen dreier Dokumente zu entdecken grenzt an ein Wunder.

Wahrscheinlicher ist, dass die staatlichen Spürnasen einen anonymen Tipp aus den Reihen des HGM bekamen. Sobald gleichartige Prüfungen bekannt werden, sind solche Scharmützel eher die Norm als eine Ausnahme.

Eine Anfrage beim Rechnungshof verlief ergebnislos: Darüber gebe man generell keine Auskunft, auch um potenzielle Hinweisgeber zu schützen. Fakt ist, dass darüber nur ein oder zwei Mitarbeiter informiert waren. Der seit 2005 amtierende Direktor Christian Ortner gehörte nicht dazu. Er erfuhr davon erst im Oktober 2019 von den Prüfern.

Ermittlungen laufen

Dem Vernehmen nach soll das Verschwinden der Briefe jedoch 2015 bei den Vorbereitungen zu einer Ausstellung bemerkt worden sein, die ab Mai 2016 das 125-Jahr-Gründungsjubiläum des Museums thematisierte. Auch die Schriftstücke des berühmten Künstlers sollten gezeigt werden, da er während seines Militärdienstes im Ersten Weltkrieg einige Monate am HGM Dienst versah. Die Korrespondenz mit dem damaligen Direktor Wilhelm John, im Zeitraum von Dezember 1917 bis Mai 1918, dokumentiert die näheren Umstände von Schieles Zuteilung an das Museum.

Der für die Jubiläumsausstellung zuständige Kurator (Name der Redaktion bekannt) fragte bei mehreren Kollegen nach. Vergeblich, die Schiele-Autografen – drei Briefe und eine Abschrift von der Hand Schieles – waren verschwunden.

Warum keiner der Mitarbeiter auf die Idee kam, den Chef des Hauses zu informieren, beschäftigt nicht nur die Dienstaufsicht. Im Hinblick auf den Verdacht "einer gerichtlich strafbaren Handlung" laufen auch Ermittlungen der Staatsanwaltschaft.

Gesamtwert etwa 40.000 Euro

Sieht man vom ideellen Wert der Briefe ab – sowohl für das HGM als auch für Schiele-Biografen – haben sie auch einen monetären. Andreas Loebbecke, Autografen-Experte im Dorotheum, schätzt sie auf je 8000 Euro mindestens. Allerdings hält er Autografen von Egon Schiele für deutlich unterbewertet, handle es sich doch um stilisierte "Schriftkunstwerke".

Die Bewertung der HGM-Exponate orientiert sich an einem aktuellen Auktionsergebnis: ein Schreiben vom 25. April 1917, in dem es um Porträts ging, die er von diversen Oberstleutnanten gezeichnet hatte. Schiele ersuchte um die Leihgabe für die im gleichen Jahr anberaumte Kriegsausstellung im Kaisergarten im k. k. Prater. Der Brief erzielte im Juni ein Meistbot von 8000 Euro, inklusive Aufgeld lag der Kaufpreis bei 11.680 Euro.

Einer der verschwundenen Briefe, die Egon Schiele an den damaligen HGM-Direktor Wilhelm John schrieb. Das Schriftstück vom 11. Februar 1918 wurde in den 1970er Jahren publiziert. Die Transkription ist hier abrufbar.
Foto: HGM Repro

Theoretisch könnte der mutmaßliche Schaden des HGM für die drei Briefe und eine eigenhändige Abschrift Schieles mit etwa 40.000 Euro beziffert werden. Praktisch könnten die Briefe schlicht verschlampt worden sein, und zwar schon vor mehr als 20 Jahren. Konkret 1998, als man sie laut RH zuletzt "der Öffentlichkeit präsentierte". Der im RH-Bericht gewählte Begriff "Sonderausstellung" fiel etwas großspurig aus, ging es doch nur um eine Vitrine, in der die vier Autografen und zwei Porträtzeichnungen des Künstlers gezeigt wurden.

In der Bibliothek verschlampt?

Kurz davor hatte die verantwortliche Leiterin des damaligen "Referats für Kunstgeschichte" (Name der Redaktion bekannt), zusätzlich zu den zwei bereits 1973 von Leopold Auer publizierten Briefen, einen dritten Brief Schieles entdeckt: Er fand sich, wie 84 weitere Schriftstücke bekannter Persönlichkeiten der Kunstgeschichte, "zusammen mit Resten von Bombenschutt aus dem Zweiten Weltkrieg in einer verstaubten Schachtel" auf dem Dachboden des Museums, wie sie 2007 in einer Broschüre resümierte.

Sie dürfte die letzte Person gewesen sein, die die Briefe im Original in Händen hielt. Darüber reden will sie derzeit nicht, wie erwähnt, die Ermittlungen laufen. Nur so viel, sie habe sie "nach der Ausstellung in der Bibliothek abgegeben". Der damalige Bibliothekar kann zur Klärung nichts mehr beitragen. Er war kurz darauf in Pension gegangen und verstarb nur einen Monat später.

Autographen-Datenbank

Der Forschung bleiben zwei der drei Briefe sowie eine Abschrift digital erhalten: als transkribierte Reproduktion in der "Egon Schiele Datenbank der Autografen" – einer Rechercheplattform, die von der Leopold Museum Privatstiftung (LMPS) 2008 bis 2010 im Auftrag des Kunst- und Kulturministeriums erstellt wurde und seither laufend erweitert wird.

STANDARD-Informationen zufolge hatte das LMPS im Herbst 2008 eine Anfrage an das HGM übermittelt, um die Briefe im Original in Augenschein zu nehmen. Dazu kam es jedoch nie. Stattdessen behalf man sich mit Reproduktionen aus der Publikation von 1973. Der dritte Brief, von dem es eine Transkription gibt, wurde bislang nicht erfasst.

"Erwin Schiele"

Immerhin sind im HGM die wahren Schiele-Zimelien zweier Porträts der Leutnants Heinrich Wagner (1917) und Theodor Weippel (1918) auffindbar. Sie schlummern aus konservatorischen Gründen im Depot, gezeigt werden nur Faksimiles. Die beiden Zeichnungen hatte das HGM 1963 vom ehemaligen "Deutschmeister Museum" übernommen. Der Überlieferung nach sollen sie im Inventar als Werke eines gewissen "Erwin Schieles" beschrieben gewesen sein. (Olga Kronsteiner, 7.11.2020)