Es braucht nicht viel für einen Shitstorm. "Ich war jetzt seit März nicht mehr feiern, vorher war ich dreimal die Woche irgendwo. Das ist traurig, ich brauche das nämlich eigentlich, ich bin darauf angewiesen, und darauf zu verzichten geht mir schon echt ab", sagte eine junge Frau namens Ida in einem Beitrag des "Heute Journal" über den erneuten Lockdown in Deutschland. Mehr war nicht nötig. Über Tage ergoss sich auf Twitter und Facebook Hohn und Zorn. Feiern? Als Grundbedürfnis? Unerhört! "First World Problems" seien das.

So werden Sorgen und Wünsche gerne einmal schnell abgestempelt, die nicht vorstellbar oder banal erscheinen. In einer Pandemie solle schließlich nur eines gelten, um den Schriftsteller Thomas Bernhard zu zitieren: "Es ist alles lächerlich, wenn man an den Tod denkt."

Aber ganz so einfach ist es nicht. Nur weil man ein Gefühl nicht versteht, bedeutet es nicht, dass dieses nicht ernst ist. Wenn Ida davon spricht, dass sie aufs Feiern angewiesen ist, dann sagt sie das nicht, weil sie Angst vor dem kalten Alkoholentzug hat. Sie hat Angst davor, allein zu sein.

Festivals wie das Frequency, Konzerte, Clubs: All das ist in weiter Ferne.
Foto: APA/HERBERT P. OCZERET

Kaum Kontakt, viel Stress

Eine Sorge, die viele junge Leute in dieser unsicheren Zeit umtreibt, wie in den folgenden Protokollen zu lesen ist. Schon während der sommerlichen Lockerungen haben viele ihr soziales Umfeld auf die wichtigsten Menschen reduziert, ihre Risikogruppen-Familienmitglieder nicht besucht – aus Angst, das Virus irgendwo aus Versehen aufgegriffen zu haben. Und jetzt, im zweiten Lockdown, nutzt die Regierung erstmals das Wort "Ausgangssperre" und macht damit klar, dass nicht nur Partys und Konzerte, sondern auch Freizeittreffen für die nächsten Wochen vom Tisch sind.

"Die Corona-Maßnahmen erhöhen bei jungen Menschen den Stresslevel", sagt der Psychologe Johannes Achammer. "Gerade im jungen Alter ist der soziale Austausch enorm wichtig. Und der wird erneut massiv eingeschränkt." Dazu sei das Fehlen des enorm wichtigen physischen Kontakts über einen längeren Zeitraum, ein psychischer Faktor, der zu oft unterschätzt wird.

Die Auswirkungen dieses erhöhten Stresslevels solle man nicht unterschätzen, sagt der Psychologe. In einzelnen Fällen könne es zu Angsterkrankungen und Depressionen führen. Deswegen fordert er mehr Empathie: "Ältere Menschen können immer auf mehr Erfahrung zurückgreifen, die junge Menschen noch nicht haben." Das sollte auch für die Kommunikation gelten.

Es geht nicht darum, die notwendigen Maßnahmen infrage zu stellen. Es geht darum, mit seinen Bedürfnissen gehört, verstanden und ernst genommen zu werden. Jeder hat ein Recht auf Vermissen – und sei es nur das Vermissen einer Party.


Florian Boschek

"Wenn man allein wohnt und über Wochen niemandem berühren kann, ist das furchtbar."
Foto: Teresa Bodi

20 Jahre, Student an der Angewandten

"Mir fehlt mein Freundeskreis am meisten. Ich habe einen sehr vollen Terminkalender unter der Woche, mit Uni, Engagement und Arbeit. Und der soziale Ausgleich am Wochenende ist überhaupt nicht da. Viele Leute beschweren sich, dass wir Jungen nur saufen und Party machen wollen – aber das hat ja auch eine wichtige soziale Komponente. Es hilft mir einfach, den Kopf freizukriegen, wenn ich samstags zu Beyoncé tanzen kann.

Schon vor dem Lockdown habe ich meine sozialen Kontakte reduziert und nur die engsten Freundinnen und Freunde getroffen, und dann auch nur draußen.

Neben dem Feiern fehlt mir vor allem der physische Kontakt. Ich bin halt eher die Umarm-Person, und das fällt weg. Wenn man allein wohnt oder selbst in einer WG, in der man das nicht bekommt, und über Wochen niemandem berühren kann, ist das furchtbar.

Ein Lockdown ist immer hart, egal, ob er jetzt im Frühling oder im Herbst hereinbricht. Die Zahlen haben es nun mal notwendig gemacht, deswegen stehe ich voll dahinter. Aber man darf die psychische Belastung, auch für junge Menschen, nicht außer Acht lassen.

Wir sind lange ausgeklammert worden. Auch bei den Schulmaßnahmen ist viel danebengegangen, weil man nicht auf die Schülerinnen und Schüler gehört hat. Und das merkt man natürlich in so einer Bevölkerungsgruppe schnell, und man fühlt sich nicht so repräsentiert, wie man es sich eigentlich wünscht. Dass wir aber nicht die Priorität sind, ist auch logisch.

Wenn das alles vorbei ist, will ich im Ausland studieren, feiern gehen, Leute umarmen, ohne wirkliche Bedenken haben zu müssen. Einfach ungezwungen sein, darauf freue ich mich."


Michelle Schaurhofer

"Feiern hilft mir auch, den ganzen Stress abzubauen. Die Freunde im Video-Chat
zu sehen ist nicht dasselbe."
Foto: privat

21 Jahre, Krankenpflegerin

"Am meisten geht mir ab, dass ich nicht einfach ausgehen kann. Ich habe eine große Freundesgruppe, wir sind gern alle zusammen. Jetzt können wir uns nicht mehr gemeinsam irgendwo treffen.

Ich bin eben ein Mensch, der gerne fortgeht – oder der gerne Festivals besucht. Als Student ist man ständig eingeplant – Uni, Lernen, Prüfungen – und man kommt selten aus seiner Blase raus. Und das Feiern ist halt ein Ventil, um einfach mal Dampf abzulassen.

Natürlich denken wir vorrangig an die Alten. Wir wissen ja alle, dass wir Risikopatienten schützen müssen, wir tragen Masken, achten auf den Abstand – ich als Krankenschwester sowieso. Auf der anderen Seite finde ich es arg, was wir uns anhören müssen: "Die Jugend will nur saufen, die will nur fortgehen", obwohl die Menschen, die solche Kommentare bringen, oft nicht wissen, was sie in unserer Situation gefühlt und getan hätten.

Während der ersten harten Einschränkungen habe ich meine Bachelorarbeit geschrieben und hatte dadurch schon ein hohes Stresslevel. Mich mit meinen Freunden zu treffen hilft mir normalerweise bei so etwas – aber das war eben nur eingeschränkt möglich. Klar, man kann sich jederzeit über einen Bildschirm sehen, aber das ist ja nicht dasselbe.

Besonders den Älteren gegenüber äußern wir unsere Probleme nicht, weil dann Sprüche als Antwort kommen – und der Vorwurf, wir würden nicht auf die Schutzbedürftigen achten. Natürlich machen wir das. Aber wir dürfen uns selbst in dieser Zeit auch nicht vergessen.

Am meisten freu ich mich auf das erste Festival, wenn das alles hier vorbei ist. Meinen Bachelor einfach feiern, auch wenn die letzte Prüfung dann schon eine Zeit her ist."


Martin Naderer

"Wir sind nicht der wichtigste Teil dieser Debatte – aber völlig vergessen darf man uns auch nicht."
Foto: privat

25 Jahre, Konzertveranstalter im Online-Marketing

"Ich glaube, am meisten fehlt mir, meine Familie zu sehen. Ich habe meine Oma seit Jänner nicht mehr besucht, weil es mir wichtig ist, den Abstand zu halten.

Für mich hat sich sozial noch viel mehr verändert, da ich allein durch meinen Job nicht mehr so unter Menschen komme wie sonst. Ich arbeite für einen Konzertveranstalter im Online-Marketing, und die Konzerte und Festivals fehlen mir. Ich habe meinen Traumjob gekriegt und kann zwar noch arbeiten, aber es ist gerade keine Erfüllung da, weil ich nur daheimsitze. Früher war ich mindestens fünf Tage in der Woche abends weg, beruflich natürlich – jetzt gar nicht.

Ich habe wenige Leute, die ich regelmäßig sehe, im Lockdown sowieso nicht. Es gibt keine WG-Partys, also auch keine Möglichkeit, neue Leute kennenzulernen. Und das ist ja auch gut so. Ich will nicht jemanden treffen, den ich nicht hätte treffen müssen, den dann anstecken, der steckt seine Oma an und die stirbt.

Ich glaube trotzdem, dass wir ein Recht auf das Vermissen von Feiern haben. Natürlich sind das First World Problems, ich habe immer noch jeden Tag Essen auf dem Tisch. Aber es gibt nicht umsonst diese Freuden im Leben, obwohl es bei mir nicht mal ausschließlich darum geht – unsere Branche ist zum Stillstand gekommen, und da hängen viele Jobs dran.

Ich glaube schon, dass wir junge Menschen eine untergeordnete Rolle in dieser Pandemie spielen – und das zu Recht. Wir sind persönlich, aber nicht gesundheitlich betroffen. Wir sollten nicht der wichtigste Teil dieser Debatte sein – aber vergessen darf man uns auch nicht.

Am meisten freu ich mich auf das erste Festival: mit Bier auf dem Campingplatz hängen und mit fremden Leuten sich darüber freuen, dass wir hier sein dürfen."


Michaela Mauerer

"Wir sollen mehr ECTS machen, weil wir ja daheim sind, während um uns herum alles zerfällt."
Foto: privat

24 Jahre, Jus-Studentin

"Mir fehlt das Umarmen von Leuten am meisten – oder auch das Lächeln auf den Straßen oder der Wiener Grant in den U-Bahnen. Ich komme mir wie in einer Blase vor, wie abgeschottet, auch von Fremden, auch wenn ich nicht der Mensch bin, der alle Menschen liebt. Die Uni fehlt mir. In einer Vorlesung neben jemandem zu sitzen, den man nicht kennt, sich auszutauschen und dadurch wieder neue Facetten zu entdecken.

Über den Sommer waren wir oft am Donaukanal, das ging in letzter Zeit nicht mehr, im Lockdown ja sowieso nicht. Und in den Bars haben wir uns mit den Verordnungen auch nicht so wohlgefühlt, obwohl es die einzige Möglichkeit war, diese Branche zu retten. Und wenn wir uns getroffen haben, dann immer nur mit denselben Leuten, damit wir den Kreis möglichst klein halten.

Aber der Verzicht ist überall. Ich sehe meine Eltern nicht mehr so oft, meine Großeltern noch weniger. Das sind normalerweise alles Dinge, die einem dabei helfen, sein Leben auf die Reihe zu bekommen und Stress abzubauen. Nur die fallen halt jetzt weg. Und gleichzeitig wird der Stress nicht weniger.

Natürlich gibt es größere Probleme, wir ziehen zum Beispiel nicht in den Krieg. Aber trotzdem sind das Probleme, die ernst genommen werden sollten. Nach einer gewissen Zeit im Lockdown geht Nichtsdenken einfach nicht mehr.

Nach dieser Zeit werde ich meine Oma umarmen und alle meine Freunde treffen. Und ich freue mich drauf, dass der Druck abfällt. Keine Kommentare mehr, dass man ja jetzt mehr Zeit für das Studium hätte. Wir sollen mehr ECTS machen, weil wir ja daheim sind, während um uns herum alles zerfällt."


Caroline Meyer

"Uns vorzuwerfen, wir seien egoistisch, nur weil wir weiterhin die minimalsten sozialen Kontakte knüpfen wollen: Das verstehe ich nicht."
Foto: privat

17 Jahre, Schülerin

"Ich glaube, ich bin eine von vielen, denen das Fortgehen und der soziale Kontakt mit Freunden, ohne sich dafür schlecht zu fühlen, abgeht. Vor dem Lockdown war es noch so, dass ich mein soziales Umfeld auf die wichtigsten Menschen in meinem Leben reduziert habe.

Die Antwort gebe ich auch älteren Menschen, aber die Reaktion fällt dann meist nicht sehr verständnisvoll aus. Da heißt es dann, ich solle lieber auf die Risikopatienten achten und mal das wirtschaftliche Chaos dahinter sehen – was wir ja eh machen. Wir wissen ja, dass es nicht vorwiegend um unsere Gesundheit geht und dass Rücksicht wichtig ist – deswegen brechen wir die Regeln ja auch nicht. Trotzdem haben wir ein Recht darauf zu sagen, dass uns gewissen Sachen, die für uns früher selbstverständlich waren und uns deswegen wichtig geworden sind, fehlen.

Es gibt auch die Reaktion, dass man ja verstehe, dass uns ein Teil unserer Jugend damit abhandenkommt, dass diese Maßnahmen aber nun mal sein müssen – und das verstehen wir ja auch. Der Maturaball ist abgesagt worden, und wir wissen nicht, ob wir nächstes Jahr auf Maturareise gehen können. Aber uns vorzuwerfen, wir seien egoistisch, nur weil wir die minimalsten sozialen Kontakte knüpfen wollen, das verstehe ich nicht.

Wir spielen eine untergeordnete Rolle, weil wir nicht das große Gesundheitsrisiko haben. Aber gerade weil wir eingeschränkt werden, um auf andere Menschen zu achten, sollten wir öfter nach unserer Meinung gefragt werden und auf unser Wohlbefinden geachtet werden.

Nach der ganzen Zeit werde ich echt gescheit fortgehen. Ohne moralische Schwierigkeiten, ohne Bedenken, das wird super!" (Thorben Pollerhof, 7.11.2020)